Einführung in die Beratungspsychologie. Susanne Nußbeck
Neben der Übertragung von Nachrichten, wie im Modell von Shannon und Weaver dargestellt, zeichnet sich menschliche Kommunikation aber durch Besonderheiten aus, die über die reine Übermittlung klar definierter Botschaften hinausgehen. Kommunikation ist immer eingebettet in den Lebenskontext der Personen, die miteinander kommunizieren. Ihre je eigenen Erfahrungen, Einstellungen, Absichten und Motive fließen in ihr Kommunikationsverhalten ein. Kulturelle Regeln bestimmen, wer mit wem wie reden darf. Mit fremden Personen bleibt man zurückhaltender, gibt ihnen nicht alles preis und wartet erst einmal ab, „mit wem man es zu tun hat“. Mit einem guten Freund kann man anders reden als mit seinem Chef und zu Hause in vertrauter Umgebung anders als im Büro.
Uneindeutigkeit von Begriffen
Sprachliche Begriffe sind nicht eindeutig. Der gleiche Sachverhalt kann unterschiedlich ausgedrückt werden. Man kann sagen: „Ich fühle mich nicht wohl“ oder „Es geht mir schlecht“, um einen momentanen psychischen oder physischen Zustand zu beschreiben. Dasselbe Wort kann unterschiedliche Bedeutungen haben und wird nur aus dem Kontext verständlich. „Wann kommt der nächste Zug?“, hat auf dem Bahnsteig sicher eine andere Bedeutung als bei einem Schachspiel. Wie man einen Satz versteht, hängt von einer Vielzahl von zusätzlichen expliziten (konkret ausgedrückten) und impliziten (gemeinten, nicht ausgedrückten) Informationen ab, die für seine Interpretation nötig sind. Die Bedeutung einer Äußerung kann also nie allein wörtlich verstanden werden, sondern ergibt sich aus der wörtlichen Bedeutung und einem nicht vollkommen bestimmbaren Komplex von Hintergrundannahmen (Searle 1985). Wegen dieses Backgrounds, der Hintergrundannahmen, kann eine Wortbedeutung nie völlig erklärt werden, weil jede Explikation eine neue nach sich zöge, so dass eine unendliche Spirale von weiteren Explikationen entstünde.
Erwerb von Begriffen
Die unterschiedlichen Erfahrungen, die Menschen mit den Wortbedeutungen in ihrer Sozialisation machen, und in welchem Kontext sie sie lernen, bedingen, dass sprachliche Begriffe nicht für alle Menschen einer Sprachgemeinschaft in ihrer Bedeutung völlig gleich sind.
Wenn die Mutter zu ihrem Kind, das ihr zeigen möchte, was es gemalt hat, sagt: „Ich komme gleich!“, dann aber auf sich warten lässt, wird das Kind daraus entnehmen, dass „gleich“ nicht „sofort“ ist, und fortan damit rechnen, dass jemand, der „Ich komme gleich“ sagt, damit eine höchst unbestimmte Aussage macht und irgendwann und womöglich gar nicht, aber sicher nicht sofort kommt.
Auch konkrete Begriffe werden im Kontext erworben. Die Bedeutung des Wortes „Hund“ beispielsweise lernt und differenziert ein Kind, je nachdem welchen Exemplaren es im Laufe seiner Entwicklung begegnet ist. Dennoch können zwei Personen, die niemals den gleichen Hunden begegnet sind, sich über Hunde verständigen, weil sie aus diesen Erfahrungen so etwas wie einen „Durchschnittshund“ gebildet haben, der die typischen Merkmale aller Hunde hat, die sie je gesehen haben. Die Bildung solcher „Prototypen“ lässt sich schon im Säuglingsalter nachweisen (zusammenfassend siehe z. B. Goswami 2008). Schwieriger wird es mit der Übereinstimmung, wenn die Begriffe abstrakter sind. „Liebe, Ehre, Vaterland“ wird von verschiedenen Personen und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Epochen sicher anders verstanden. Neben einer Kernbedeutung, in der alle Sprachbenutzer übereinstimmen, gibt es individuelle und kategorielle Randbedeutungen, die die Begriffe uneindeutig werden lassen (Rosch 1978). Dazu kommt, dass jeder Begriff neben seiner Denotation, der inhaltlichen Bedeutung, auch eine Konnotation hat, einen gefühlsmäßigen Beiklang, der seine Bedeutung färbt und etwas über die Einstellung seines Benutzers preisgibt. Es ist ein Unterschied, ob man „Frau“, „Dame“ oder „Weib“ sagt, obwohl jedes Mal eine erwachsene, weibliche Person gemeint ist.
Auch im Beratungsprozess haben die von Ratsuchendem und Berater verwendeten Begriffe unterschiedliche Konnotationen, die gefühlshafte Anmutungen auslösen und die Einstellung zueinander verändern können.
