Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit. Steffen-Peter Ballstaedt

Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit - Steffen-Peter Ballstaedt


Скачать книгу
Hierunter versteht man Merkmale, die eine Person gesellschaftlich und wirtschaftlich beschreiben: Geschlecht, Alter, Einkommen, Ausbildung, Beruf u.a. Diese Variablen sind interessant, sofern sie mit kognitiven Eigenschaften verbunden sind. So bringen Absolventen der Hauptschule meist schlechtere sprachliche Kompetenzen mit als Absolventen einer Hochschule. Senioren haben oft eingeschränkte Gedächtnisfähigkeiten, die das Verstehen von Texten beeinflussen und beim Schreiben berücksichtigt werden können.

      Lesemotivation. Hier geht es um die Frage, mit welchem MotivMotiv und welchen konkreten IntentionenIntention ein Adressat zu einem Text greift. Lesen ist kein Selbstzweck, es ist in umfassendere Handlungen und Zielsetzungen eingebettet (Ballstaedt & Mandl, 1985). Die motivationalen Voraussetzungen spielen eine erhebliche Rolle, wenn es um den Einsatz von mentalen Ressourcen geht.

       Welche Motive, Bedürfnisse und Vorlieben bringt ein AdressatAdressat mit?

       Welche Aufgaben möchte er mit der Lektüre lösen: Nachschlagen, Lernen, Diskutieren, Reparieren?

       Wird der Text freiwillig oder gezwungen gelesen?

       Wie kann man die Adressaten über den Text motivieren?

      Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht nur für eine stimulierende Formulierung, sondern auch für die visuelle Gestaltung, also Typografie und Layout, eines Textes relevant.

      VorwissenVorwissen. Das Vorwissen ist die wichtigste Voraussetzung für das Verstehen eines Textes: Wer neue Informationen in vorhandene Wissensstrukturen einbetten kann, der versteht und lernt besser.1 Diese kognitionspsychologische Erkenntnis hat bereits der Pädagoge Johann Friedrich Herbart (1920) vorweggenommen, er nannte das vorhandene Wissen die „apperzeptive Masse“, in die neues Wissen und neue Erfahrungen integriert werden. Wir haben es mit zwei Fällen zu tun:

      1. Das VorwissenVorwissen ist vorhanden, bleibt aber ungenutzt, Lernpsychologen sprechen auch von trägem Wissen, das erst aktiviert werden muss (Mandl, Gruber & Renkl, 1993). Das ist z.B. über einen vorangestellten Text möglich, der Vorwissen und Vorerfahrungen anspricht, einen sogenannten Advance Organizer (ausführlich Kap. 9.2).

      2. Oft ist das notwendige VorwissenVorwissen bei den AdressatenAdressat nicht vorhanden. Ein neues wissenschaftliches Ergebnis oder ein aktuelles politisches Ereignis bleiben unverständlich, wenn das Hintergrundwissen fehlt. Der Absender kann hier wenig tun, um für das notwendige Vorwissen zu sorgen: Die Journalisten versuchen dies mit Info-Kästen, Wissenschaftler haben es schwerer, da das Vorwissen oft in der Alltagssprache kaum vermittelbar ist.

      Vor allem Experten überschätzen gern das VorverständnisVorverständnis ihrer Adressaten. Folgende Fragen sind für verständigungsorientierte Absender relevant:

       Welche Ausbildung und welche Abschlüsse liegen bei den AdressatenAdressat vor?

       Handelt es sich um Laien, professionelle Nichtexperten, Experten?

       Welches Wissen kann nicht vorausgesetzt werden?

       An welches Vorwissen kann man anknüpfen?

      Die Einschätzung des Vorwissens ist grundlegend für jede fachliche Kommunikation, da eine effektive Mitteilung immer vorhandenes Wissen aktiviert und daran anknüpft. Ein und derselbe Text kann für eine Person verständlich, für eine andere mit mangelndem Vorwissen völlig unverständlich sein.

      Sprachkompetenzen. KompetenzenKompetenz haben die Eigenart, sich immer weiter aufzufächern, und so lassen sich auch hier verschiedene Unterkompetenzen unterscheiden, die man auch unter dem Dach der Literalität (literacy) zusammenfassen kann (Groeben & Hurrelmann, 2009).

