Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit. Steffen-Peter Ballstaedt

Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit - Steffen-Peter Ballstaedt


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Hochschulprüfung klar (vgl. Burkhart, 2002, S. 439). Die Verständlichkeit wird verletzt, wenn der Prüfer unklare Fragen formuliert oder der Prüfling verworren antwortet. Relativ unproblematisch ist die Wahrheit, da man im Rahmen einer Prüfung unterstellt, dass wissenschaftlich bestätigte Aussagen gemacht werden. Die unterstellte Aufrichtigkeit wird verletzt, wenn der Professor nicht neutral prüft, sondern Fangfragen stellt, um den Kandidaten durchfallen zu lassen. Die Angemessenheit wird verletzt, wenn der Professor in der Prüfungssituation persönliche oder gar intime Themen anspricht.

      Erkennbar wird ein Geltungsanspruch bei Problematisierung durch die Adressaten, der Sprecher muss dann auf die oben angeführten kritischen Fragen antworten und sich rechtfertigen. Dabei wird wieder der Dreischritt der Verständigung durch Methoden der Verständnissicherung relevant.

      Ideale Sprechsituationideale Sprechsituation. Verständigung im Diskurs verlangt nach Habermas bestimmte Voraussetzungen in der Kommunikationssituation:

      1 Die Teilnehmenden dürfen nicht von offener oder verdeckter strategischer Kommunikation Gebrauch machen.

      2 Es darf keine Zwänge von außen auf die Teilnehmenden am Diskurs geben, z.B. durch Gewalt, Geld, Autorität.

      3 Jeder muss die gleiche Chance haben, seine Aussagen einzubringen und zu begründen sowie Geltungsansprüche anderer zu problematisieren.

      Diese Kommunikationssituation ist ein theoretisches Konstrukt: Weder wird die ideale Sprechsituationideale Sprechsituation in der Gesellschaft oft Wirklichkeit, noch werden die unterstellten GeltungsansprücheGeltungsansprüche eingehalten, denn in fast allen Gruppen gibt es Status- und Machthierarchien. Diesem Einwand begegnet Habermas mit dem Argument, dass er „kontrafaktisch“ rekonstruieren möchte, unter welchen theoretischen Voraussetzungen Verständigung überhaupt möglich ist.

      Kommunizieren wir rational?

      Für die Ansätze von Grice und von Habermas ist der Begriff der RationalitätRationalität von zentraler Bedeutung, er bildet die Grundlage der KooperationKooperation.

      Für Grice ist das Gespräch eine Form des rationalen Handelns: „As one of my avowed aims is to see talking as a special case or variety of purposive, indeed rational behavior“ (Grice, 1968, S. 308). Das Befolgen der MaximenMaximen setzt Beteiligte voraus, die ihre Beiträge zweckrational auf das gemeinsame Ziel ausrichten und sachlich und nüchtern nur das Notwendigste aussprechen. Weitschweifige Ausführungen, übertriebene Ausschmückungen und emotionale Ausbrüche sind nach diesen Maximen keine rationalen Beiträge. Selbst das Nichteinhalten einer Maxime hat ein vernünftiges Ziel: Es soll die Adressaten zu einer Uminterpretation anregen.

      Der Theorie von Habermas liegt noch deutlicher als bei Grice ein rationales Menschenbild zugrunde: Menschen sind an Verständigung im Sinne von EinverständnisEinverständnis interessiert und die Sprache ist das Werkzeug eines rationalen Gesprächs. Die Einhaltung der universellen GeltungsansprücheGeltungsansprüche kann im Gespräch problematisiert und muss dann argumentativ begründet werden. In der idealen Sprechsituationideale Sprechsituation sind strategische, also persuasive Beiträge ausgeschlossen. Der rationale Diskurs à la Habermas ist allerdings ein eher seltenes Ereignis.

      Mit guten Gründen kann man bezweifeln, ob sprachliche Kommunikation auf Verständigung angelegt ist. Kommunikation dient vielmehr primär der Persuasion. Schon im Alltag versuchen wir andauernd, andere durch unsere Äußerungen zu beeinflussen: Es gibt Befehle, Bitten, Schmeicheleien, Drohungen, Lügen usw. Die RhetorikRhetorik dient ausdrücklich der effektiven sprachlichen Beeinflussung.

      Ein Philosoph, der den Primat der Persuasion vehement vertreten hat, ist Fritz Mauthner (1982b, S. 444): „Die Sprache ist etwas zwischen den Menschen, ihr Zweck ist MitteilungMitteilung. Aber die Mitteilung kann ja nicht selbst Zweck sein, sie ist es nur beim Schwätzer. Immer wollen wir – wenn auch oft indirekt und unbewusst – das Denken und damit das Wollen des anderen Menschen nach unserem Denken und Wollen, das heißt nach unserem Interesse beeinflussen. Der Zweck der Sprache ist also Beeinflussung, Willens- oder Gedankenlenkung, mit einem Modewort: Suggestion.“

      Die rationale VerständigungVerständigung dürfte eine spätere Erwerbung sein, die zudem immer durch strategische Intentionen gefährdet ist.

