Einführung in die Beratungspsychologie. Susanne Nußbeck

Einführung in die Beratungspsychologie - Susanne Nußbeck


Скачать книгу
beide Partner als aufeinander bezogen angesehen werden und in gegenseitiger Abhängigkeit ihre Kommunikationshandlung aufeinander abstimmen. Die Partner übernehmen im Gespräch jeweils die Perspektive des anderen, um sie zu bewerten und mögliche Reaktionen vorwegzunehmen. Durch diese wechselseitige Handlungsvorwegnahme entsteht ein ausbalancierter Zusammenhang von Handlungen verschiedener Personen. Eine Interaktion ist symbolisch, wenn sie für etwas steht, das interpretiert werden kann, und damit den Eindruck des Verstehens vermittelt.

image

      Wenn ich bei einem Schlag auf die Schulter reflexartig zurückschlage, habe ich noch nicht symbolisch interagiert. Wenn ich jedoch durch meine Kenntnis des „Schlägers“, von dem ich weiß, dass er zu groben Späßen neigt, diesen Schlag nicht als „Angriff“, sondern als freundschaftliche Geste interpretiere und ihn freundlich anlache, in der Annahme, dass er sich freut, mich zu sehen und mit mir ein Schwätzchen halten möchte, handelt es sich um eine symbolische Interaktion, die mehr enthält als den bloßen „Schlagabtausch“, nämlich meine Interpretation des Verhaltens meines Freundes, die Übernahme seiner Perspektive und die Vorwegnahme seiner weiteren Handlungen.

      Die Bedeutung einer Äußerung entsteht im Interaktionsprozess. Das Verhalten des einen Gesprächsteilnehmers ist abhängig vom Verhalten des anderen, diese Abhängigkeit berücksichtigen beide in ihrem Verhalten und können sich so gegenseitig kontrollieren und den Interaktionsprozess aufeinander abstimmen. Solche Interdependenzen (Abhängigkeiten) lassen sich in dem in unterschiedlichen Versionen vorliegenden so genannten Gefangenendilemma darstellen, dessen für beide optimale Lösung davon abhängt, wie gut der eine Gefangene das Verhalten des anderen vorhersehen, auf sein eigenes Verhalten beziehen und darauf vertrauen kann.

image

      Das Gefangenendilemma

      „Ein Staatsanwalt hält zwei Männer in Untersuchungshaft, die des Raubs verdächtig sind. Die gegen die beiden vorliegenden Indizien reichen aber nicht aus, um den Fall vor Gericht zu bringen. Er lässt sich die beiden Gefangenen vorführen und teilt ihnen unverblümt mit, dass er zu ihrer Anklage ein Geständnis brauche. Ferner erklärt er ihnen, dass er sie dann, wenn beide den Raubüberfall leugnen, nur wegen illegalen Waffenbesitzes zur Anklage bringen kann und dass sie schlimmstenfalls zu je sechs Monaten Gefängnis verurteilt werden könnten. Gestehen beide aber die Tat ein, so werde er dafür sorgen, dass sie nur das Mindestmaß für Raub, nämlich zwei Jahre Gefängnis bekommen. Wenn aber nur einer ein Geständnis ablegt, der andere aber weiterhin die Tat leugnet, würde der Geständige damit Kronzeuge und ginge frei aus, während der andere das Höchstmaß, nämlich 20 Jahre erhalten würde. Ohne ihnen die Möglichkeit zur Aussprache zu geben, schickt er die Gefangenen in getrennte Zellen zurück und macht damit jede Kommunikation zwischen ihnen unmöglich.“ (Watzlawick 1998, S. 103f)

      Die Entscheidung der beiden Gefangenen, ob sie „singen“ oder nicht, ist abhängig davon, welche Intentionen sie dem anderen unterstellen und aus welcher Perspektive er handeln wird. Die Bedeutung der kommunizierten Inhalte wird in einem solchen „Perspektiven-Übernahme-Modell“ aus der wahrgenommenen Perspektive des Adressaten abgeleitet (Krauss / Fussel 1996). Kommunikation bedeutet dann das Identifizieren oder Erschaffen eines gemeinsamen Kontextes, um Botschaften zu produzieren und zu verstehen.

      Wenn man Kommunikationsprozesse betrachtet, kommt es nicht allein darauf an, was der „Sender“ aussendet und wie gut die Übertragung funktioniert. Das Gelingen eines Kommunikationsprozesses hängt viel mehr von der gemeinsamen Situationsdefinition der kommunizierenden Personen ab, die weit mehr beinhaltet als das reine Übermitteln von Nachrichten.