Übertragungskanäle
Die Botschaften menschlicher Kommunikation werden über mehrere Übertragungskanäle, der Sprache, der Mimik und der Gestik, gleichzeitig übermittelt. Diese ergänzen sich, können sich aber auch widersprechen. Während einer einzigen sprachlichen Mitteilung können mehrere nonverbale Botschaften gesendet werden.
Während ich meinem Gegenüber einen Vorschlag für die Gestaltung unseres nächsten Treffens mache, kann ich nacheinander und gleichzeitig denken: „Der sieht aber heute schlecht aus, hoffentlich wird er bis dahin nicht krank“, „Der hat es ja auch nicht leicht mit seiner Frau“, „Hoffentlich fängt er jetzt nicht gleich wieder von seinen Problemen an!“, „Wie kann ich schnell das Gespräch beenden?“ aber auch „Hoffentlich kriege ich meinen Bus noch!“, „Ich hätte mal wieder Lust auf Spaghetti!“ oder „Ich freue mich auf heute Abend!“ Alle diese Gedanken werden kurzfristig in meiner Mimik und Gestik zu sehen sein. Wenn ich es zu weit treibe, wird mein Gegenüber den Eindruck gewinnen, ich sei nicht bei der Sache, höre nicht zu, interessiere mich nicht wirklich für ihn und er könnte irritiert fragen, ob er mir „etwas getan“ habe.
Organon-Modell
Psychologische Kommunikationstheorien gehen daher über die reine Datenübertragung hinaus und berücksichtigen die Besonderheiten der menschlichen Kommunikation, die sich nicht in einem technischen Modell darstellen lassen. Eine frühe Theorie ist das von Karl Bühler bereits 1934 als Sprachtheorie entworfene Organon-Modell (Bühler 1965, siehe Abbildung 2). „Organon“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Werkzeug, Hilfsmittel“. Im Mittelpunkt dieses Modells steht die Sprache als wahrnehmbare Abfolge von im Allgemeinen akustischen Signalen, also sprachlichen Zeichen. Diese stehen in Relation zu „dem Einen“, einem Sender, und „dem Anderen“, einem Empfänger, und den „Dingen“. Die Dinge sind die Ereignisse und Sachverhalte, über die sich Sender und Empfänger verständigen wollen, wobei sie sich der sprachlichen Zeichen bedienen. Da Sender und Empfänger Menschen sind, haben sie unterschiedlich entwickelte psycho-physische Systeme, unterscheiden sich also in ihren Persönlichkeiten und ihrer körperlichen Konstitution, wie beispielsweise der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Aufnahmefähigkeit, der psychischen Wachheit. Sie werden daher die Zeichen entsprechend ihrer Entwicklung und momentanen Befindlichkeit unterschiedlich benutzen.
Abb. 2 Das Organon-Modell von Karl Bühler (1934)
Die sprachlichen Zeichen haben in Bühlers Modell drei grundlegende Funktionen, je nachdem welche Relation in diesem Dreieck betrachtet wird. Sie sind Symbole, wenn sie stellvertretend für die Dinge, die Gegenstände und Sachverhalte stehen, die sie darstellen. Das (sprachliche) Zeichen ist aber auch Symptom, Anzeichen, für das, was der Sender mit dem Zeichen ausdrückt und dabei von sich selbst preisgibt. So könnte er beispielsweise den gleichen Gegenstand als „Antlitz“, „Gesicht“, „Fresse“ oder „Visage“ bezeichnen und würde damit je nach Gesamtzusammenhang seine innere Einstellung, seine Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder sein Selbstverständnis offenbaren. Sprache hat damit Ausdrucksfunktion. Auf der dritten Seite des Dreiecks ist Sprache ein Signal, weil der Empfänger in irgendeiner Weise durch das Zeichen gesteuert wird, der eine beim anderen etwas erreichen oder verändern will. Er fordert ihn zu einer Handlung auf oder macht ihn zum „Mitwisser“ seiner Einstellung. Das Zeichen hat dann Appellfunktion. In jeder Kommunikation sind alle drei Funktionen der Zeichen vorhanden, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Der Sprecher benutzt die Zeichen wie ein Handwerker sein Werkzeug, um mit dem Empfänger über die „Dinge“, Gegenstände, Sachverhalte, zu kommunizieren und ihn zu Handlungen zu veranlassen. Heute würde man den Sprecher als „Anwender“ oder „User“ bezeichnen, der seine „Tools“ zweckgerichtet auswählt und den Bedürfnissen der Verständigung anpasst. Dieses Sender-Empfänger-Modell legt eine bewusste Wahl der sprachlichen Zeichen nahe, die in der Kommunikation mit anderen jedoch nicht von vornherein gegeben ist.
Symbolischer Interaktionismus
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