Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit. Steffen-Peter Ballstaedt
auch als Modifizieren bezeichnet. Sie wird in der Hoffnung vollzogen, „dass die Sageweise das Verstehen möglichst genau bestimme“ (Klotz, 2017, S. 20). Eine ModifizierungModifizierung kann ein Erweitern, Einengen, Nuancieren, Relativieren, Fokussieren der ursprünglichen Äußerung umfassen.Fachwort (Terminus)1 Noch einmal Peter Klotz (2017, S. 21): „Es geht um die Versuche, etwas so zu sagen, wie man es meint, und es geht um die Versuche, den eigenen Ausdruck an das anzunähern, was der Sache, der Situation, dem Kommunikationspartner und einem selbst angemessen ist.“
Der Dreischritt der Verständigung kann mehrfach durchlaufen werden, dadurch findet eine kontinuierliche kommunikative Validierung des Verstehens statt. Beim Auftreten massiver Verständigungsprobleme kann ein Moderator hinzugezogen werden, bei Gesprächen von Konfliktparteien wird ein Mediator eingesetzt. Ihre Rolle besteht vor allem darin, das wechselseitige Verstehen abzusichern und einen Konsens oder KompromissKompromiss zu erarbeiten.
Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation ist das Ergebnis einer gemeinsamen Bemühung, die eine Motivation zur Verständigung voraussetzt (Verständigungsbereitschaft) und manchmal erheblichen Aufwand erfordert. „Verständlichkeit ist also zu einem beträchtlichen Teil eine Frage der wechselseitigen Abstimmung von Kommunikationspartnern“ (Schäflein-Armbruster, 1994, S. 495). Auf welcher Grundlage diese Kooperation zwischen Kommunikationspartnern abläuft, dazu schauen wir uns im Folgenden zwei wichtige theoretische Ansätze an.
3.3 Rationale VerständigungVerständigung
Dass Verständigung im Gespräch ein kooperatives Unternehmen ist, haben vor allem einige Philosophen herausgearbeitet, deren Ideen in der Sprachwissenschaft aufgenommen wurden. Ich referiere zwei Ansätze: die Konversationsmaximen von Paul Grice und die Geltungsansprüche von Jürgen Habermas.
Das KooperationsprinzipKooperationsprinzip und seine MaximenMaximen
Der Philosoph Paul Grice (1975) hat sich Gedanken darüber gemacht, welche Bedingungen für sprachliche Kommunikation (talk exchange) gelten. Als übergeordnetes Prinzip, das alle Äußerungen der Gesprächspartner anleiten soll, formuliert er ein KooperationsprinzipKooperationsprinzip: „Make your conversational contribution such as is required at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged“ (S. 307). Dieses allgemeine Prinzip wird durch vier Gesprächsmaximen konkretisiert, die sich wiederum in verschiedene Untermaximen aufteilen:
1. Quantität. Sage so viel wie nötig und sage nicht zu viel! Sage etwas, was für den Zuhörenden wirklich neu ist! Sage nichts, was dem Zuhörenden bereits bekannt ist! – Das Einhalten dieser Maxime verlangt vom Sprechenden eine Einschätzung des Wissens des Adressaten und eine Berücksichtigung dieses Wissens. Eine nachhaltige Störung kann aus Unterstellungen resultieren: Der Sprecher setzt mit seinen Äußerungen beim Hörer Wissen voraus, über das dieser nicht verfügt.
2. Qualität. Äußere nichts, was du nicht für wahr hältst! Signalisiere, welchen Grad an Wahrscheinlichkeit das Gesagte hat! Vor allem: Lüge nicht! – Es dürfte klar sein, dass Lügen die stärkste Bedrohung für ein Gespräch darstellt: Wer möchte sich mit jemandem auseinandersetzen, dessen Äußerungen ständig den Verdacht der Lüge oder Täuschung erregen?
3. Relation/Relevanz. Sage nur Relevantes, das Bezug zum anerkannten Zweck des Gesprächs hat! Sage dem Adressaten nur etwas, von dem du annehmen kannst, es sei für ihn wichtig! – Grice selbst hat diese Maxime nicht weiter ausgeführt, in der Relevanztheorie von Sperber & Wilson (1995) wird sie als die zentrale Maxime ausführlich behandelt, der alle anderen untergeordnet sind. Die Maxime zielt auf einen thematischen Zusammenhang ab.
4. Modalität. Gestalte deine Äußerung verständlich, d.h. vermeide Unklarheit, Mehrdeutigkeit, Weitschweifigkeit und Ungeordnetheit! Hier geht es um die Art und Weise, wie etwas gesagt wird, und das sind Aspekte der Verständlichkeit, die wir später aufgreifen. Grice formuliert hier sehr allgemein. Was soll man unter Unklarheit verstehen? Und wann ist eine Äußerung weitschweifig? Die Maxime der Modalität greift eine Tugend der elocutio in der klassischen RhetorikRhetorik auf (Asmuth, 2009): Die Rede soll perspicuitas besitzen, das heißt wörtlich Durchsichtigkeit, sie soll verständlich formuliert sein. Grice verwendet das entsprechende Adjektiv „perspicuous“.
