Einführung in die Beratungspsychologie. Susanne Nußbeck

Einführung in die Beratungspsychologie - Susanne Nußbeck


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Beginn der neunziger Jahre spielt Qualitätssicherung in den heute vielfältigen Beratungsanlässen und -institutionen eine immer bedeutendere Rolle (Vogel 2004). Besonders die verschiedenen Formen der Supervision haben sich hier etabliert (Pühl 2004). Beratung hat sich von einer reinen Informationsvermittlung und Anleitung zu normkompatibler Lebensführung zu differenzierten Konzepten gemeinsamen Problemlösens unter wissenschaftlichen Standards und Kontrolle entwickelt.

      Beratung ist ein der Alltagssprache entlehnter Begriff. Man berät sich, wenn mehrere Personen mit einer Sache befasst sind, man sucht den Rat eines Vertrauten, von dem man annimmt, dass er einem wohl gesonnen ist, manchmal erhält man ungebeten gut gemeinte Ratschläge und manchmal wird sogar gedroht: „Ich rate dir gut …!“. Ge- und beraten wird in allen Lebenslagen und in allen Bereichen: Finanzberatung, Ernährungsberatung, Rechtsberatung, Berufsberatung, Studienberatung, Modeberatung … – die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Beratung als Vermittlung von Informationen und Anstoß zu Veränderungen findet sich mehr oder weniger explizit und institutionalisiert in praktisch allen Berufsfeldern, wohingegen ausgearbeitete Konzepte eher selten sind.

      Gibt man in eine Literatursuchmaschine den Begriff „Ratgeber“ ein, erhält man eine Flut von Treffern, die die Zahl von 10.000 deutlich überschreitet. Von der „Anleitung zum Unglücklichsein“ (Watzlawick 1983) über die „Entdeckung der Faulheit“, Ratschläge sich bei der Arbeit möglichst wenig anzustrengen (Maier 2005), bis hin zu konkreten Ratgebern für alle Wechselfälle des Lebens findet man mehr oder weniger brauchbare Titel, deren Autoren oft trivialen psychologischen Erklärungsmustern folgen und ihre Lebensweisheiten beratend weitergeben wollen.

      Was aber unterscheidet diese Art der Beratung von professioneller, psychologischer Beratung? Psychologisch-pädagogische Beratung geht über das reine Übermitteln von Informationen hinaus. Sie ist

      Beratung

      „ein zwischenmenschlicher Prozess (Interaktion), in welchem eine Person (der Ratsuchende oder Klient) in und durch die Interaktion mit einer anderen Person (dem Berater) mehr Klarheit über eigene Probleme und deren Bewältigung gewinnt. Das Ziel der Beratung ist die Förderung von Problemlösekompetenz.“ (Rechtien 2004b, S. 16)

      Beratung spielt sich also immer in einem Interaktionsprozess zwischen zwei Menschen ab, welcher Art die Interaktion ist und welche Kompetenzen den Berater befähigen, die Problemlösekompetenz des Ratsuchenden zu fördern, bleibt in dieser Definition jedoch offen. Dietrich (1983) definiert wesentlich differenzierter:

      „Beratung ist in ihrem Kern jene Form einer interventiven und präventiven helfenden Beziehung, in der ein Berater mittels sprachlicher Kommunikation und auf der Grundlage anregender und stützender Methoden innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraumes versucht, bei einem desorientierten, inadäquat belasteten oder entlasteten Klienten einen auf kognitiv-emotionale Einsicht fundierten aktiven Lernprozeß in Gang zu bringen, in dessen Verlauf seine Selbsthilfebereitschaft, seine Selbststeuerungsfähigkeit und seine Handlungskompetenz verbessert werden können.“ (Dietrich 1983, S. 2)

      Der Berater muss die grundlegenden Handlungsmuster der Diagnostik, Intervention und Evaluation kennen, um beratend tätig zu werden, aber auch nicht jede Person kann für Dietrich Klient sein. Sie muss einen „Problemdruck“ haben, sich belastet fühlen, und das Bedürfnis zur Veränderung haben. Unter „Belastung“ versteht Dietrich übermäßige Anforderungen, unter „Entlastung“ ein ebenso schädliches Fehlen von Anforderungen. Die Person muss über bestimmte reflexive und sprachliche Voraussetzungen verfügen, sie muss sich selbst und die Welt, in der sie lebt, für grundsätzlich veränderbar halten und muss ein Minimum an Willen zur Eigeninitiative aufbringen (Dietrich 1983). In dieser Definition wird nicht auf die Beziehung zwischen Ratsuchendem und Berater eingegangen (Sander 2004), die in der Arbeit mit den Klienten eine zentrale Rolle spielt. Auch schließen die von Dietrich formulierten Anforderungen an die Klienten eine Beratung, wie sie vielfältig im Rahmen der Familienarbeit mit Multiproblemfamilien „verordnet“ wird, praktisch aus.