      Theorie der kommunikativen Kompetenz

      Kommunikatives Handeln dient vor allem zwei Aspekten, der Verwirklichung von Zwecken, also der Durchführung eines Handlungsplans, und der Auslegung einer Situation und dem Erzielen eines Einverständnisses. Der Erfolg des Handelns und der durch Verständigung herbeigeführte Konsens sind Kriterien für Ge- oder Misslingen der Situationsbewältigung. Habermas (1981) hat in seiner Theorie der kommunikativen Kompetenz diese Anforderung als „Geltungsansprüche“ formuliert. Der Anspruch der „Wahrheit“ meint dabei, dass das Behauptete mit Tatsachen übereinstimmen muss, die vom Partner ebenfalls als existierend angesehen werden, also der „objektiven Welt“ angehören, über die wahre Aussagen möglich sind. Der Anspruch der „Angemessenheit“ meint, dass der Sprecher sich innerhalb anerkannter sozialer Normen und Werte bewegen muss, in einer „sozialen Welt“, in der interpersonale Beziehungen legitim geregelt sind. Der Anspruch der „Aufrichtigkeit“ bedeutet, dass die tatsächlichen Absichten ausgedrückt werden, der Partner nicht getäuscht wird und die innere Befindlichkeit ehrlich artikuliert ist, also seine „subjektive Welt“ darstellt. Innerhalb des Bezugsrahmens dieser drei Welten interpretieren und definieren Sprecher und Hörer ihre kommunikative Handlungssituation. Dann bedeutet „Verständigung“ die Einigung über die Gültigkeit einer Äußerung und „Einverständnis“ die intersubjektive Anerkennung des Geltungsanspruchs, den der Sprecher erhebt. Wenn ein Kommunikationspartner überwiegend einem Geltungsanspruch zustimmt, impliziert das auch die Zustimmung zu den beiden anderen. Die Geltungsansprüche hängen also interaktiv zusammen. Stimmen sie nicht überein, kann kein Konsens zustande kommen. Kommunikation ist dann strategisch: offen strategisch, wenn Druck und Macht ausgeübt wird, verdeckt strategisch, wenn getäuscht oder manipuliert wird.

image

      Kommunikation auf der Baustelle vor der Frühstückspause

      Der Vorarbeiter wendet sich an einen „Neuen“: „Mach dich auf die Socken zum Bierholen und komm in ein paar Minuten zurück!“ Das bevorstehende Frühstück ist das Thema, die Versorgung mit Bier das auf dieses Thema bezogene Ziel. Die Aufforderung bezieht sich auf die „soziale Welt“ der Rechte und Pflichten. Der „Neue“ kann sich aufgrund seines Status’ schlecht entziehen. Er selbst dürfte den Vorarbeiter nicht so auffordern. Wenn der Ausschank zu Fuß nicht zu erreichen ist, wird der Neue vielleicht antworten: „Aber ich habe keinen Wagen!“ Das bezieht sich auf die „objektive Welt“ der Tatsachen. Das würden die Kollegen akzeptieren und nach Lösungen suchen, z. B. sagen: „Du kannst meinen nehmen!“ Der „Neue“ könnte auch sagen: „Ich habe heute keinen Durst!“ Das bezieht sich auf seine „subjektive Welt“, wäre zwar eine ehrliche Aussage, würde aber den Unmut und erstaunte Blicke der Kollegen hervorrufen, weil die Regeln der Hierarchie und des Zusammenlebens auf der Baustelle nicht eingehalten sind. Der „Neue“ muss wissen und berücksichtigen, dass Bier zum Frühstück auf dem Bau eine Regel ohne Ausnahme ist und dass gewöhnlich ein „Neuer“ zum Bierholen geschickt wird. Will er sich einen Platz bei den Kollegen erobern, wird er sich schnell auf den Weg machen. (nach Habermas 1981, S. 185ff)

      Kommunikative Kompetenz haben Sprecher dann, wenn sie unterscheiden können, wann und wie sie auf andere so wirken, dass sie sich verständigen können. Wenn bei Beachtung der Geltungsansprüche dennoch Störungen auftreten, kann durch „Reparaturversuche“ Verständigung erreicht werden. Der „Neue“ könnte nachfragen, ob das so üblich ist, die anderen könnten ihm erklären, dass derartige ungeschriebene Regeln gelten. Helfen Reparaturversuche nicht, könnte in einem Diskurs Übereinstimmung in den Geltungsansprüchen hergestellt werden und ein Konflikt oder ein Problem gelöst werden.

      Auch in professionellen Beratungsgesprächen gelten die Ansprüche von Wahrheit, Angemessenheit und Aufrichtigkeit, auf deren Grundlage Beratung als Erreichen eines Zieles und Herstellen von Einvernehmen überhaupt nur möglich ist.

      Konversationsmaxime

      Ähnliche Ansprüche formuliert der englische Philosoph Grice (1975) in seinen Kooperationsprinzipien mit den vier Basisregeln oder Konversationsmaximen:

      ■ Qualitätsmaxime: Botschaften sollten ein Maximum an Qualität, also Wahrheit und Aufrichtigkeit beinhalten.

      ■ Quantitätsmaxime: Botschaften sollten so viele Informationen wie notwendig enthalten, aber auch nicht mehr als nötig, also nicht redundant sein.

      ■


Скачать книгу