Die Rezeption von Grice tut sich bis heute schwer, den Status dieser MaximenMaximen zu fassen, da auch der Autor selbst unklar bleibt. Grice hat sich bei der Einteilung der Maximen von Kant inspirieren lassen. Eine Maxime ist nach Kant ein subjektiver Grundsatz als vernünftiges Prinzip des Handelns. Formuliert sind die Maximen als allgemeingültige Imperative „Be relevant!“, „Avoid obscurity!“, „Be orderly!“, sozusagen als Vorschriften. Andere Autoren sehen in den Maximen ethische Postulate für eine rationale VerständigungVerständigung, eine Art kommunikativer Ethik. Da Grice auch von „conversational game“ spricht, kann man die Maximen auch als Spielregeln auffassen. Die meisten Autoren sind sich darin einig, dass man sie nicht normativ oder präskriptiv interpretieren darf. Dem widerspricht aber, dass Sanktionen erfolgen, wenn man die Maximen verletzt.
Noch konfuser wird es, wenn man über Herkunft und Geltung dieser MaximenMaximen nachdenkt: Sind es universelle Regulative, die für alle sprachlichen Äußerungen gelten, oder kulturelle Konventionen, sozusagen gelernte Gewohnheiten? Kognitiv werden sie als wechselseitige kollektive Erwartungen, verinnerlichte Annahmen oder rationale Unterstellungen bezeichnet. Wie wir aus Berichten zur interkulturellen KommunikationKommunikationinterkulturell wissen, verläuft in anderen Kulturen ein Gespräch anders (z.B. Weitschweifigkeit in arabischen Ländern oder Zurückhaltung in asiatischen Kulturen). Grice selbst hat eingeräumt, dass seine Maximen ergänzt oder modifiziert werden müssen.
Die Befolgung des KooperationsprinzipsKooperationsprinzip und seiner MaximenMaximen wird bei jedem Gesprächspartner unterstellt – solange man ihn für „rational“ und an Verständigung interessiert hält. Wie wir bereits ausgeführt haben, setzt das Kooperationsprinzip VertrauenVertrauen als Grundbedingung jeder Kommunikation voraus (Juchem, 1988).
Bei der Analyse von Gesprächen fällt auf, dass viele Äußerungen den Maximen von Grice nicht gehorchen, es gibt andauernd Verletzungen aus Höflichkeit, Feigheit, Unwissenheit, Unaufrichtigkeit usw. Folgende Fälle eines Verstoßes gegen Maximen sind möglich:
Unbewusste Verletzung liegt vor, wenn ein Sprecher egozentrisch und nicht adressatenorientiert formuliert. Er ist sich keiner Schuld bewusst, aber redet an seinen Adressaten vorbei. Das ist oft bei Experten der Fall.
Bewusster Ausstieg liegt vor, wenn ein Sprecher eine Maxime explizit außer Kraft setzt, z.B. durch die Ankündigung, dass das Thema so kompliziert ist, dass er es nicht einfach formulieren kann.
Kollision liegt vor, wenn zwei Maximen nicht gleichzeitig eingehalten werden können, z.B. kann die Beachtung der Maxime der Modalität dazu führen, dass ein Sprecher die Maxime der Relation nicht einhalten kann: Er muss weit ausholen, damit das Gesagte verstanden wird.
Bewusster Verstoß liegt vor, wenn eine Maxime nicht erfüllt wird, um eine spezielle Mitteilung zu kommunizieren. Bei einem offensichtlichen Verstoß gegen eine Maxime versuchen wir aufgrund der RelevanzannahmeRelevanzannahme den Gesprächsbeitrag so zu verstehen, dass das KooperationsprinzipKooperationsprinzip gewahrt bleibt: Wir interpretieren die Äußerung um, damit sie einen Sinn innerhalb des Gesprächs bekommt.
In einem Gespräch fällt die Äußerung (8), die gegen die Maxime der Quantität verstößt. Der Satz ist tautologisch (gr. t’auton legein = dasselbe sagen) und enthält eigentlich keine Information.
(8) | „Wenn Karl etwas verspricht, dann verspricht er es.“ |
Wenn wir annehmen können, dass der Sprecher fähig ist, das KooperationsprinzipKooperationsprinzip einzuhalten, dann muss die gemeinte Bedeutung über die wörtliche Bedeutung hinausgehen. Aufgrund von VorwissenVorwissen, dem Vorgespräch oder der Situation kann die Äußerung so den Sinn bekommen: Auf Karl ist Verlass, wenn der etwas verspricht, dann hält er es auch.
Damit