Einführung in die Beratungspsychologie. Susanne Nußbeck

Einführung in die Beratungspsychologie - Susanne Nußbeck


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geschieht – und der Berater wäre sehr pikiert, wenn der Ratsuchende ihm Vorschläge für seine Vorgehensweise machen würde.

      In sozialen Situationen versucht man also, den Eindruck, den andere von einem haben, so zu steuern, dass er mit dem, was man von sich präsentieren möchte, übereinstimmt. Das gelingt den verschiedenen Menschen mehr oder weniger gut und setzt voraus, dass man Wirkungen des Verhaltens und mögliche Reaktionen des Partners vorwegnehmen und sein Verhalten darauf einstellen kann. Der gute „Eindruckssteuerer“ weiß, was andere von ihm erwarten, wie ihre Urteile zustande kommen, was die jeweilige Situation verlangt und wie er gewünschte Reaktionen erzeugen kann, wie er als „ehrlich“, „freundlich“ oder „vertrauenswürdig“ erscheint. Er hat damit eine hohe soziale Intelligenz, das bedeutet aber nicht unbedingt, dass er diese zum Wohle anderer einsetzt. Er kann seine Fähigkeit auch zu Manipulation und Macht ausnutzen und dabei einen guten und harmlosen Eindruck hinterlassen.

      Nicht nur dem durchschnittlichen „Menschenkenner“, sondern auch Beratern und Therapeuten fällt es schwer, die „Echtheit“ der Präsentation einer Person von sich selbst zu beurteilen. Die Annahme, sich vor Psychologen in Acht nehmen zu müssen, da sie einen sofort „durchschauen“, ist ein weit verbreitetes Vorurteil, entbehrt aber oft jeglicher Grundlage.

      Blickverhalten

      Eines der wirksamsten und wichtigsten nonverbalen Signale ist der Blick. Verliebte können sich stundenlang in die Augen sehen, die Augen sind das „Fenster zur Seele“. „Schau mir in die Augen, Kleines“, fordert nicht nur Humphrey Bogart in der legendären Szene aus „Casablanca“ auf. Man glaubt, Lügner können einem forschenden Blick nicht standhalten: Die Lüge steht ihm „ins Gesicht geschrieben“. Allerdings weiß das auch der Lügner und gute Eindruckssteuerer und wird versuchen, seinen Blick und seine Mimik unter Kontrolle zu halten, besonders wenn er annimmt, dass sein Gegenüber ausschließlich auf sein Gesicht achten wird (Ekman 2003). Der im Erkennen und der Verhörtaktik geschulte FBI-Agent wird daher eher auf periphere Körperpartien achten, wie Bewegungen von Händen und Füßen, die der Lügner nicht mehr unter Kontrolle hat, weil er sich auf die Wirkung seines Blickes und seiner Mimik konzentriert, während der naive Betrachter sich vom unschuldigen Blick betören lässt (Ekman 2003).

      Blicke steuern aber auch ganz profan den Sprecherwechsel in der Interaktion, das Turn-Taking. Das Maß des Blickkontakts ist in Interaktionen, ohne dass es den Partnern bewusst ist, genau ausbalanciert. Der Hörer schaut länger auf den Sprecher als umgekehrt, in zwei Dritteln der Interaktionszeit schaut einer zum anderen, ihre Blicke treffen sich jedoch nur selten und werden schnell wieder abgewendet. Das häufiger werdende Abwenden des Blickes während einer Interaktion signalisiert, dass das Gespräch demnächst beendet wird (Forgas 1999). „Inquisitorisch“ und für den Partner unangenehm wirkt, wenn das Gegenüber den Blick nicht abwendet. Desinteresse oder Schüchternheit werden vermittelt, wenn ein Partner den anderen nicht anschaut. Beides wirkt irritierend und wird automatisch entsprechend interpretiert. Das Blickverhalten ist jedoch nicht universell, sondern kulturabhängig und wird auch bestimmt von Intimitätsgrad, Rolle und Geschlecht der Partner.

      Emotionsausdruck

      Im Gesichtsausdruck glaubt man, Emotionen weitaus besser ablesen zu können, als sie verbal zu vermitteln wären. Allerdings lassen sich nur die Grundemotionen wie Angst, Freude, Ekel, Überraschung, Wut und Trauer unmittelbar und überwiegend eindeutig zuordnen. Diese Ausdrucksreaktionen werden nicht gelernt, sondern treten auf entsprechende Reize spontan auf und werden auch beispielsweise von blind geborenen Kindern gezeigt (Birbaumer / Schmidt 2010).

      Alle anderen Emotionen sind vermischt, stark vom sozialen Kontext und nicht zuletzt von Stimmungen des Beobachters abhängig. Allein der Sonnenschein reicht, um sich selbst und die anderen in einem helleren Licht erscheinen zu lassen und die Welt mit „anderen Augen“ zu sehen, ganz zu schweigen von der sprichwörtlichen „rosaroten Brille“ der Verliebten.