      Die Definition von Nestmann, Engel und Sickendiek (2004, S. 599)

      „Beratung ist eine vielgestaltige, sich ständig verändernde und durch viele interne und externe Einflussfaktoren bestimmte professionelle Hilfeform. Sie unterstützt in variantenreichen Formen bei der Bewältigung von Entscheidungsanforderungen, Problemen und Krisen und bei der Gestaltung individueller und sozialer Lebensstile und Lebensgeschichten“

      geht weniger auf die individuellen Voraussetzungen von Berater und Ratsuchendem ein, sondern macht auf die unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Konzepte aufmerksam und betont Unterstützung und Hilfe durch den Berater. Um dieses leisten zu können, braucht der Berater spezifisches Fachwissen, um mit dem Ratsuchenden kompetent Handlungsalternativen, Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben, Erklärungsmöglichkeiten oder Gefährdungen erarbeiten zu können. Andererseits braucht er allgemeine Kompetenzen der Beratungsmethoden, Gesprächsführung, diagnostisches Wissen und ein Wissen um Kommunikationsmodelle, Interaktionsprozesse und Beziehungsaufbau. „Beratung“ ist damit sehr offen definiert und läuft Gefahr, unbestimmt und diffus zu bleiben.

      Etwas konkreter Informationsvermittlung und aktive Beteiligung beider Interaktionspartner vereinend definieren Schwarzer und Posse (1986, S. 634) Beratung als

      „eine freiwillige, kurzfristige, oft nur situative, soziale Interaktion zwischen Ratsuchendem (Klienten) und dem Berater mit dem Ziel, im Beratungsprozess eine Entscheidungshilfe zur Bewältigung eines vom Klienten vorgegebenen aktuellen Problems durch Vermittlung von Informationen und / oder Einüben von Fertigkeiten gemeinsam zu erarbeiten.“

      Alle Definitionen beinhalten den Gesichtspunkt der Unterstützung und Hilfe für einen Ratsuchenden bei der Lösung eines Problems und betonen die eigene, aktive Beteiligung des Ratsuchenden am Beratungsprozess, ohne die das Ziel der Beratung nicht erreicht werden kann. Beratung stellt sich damit als ein interaktiver Prozess dar, der bestimmten Regeln folgt, die dazu beitragen sollen, dass der Ratsuchende selbst einen Weg zur Lösung seines Problems oder zu einer Entscheidung findet.

      Beratung

      ■ Beratung ist ein zwischenmenschlicher Prozess in sprachlicher Kommunikation.

      ■ Beratung dient neben der Vermittlung von Informationen der Verbesserung der Selbststeuerung und dem Aufbau von Handlungskompetenzen, der Orientierung und Entscheidungshilfe, der Hilfe bei der Bewältigung von Krisen.

      ■ Der Ratsuchende ist veränderungswillig, sucht die Beratung in der Regel freiwillig und ist aktiv am Prozess beteiligt.

      ■ Der Berater braucht Fachwissen über das Problemfeld und Beratungswissen zur Beziehungsgestaltung.

      Beratung, Mediation und Therapie zielen auf Veränderung, das Auslösen von Lernprozessen und Entwickeln neuer Handlungsmuster ab. Sie bedienen sich der gleichen zumeist aus psychotherapeutischen Konzepten abgeleiteten Mittel. Auch Beratungsmethoden haben ihre Wurzeln in Techniken und Erklärungsmustern der Psychoanalyse, der Gesprächstherapie, der Gestalttherapie oder der Verhaltenstherapie. In Therapie und Beratung arbeiten überwiegend dieselben Berufsgruppen: Psychologen, Pädagogen, Mediziner, Sozialpädagogen, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Sowohl bei der Beratung als auch bei der Therapie geht es um zwischenmenschliche Beziehungen und persönliche Konflikte, die mit Hilfe kommunikativer Mittel bewältigt werden sollen. So ist es verständlich, dass manche Autoren keinen Unterschied zwischen beiden sehen,


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