      3.4 Gespräche verständlich machen

      Zur kommunikativen KompetenzKompetenz gehören zahlreiche Fähigkeiten, die wie andere Schlüsselqualifikationen durch Üben zumindest in bestimmten Grenzen gelernt werden können. Werfen wir einen kurzen und oberflächlichen Blick auf die Angebote zur Verbesserung der sprachlichen Kommunikation. Dabei muss man zwischen außerwissenschaftlicher Ratgeberliteratur und wissenschaftlich fundierten Ansätzen unterscheiden, obwohl die Übergänge durchaus fließend sind (vgl. Antos, 1996).

      Ratgeberliteratur. In jeder Fachbuchhandlung findet man ein Regal mit Kommunikationsratgebern. Sie sind meist nicht völlig wissenschaftsfern, denn die Ansätze von Paul Watzlawick et al. (1982) und Schulz von Thun (1981) werden fast immer berücksichtigt. Aber die Kommunikationstrainer und -trainerinnen verfügen oft über keine sprach- oder kommunikationswissenschaftliche Ausbildung. Der theoretische Hintergrund bleibt handgestrickt (Antos, 1996). Die praktischen Ratschläge und Übungen – oft Rollenspiele – sind aber durchaus nützlich und haben sich auch bewährt. Im Fokus stehen dabei folgende Fähigkeiten:

       das aufmerksame, aktive Zuhören

       das Beachten der nonverbalen Kommunikation

       das paraphrasierende Rückmelden, überhaupt das Feedback

       das Nutzen der Metakommunikation bei Konflikten

      Meist steht die Optimierung der eigenen strategischen Fähigkeiten im Zentrum, wie schon die reißerischen Titel anzeigen, ein Beispiel: „Kommunikationstraining: Mit Kommunikation überzeugen – Wie Sie mit Selbstbewusstsein, Schlagfertigkeit, Smalltalk und Körpersprache zwischenmenschliche Beziehungen erfolgreich gestalten“ (Magnus, 2017). Oft wird eine Schrumpf-Rhetorik angeboten, die einzig das Überreden zum Ziel hat und weit vom Leitbild einer rationalen und verständlichen Kommunikation entfernt ist (z.B. Rommer, 2018).

      Wissenschaftliche Ansätze. Die Linguistik hat die VerständnissicherungVerständnissicherung in der mündlichen Kommunikation bisher vernachlässigt und das Praxisfeld den Psychologen überlassen. Hier ist als Erstes der vierbändige Bestseller „Miteinander Reden“ von Schulz von Thun (1981) zu nennen, der sich trotz Kritik im Detail durchgesetzt hat. Die Verständlichkeit spielt in dem Ansatz eine zentrale Rolle (dazu die Hamburger Verständlichkeitskonzeption Kap. 11.5). Auch in der Kommunikationsoptimierung bei Hans Strohner (2006) ist neben Instruktion und Persuasion die Verständlichkeit „eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen einer Kommunikation und wird deshalb besonders intensiv erforscht“ (S. 84). In anderen Ansätzen zum Gesprächstraining spielt die Verständlichkeit eine marginale Rolle (z.B. bei Flammer, 1997; Fiehler & Schmitt, 2004; Franck, 2017).

      Nachgefragt werden kommunikationsbezogene Dienstleistungen vor allem aus dem Bereich der Unternehmens- und Verwaltungskommunikation, wenn Probleme mit Kunden oder innerhalb der Institution auftreten. Aber auch in der didaktischen Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler (Vogt, 2011) oder der medizinischen Kommunikation zwischen Arzt und Patient (Sator & Spranz-Fogasy, 2011) gibt es Bemühungen um Verständigung und Verständlichkeit.

      In der klientenzentrierten Gesprächstherapie ist das einfühlende Verstehen der verbalen Äußerungen des Klienten eine wichtige Voraussetzung für die Psychotherapie. In der Gesprächsführung paraphrasiert der Therapeut Äußerungen des Klienten. Dieses Gesprächsverhalten dient zwei Zielen: 1. Der Therapeut soll seinen Klienten tatsächlich verstehen und sich in seine Welt hineindenken, die Rückmeldung ist eine kommunikative Validierung. 2. Indem der Therapeut dem Klienten sein Erleben zurückspiegelt, verhilft er ihm zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit sich selbst. Diese Variable des Therapeutenverhaltens hat eine nachweisbare Wirkung auf das Ausmaß der Selbstexploration beim Klienten (Tausch, 1968).

      Bei journalistischen Interviews werden in der Gesprächsführung Fragetechniken eingesetzt, um unklare


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