Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit. Steffen-Peter Ballstaedt
der Überalterung – oder politisch korrekt Unterjüngung – unserer Gesellschaft treten alte Menschen nicht nur als große Adressatengruppe für soziale und gesundheitsbezogene Dienstleistungen auf, sondern sie wurden auch als kaufkräftige Zielgruppe entdeckt. Den Anfang machten Bücher im Großdruck, inzwischen wird darüber geforscht, auch Gebrauchsanleitungen für Handys oder altersspezifische Produkte seniorengerecht zu schreiben und zu gestalten (Schwender, 2013). Die Adressatengruppe der Senioren ist in ihren Bedürfnissen und Merkmalen gut untersucht. Während Fähigkeiten der als angeboren konzipierten fluiden Intelligenz nachlassen (Kurzzeitgedächtnis, Verarbeitungskapazität, induktives und deduktives Denken), bleiben erworbene Fähigkeiten der kristallinen Intelligenz (Wissen, Erfahrung) erhalten bzw. können sich sogar verbessern. Ältere Menschen müssen für bestimmte kognitive Leistungen mehr Ressourcen aktivieren, sie sind dadurch oft langsamer oder – positiv ausgedrückt – bedächtiger.
Van Horen et al. (2001) verglichen eine Gruppe von 20-30-Jährigen mit einer Gruppe von 60-70-Jährigen bei der Nutzung einer Gebrauchsanleitung für einen Video-Kassetten-Rekorder. Die Senioren machten mehr Fehler als die jüngeren Vpn, wenn die Anordnung von Gerätekomponenten nicht eindeutig beschrieben war und wenn der Sinn einer geforderten Handlung nicht ausdrücklich genannt wurde. Offenbar können jüngere Personen diese Informationen eher erschließen, während sie für ältere Personen ausdrücklich formuliert werden sollten.
Menschen mit BehinderungKommunikationbarrierefrei. Barrierefreie Kommunikation für Menschen mit besonderen Bedürfnissen ist in der BRD im §. 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) definiert:
„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“ (BGG, 2002).
Was Kommunikate betrifft, z.B. Nachrichten, Gesundheitsinformationen oder Anleitungen für Geräte, so sollen sie zugänglich und mit eigenen Ressourcen verständlich sein (Schum, 2017). In digitalen Medien lassen sich Texte für sehr unterschiedliche Bedürfnisse barrierefrei aufbereiten und zur Verfügung stellen (Peter, 2013). Mit assistiver Software können Texte für Blinde in Braille-Schrift präsentiert oder in gesprochene Sprache übersetzt werden, für Hörbehinderte in Gebärdensprache. Für kognitive Behinderungen ist eine Leichte Sprache entwickelt worden, die nur einfache Wörter und Sätze umfasst (siehe Kapitel 11.3).
Menschen anderer Kulturen. Im Zuge der Globalisierung und der Migration hat sich die Sensibilität für interkulturelle KommunikationKommunikationinterkulturell verstärkt. Das gilt auch für informative Texte, die in andere Sprachen übersetzt werden. Dabei reicht eine korrekte Übersetzung eines Textes zur Verständlichkeit oft nicht aus, der Text muss auch kulturspezifischen Besonderheiten angepasst werden. Man spricht in diesem Fall von Lokalisierung (Göpferich, 2002). Es gibt zahlreiche Unterschiede, die zu Missverständnissen in der Kommunikation führen können (Heringer, 2004): unterschiedliche Bedeutungsnuancen von Wörtern (KonnotationenKonnotation), verschiedene MentalitätenMentalität, inhaltliche Tabus, abweichende Konventionen usw. Interkulturelle KompetenzKompetenzinterkulturell wird heute als eine kommunikative Schlüsselqualifikation angesehen, sie ist das Vermögen, „mit fremden Kulturen und ihren Angehörigen in adäquater, ihren Wertesystemen und Kommunikationsstilen angemessener Weise zu handeln, mit ihnen zu kommunizieren und sie zu verstehen“ (Lüsebrink, 2008, S. 9).
Frauen. In der Werbung oder dem Marketing für geschlechtsaffine Produkte sind Frauen schon lange eine spezielle Zielgruppe mit direkter Ansprache. Bei wissenschaftlichen Texten und technischen Dokumenten wird zunehmend eine Sprache gefordert, die Frauen als Adressatinnen in den Formulierungen berücksichtigt. Die meisten Sprachen, auch die deutsche, behandeln Männer und Frauen nicht gleich. „Teils sind diese Asymmetrien Relikte aus Zeiten, als Frauen tatsächlich Menschen zweiter Ordnung waren. Teils spiegeln sie frühere Versuche, zu den Frauen ganz besonders nett zu sein. Diskriminieren heißt wörtlich ‚unterscheiden‘. Ob aus Missachtung oder Hochachtung: Wir sprechen wohl oder übel eine Sprache, welche Unterschiede macht“ (Zimmer 1998, S. 67). Demgegenüber gibt es Bestrebungen, die geschlechtliche Ungleichbehandlung zu vermeiden (Hellinger & Bierbach, 1993). Dabei sind zwei allgemeine Richtlinien leitend:
Sprachliche Sichtbarmachung. Wo von Frauen die Rede ist, muss dies auch sprachlich zum Ausdruck kommen.