      Zunächst geht es um das SprachwissenWissenSprach- in unserem Kommunikationsmodell, die mehr oder minder ausgeprägte Beherrschung des Zeichensystems Sprache. Die Verwendung einer Sprache unterscheidet sich innerhalb eines Sprachraums gewaltig. Unterschiede zwischen der mündlichen Sprache und der Schriftsprache haben wir bereits angeführt. In der älteren Soziolinguistik unterschied man eine elaborierte (= ausgearbeitete) und eine restringierte (= eingeschränkte) Sprache (Bernstein, 1964). Die elaborierte Sprache zeichnet sich durch einen großen Wortschatz und komplexe grammatische Konstruktionen aus, die restringierte Sprache durch einen kleineren Wortschatz und einfache Satzkonstruktionen. Diese Einteilung ist jedoch recht grob und berücksichtigt nur Extreme in einem Kontinuum sprachlicher Differenzierung.

      Weiter umfasst die Sprachkompetenz den Umgang mit Texten. Unter Lesekompetenz versteht die PISA-Studie „die Fähigkeit, geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren Absichten und ihrer formalen Struktur zu verstehen und sie in einem größeren sinnstiftenden Zusammenhang einzuordnen, sowie in der Lage zu sein, Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht zu nutzen“ (Baumert, Stanat & Demmrich, 2001, S. 22). Es geht also um Verstehenskompetenz, die bisher vor allem bei literarischen Texten untersucht wird (Frederking, 2010). Wie wir später sehen, kann sie am besten als Fähigkeit beschrieben werden, aufgrund von Texten darüberhinausgehende Schlussfolgerungen zu ziehen.

      Die folgenden Fragen sollte ein Autor vor dem Schreiben für sich beantworten:

       Von welcher Lesefähigkeit kann man ausgehen (niedrig, mittel, hoch)?

       Pflegen die Adressaten einen eher elaborierten oder restringierten Sprachgebrauch?

       Kann die fachsprachliche Terminologie vorausgesetzt werden?

      Der Sprachgebrauch spielt nicht nur für verständliche Formulierungen eine Rolle, sondern auch für die Beziehungsebene der Kommunikation. Es entsteht eine DiktionsdistanzDiktionsdistanz zwischen Absender und Adressat, wenn der Sprachgebrauch weit voneinander abweicht: Die Adressaten empfinden einen Text dann entweder als abgehoben und arrogant oder als anbiedernd und distanzlos (Siddiqi, 1977).

      Persönlichkeit, MentalitätMentalität. In der mündlichen Kommunikation spielt das personale WissenWissenpersonal eine wesentliche Rolle: Das ImageImage, das ein Absender von seinem Adressaten hat, umfasst auch das Wissen, dass ein Gegenüber z.B. neugierig, konservativ, introvertiert, depressiv usw. ist. In der schriftlichen Kommunikation können solche Merkmale nur in Sonderfällen berücksichtigt werden, z.B. muss ein Sachbuch mit dem Titel „Wie komme ich aus meiner Depression“ anders geschrieben werden als ein Buch mit dem Titel „Scharfe Cocktails für die nächste Party“. Die Mentalität und die weltanschauliche Ausrichtung der Adressaten kann in Zeiten der political correctness bei Wortwahl oder Formulierung erhebliche Kommunikationsprobleme nach sich ziehen.

      Prozedurales VorwissenVorwissen. Bei Instruktionstexten wie BedienungsanleitungenBedienungsanleitung oder Kochrezepten sind motorische Voraussetzungen wichtig. Dabei geht es um das Handlungswissen und das motorische Können einer Person: Welches Repertoire an Handlungen kann vorausgesetzt und wie differenziert können diese ausgeführt werden (z.B. Feinmotorik).

       Welche Handlungen und Handgriffe sind automatisiert?

       Wie sieht es mit Geschicklichkeit und Feinmotorik aus?

      Die Beantwortung dieser Fragen ist wichtig, um die richtige Ebene der Handlungsbeschreibung oder -anweisung zu treffen. Ungewohnte Handlungen müssen detailliert beschrieben und angeleitet werden, gewohnte Handlungen muss man nur benennen (Kap. 8.6).

      Eine Adressatenanalyse wird zwar von allen Kommunikationsexperten als wichtig erachtet, aber oft nur oberflächlich durchgeführt. Meist werden die Voraussetzungen der Adressaten in einer Arm-Chair-Analyse ergrübelt. Dabei handelt es sich nur um mehr oder minder wahrscheinliche Mutmaßungen, die so gut oder schlecht sind, wie der Autor bzw. die Autorin die potenziellen Adressaten aus eigener Erfahrung kennt. Einige empirische Methoden der Adressatenanalyse werden im Kap. 11.2 vorgestellt.

      Zusatzmaterial 2: Übung zum adressatenorientierten Schreiben

      Spezielle Adressatengruppen

      In den letzten Jahren haben einige Adressatengruppen besondere


Скачать книгу