      Erkennen von Emotionen

      Im Gesicht gespiegelte „echte“ Gefühlszustände werden durch andere neuronale Systeme gesteuert als willkürlich herbeigeführte (Damasio 2004), so dass man annehmen könnte, es sei leicht, sie zu unterscheiden. Dies trifft jedoch im Alltag nicht zu. Dort achtet man meist allein auf die groben, länger dauernden, die Makro-Ausdrücke. Dabei wird man kaum beispielsweise ein echtes von einem unechten Lachen unterscheiden können (Ekman 2003). Extrem kurze, kaum wahrnehmbare und sehr flüchtige Ausdrücke, die Mikro-Ausdrücke, hingegen „verraten“ denjenigen, der etwas verbergen möchte.

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      Ekman und Friesen (1969 nach Ekman 2003) konnten zeigen, dass Psychiater in klinischen Interviews anhand der Mikro-Ausdrücke mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erkennen konnten, ob Patienten Suizidabsichten oder Halluzinationen zu verheimlichen suchten. Diese schwer wahrnehmbaren, weil äußerst flüchtigen Mikroausdrücke enthalten also doch Informationen über Lügen und Verheimlichen, die allerdings nur wenigen Beobachtern unmittelbar zugänglich sind.

      Auch Ängstlichkeit, Ärger und andere Emotionen lassen sich durch das Achten auf Mikroausdrücke erkennen, allerdings sagen sie nichts darüber aus, was die Emotion verursacht. Ängstlichkeit oder Ärger können genauso bei einer falschen Anschuldigung empfunden werden wie bei einem „schlechten Gewissen“ oder Furcht vor Entdeckung.

      Anpassung von Ausdrucksreaktionen

      Körpersprache, Mimik und Gestik sind höchst komplexe Vorgänge und geschehen meistens unbewusst. Man versteht sie, ohne dass man sagen kann, warum. Im Gespräch wird die Körpersprache der beiden Partner in „Interaktionssynchronie“ koordiniert. Diese ideomotorischen Mitbewegungen hängen davon ab, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet ist, welche Intention wahrgenommen wird und mit welcher Person man „mitfühlt“ (Hoffmann / Engelkamp 2013). Auch in den mimischen Ausdrucksreaktionen passen sich die Interaktionspartner aneinander an und regulieren sich gegenseitig. Beim Wahrnehmen von Gesichtsausdrücken und beim Zeigen dieser Ausdrücke sind nämlich dieselben Spiegelneuronen (Mirror neurons) aktiv. Darüber verstehen wir das Verhalten und die Intentionen anderer auf einer basalen Ebene, die auch Voraussetzung für Empathie ist (Corradini / Antonietti 2013; Mainieri / Heim / Straube / Binkofski / Kircher 2013; Praszkier 2016). Dabei gibt es offensichtlich verschiedene Typen von Spiegelneuronen, die unterschiedlich kongruent mit der wahrgenommenen Handlung sind, so dass das wahrgenommene und das eigene mimische Verhalten moduliert wird (Hoffmann / Engelkamp 2013; Simon / Mukamel 2017).

      Körperhaltung

      Der Körperhaltung wird nicht nur in Kommunikations- und Präsentationstrainings viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Körperhaltung vermittelt auch dem naiven Betrachter schon von weitem, in welcher Verfassung sich das Gegenüber befindet (Giese / de Gelder 2012). Eine zusammengesunkene Haltung mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf signalisiert Trauer und Depression, eine aufrechte, offene Haltung Selbstbewusstsein und Kontaktbereitschaft. Die Körperhaltung ist ein deutlicher Ausdruck von Gefühlen und Befindlichkeit. Sie zeigt, wie sicher, souverän oder überlegen sich jemand fühlt, aber auch wie interessiert und aufmerksam er ist. Mehrabian (1972) unterscheidet drei Reizklassen:

      ■ Unmittelbarkeitsreize wie Blickkontakt, Körperorientierung oder Berühren kommunizieren Sympathie und Antipathie.

      ■ Entspanntheitsreize wie Einnehmen des Raumes beim Sitzen oder Stehen oder Anspannung der Hände vermitteln Status und soziale Kontrolle. Im Bewerbungsgespräch wird der Personalchef entspannter in seinem Sessel sitzen als der Bewerber, der tunlichst eine nicht verkrampfte, aber doch kontrollierte, nicht zu lässige Haltung einnehmen sollte.

      ■ Aktivitätsreize wie Bewegungen und Gestik signalisieren Reaktionsbereitschaft und Aufmerksamkeit dem Partner gegenüber.

      Wer wen wo berühren darf, ist konventionell und kulturell bestimmt. Berührungen können beruhigen, Trost spenden, Statusverhältnisse anzeigen oder auch einfach ritualisiert sein wie das Händeschütteln. Berührungen sagen etwas über das Verhältnis der Partner zueinander aus. Der Angestellte wird nicht dem Chef anerkennend auf die Schulter klopfen, Kinder, Menschen mit Behinderungen und Untergebene werden häufiger berührt. Allerdings haben auch Berührungen deutliche kulturelle


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