Sprachliche Symmetrie. Wo von Frauen und Männern die Rede ist, müssen beide verbal gleich behandelt werden.
Die Umstellung auf eine geschlechtergerechte Sprache bereitet zunächst Schwierigkeiten. Eine beliebte Möglichkeit, sich um eine geschlechtergerechte Sprache zu drücken, ist eine Generalklausel: „Aus Gründen der Verständlichkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beide Geschlechter.“ Oder noch kecker: „Bei Verwendung der männlichen Formen sind die Frauen immer mitgemeint.“ Aber sind sie das tatsächlich? Und verstehen sich Frauen einbezogen?
Untersuchungen mit unterschiedlichen Methoden belegen, dass beim Lesen generischer Maskulina häufiger an Männer als an Frauen gedacht wird. Werden Personen danach gefragt, wer ihr beliebtester Maler oder Sportler sei, dann variiert die Anzahl der genannten Frauen signifikant in Abhängigkeit davon, ob mit dem generischen Maskulinum oder geschlechtsneutralen Formulierungen gefragt wird. Beim generischen Maskulinum werden kaum Frauen genannt (Irmen & Steiger, 2006). Andere Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, dass sich Leserinnen durch die männlichen Formen weniger angesprochen fühlen. Beispiele: Frauen werden von Stellenanzeigen, die das generische Maskulinum verwenden, weniger zu einer Bewerbung motiviert. Mädchen zeigen ein größeres Interesse an einem Beruf, wenn er geschlechtsneutral beschrieben wird (Bem & Bem, 1973).
Versteht man die AdressatenorientierungAdressatenorientierung als ein Grundprinzip professioneller Kommunikation, dann ist das Anliegen der feministischen Linguistik, Frauen sprachlich sichtbar zu machen, durchaus berechtigt. Oft wird als Argument gegen geschlechtergerechte Sprache vorgebracht, dass unter ungewohnten und umständlichen Formulierungen Leserlichkeit und Verständlichkeit leiden. Die deutsche Sprache macht es auch gutwilligen Gendern nicht leicht, vor allem die Pronominalisierung (Wer hat seinen Lippenstift liegen lassen?) oder Komposita (Rednerinnenpult) stellen Schreibende vor verzwickte Aufgaben.
Zur Verständlichkeit gibt es einige Untersuchungen, deren Ergebnisse sich so zusammenfassen lassen: Zwischen Texten mit generischem Maskulinum und unterschiedlichen Alternativformulierungen gibt es keine Unterschiede in der subjektiven Verständlichkeit (Rothmund & Christmann, 2002). Dieser Befund konnte mit Nachrichtentexten repliziert werden (Blake & Klimmt, 2010). Beim Binnen-I (LeserIn) war allerdings die Lesezeit langsamer. Das verweist darauf, dass ungewohnte Wörter und Wortformen (z.B. Frauschaft statt Mannschaft, BürgerInnen) und ungewöhnliche grammatische Konstruktionen zusätzlichen Verarbeitungsaufwand erfordern.
Der Duden, konkret Gabriele Diewald & Anja Steinhauer (2017), hat Vorschläge vorgelegt, die auf drastische Eingriffe in die Sprachgewohnheiten verzichten: Doppelnennungen (Dozentinnen und Dozenten), Abwechseln in festen Wendungen (Damen und Herren, Herren und Damen), substantivierte Partizipien (Dozierende, Gewählte), sexusindifferente Wörter (Fachkraft, Person) und andere Ersatzformen. Obwohl ein drittes Geschlecht „divers“ in das Personenstandrecht eingeführt wurde, fühlen sich viele Intersexuelle sprachlich nicht repräsentiert. Die Berücksichtigung weiterer Geschlechtsidentitäten durch das Gendersternchen (Lehrer*innen) oder das Gendergap (Lehrer_innen) verletzt orthografische Regeln und ist zudem nicht aussprechbar. Man sollte sich rückbesinnen, dass mit dem generischen Maskulinum eine Gattung oder Gruppe bezeichnet wird, in der das biologische Geschlecht, welcher Art auch immer, keinerlei Rolle spielt.
Man kann in der Einführung einer gendergerechten Sprache einen natürlichen Prozess des Sprachwandels sehen, der mit der Abschaffung des Fräuleins in den 80er Jahren begann und irgendwann zur Norm werden wird. Die Verständlichkeit wird darunter wenig leiden, wenn auf gendergroteske Sprachverirrungen