Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit. Steffen-Peter Ballstaedt

Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit - Steffen-Peter Ballstaedt


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oder hineininterpretieren. Derart erschlossene Bedeutungen von Äußerungen innerhalb eines Gesprächs bzw. einer Konversation nennt Grice konversationelle ImplikaturenImplikatur, wir kommen im Kapitel 6.5 auf sie zurück. Der Verstoß gegen eine Maxime ist sozusagen eine Anregung zur InterpretationInterpretation. Erst wenn ein Sprecher permanent gegen MaximenMaximen verstößt, muss er mit Konsequenzen rechnen. Wer z.B. oft vom Thema abschweift (Relation) oder beim Lügen erwischt wird (Qualität), der muss Ermahnungen und Sanktionen bis zum Ausschluss aus der Kommunikation hinnehmen. Die Wacht über das Einhalten der Maximen kann einem Moderator bzw. einer Moderatorin übertragen werden. Sie dürfen bei Abweichungen vom Thema oder bei Unklarheiten den Sprechenden unterbrechen.

      Werfen wir einen abschließenden Blick auf die Maxime der Modalität, die die Verständlichkeit thematisiert. Nach Grice unterstellen wir unseren Gesprächspartnern, dass sie sich darum bemühen, verständlich zu formulieren. Wenn sie etwas schwer Verständliches äußern, veranlasst uns das, nach einer zutreffenden InterpretationInterpretation zu suchen. Nach Grice gibt der Absender mit einer schwer verständlichen Formulierung sozusagen einen Denkanstoß.

      Die Beispiele, die Grice benutzt, stammen durchweg aus der Literatur, es geht um mehrdeutige und umständliche Formulierungen. Ein anderes Beispiel sind unverständliche Sentenzen, z.B. Koans im Zen-Buddhismus, die zu tieferen Einsichten führen sollen. Auf die fachliche Kommunikation ist das Argument der Denkanregung aber nicht übertragbar, hier ist Verständlichkeit eine Grundbedingung der Kommunikation.

      Unter der Geltung des KooperationsprinzipsKooperationsprinzip darf der Absender allerdings nicht zu weit gehen: „I must intend my partner to understand what I am saying despite the obscurity I import into my utterance“ (Grice, 1968, S. 313).

      Universelle GeltungsansprücheGeltungsansprüche

      Im deutschen Sprachraum hat der Philosoph Jürgen Habermas (1988) eine Theorie kommunikativen Handelns entwickelt, bei der allerdings die Verständlichkeit eine marginale Rolle spielt. Zentrale Funktion der menschlichen Kommunikation ist auch für Habermas die Verständigung zwischen mindestens zwei Menschen im Gespräch. Verständigung hat zwei Bedeutungen:

      Gegenseitiges Verstehen. Darunter versteht man das wechselseitige Bemühen von Absender und Adressat um Verständigung durch Rückfragen, wiederholte Paraphrasierung, Metakommunikation usw. Wechselseitiges Verstehen bedeutet nicht unbedingt Einverständnis! Oft versteht man, was der andere meint, aber stimmt mit ihm nicht überein.

      EinverständnisEinverständnis. Hier geht Verständigung über das wechselseitige Verstehen hinaus: Ziel ist die gemeinsame argumentative Erarbeitung eines Einverständnisses im Gespräch. Im Idealfall ist das ein Konsens (lat. consentire = übereinstimmen), oft aber nur ein fairer KompromissKompromiss, dem beide Seiten zustimmen können.

      Die Theorie der Kommunikation von Habermas ist in eine Gesellschaftstheorie eingebettet. Diese blenden wir hier aus und fokussieren auf die rationale VerständigungVerständigung. Habermas unterscheidet zwei Grundformen der Kommunikation mit unterschiedlichen Zielen: Die verständnisorientierte Kommunikation ist auf Konsens aus, die strategische KommunikationKommunikationstrategisch auf Persuasion. Dem entspricht unser ÜberzeugenÜberzeugen und ÜberredenÜberreden als zwei Grundfunktionen der Sprache. Für Habermas dient die Sprache vor allem der Verständigung, die sprachliche Kommunikation ist „auf Konsensbildung, nicht auf Beeinflussung angelegt“. Die Sprache ist sozusagen das Werkzeug der Rationalität.

Verständigungsorientierte Kommunikation gemeinsame Überzeugungen rational motiviertes Einverständnis
Strategische Kommunikation = persuasive Kommunikation offen Drohungen Lockungen erzwungene Übereinstimmung erkaufte Übereinstimmung
verdeckt bewusste Täuschung = Manipulation unbewusste Täuschung erschlichene Übereinstimmung täuschende Übereinstimmung

      Bild 3:

      Tabelle der Kommunikationsformen nach Habermas (1981).

      Verständigungsorientierte Kommunikation. Die Teilnehmenden sind bemüht, auf der Basis gemeinsamer Überzeugungen ein rational motiviertes EinverständnisEinverständnis herzustellen.

      Strategische Kommunikation. Hier ist die erfolgsorientierte Einflussnahme (Persuasion) das Ziel der Kommunikation. Es werden zwei Fälle unterschieden: die offene und die verdeckte strategische KommunikationKommunikationstrategisch.

      ▶ Offen strategisch: Hier wird mit direkten Drohungen eine Übereinstimmung erzwungen oder mit Lockungen (z.B. Schmiergeld) erkauft. Diese Kommunikation stützt sich auf ein Sanktionspotenzial (Gewalt, Belohnung, Bestrafung).

      ▶ Verdeckt strategisch: Hier wird ein Interesse an Verständigung nur vorgetäuscht. Bei der Manipulation geschieht das bewusst unter Einsatz persuasiver Techniken. Psychologisch interessant ist der Fall der unbewussten Täuschung. Hier ist einem Absender nicht bewusst, dass er an Verständigung gar nicht interessiert ist. Dabei handelt es sich um eine pathologische Kommunikation, Habermas nennt sie „systematisch verzerrte Kommunikation“.

      Das gesellschaftliche Leben ist auf verständnisorientierte Kommunikation angewiesen. Ein Vorherrschen strategischer KommunikationKommunikationstrategisch führt zu gesellschaftlichen Pathologien und Krisen.

      Wer sich an verständigungsorientierter KommunikationKommunikationverständigungsorientiert beteiligt, der wird mit folgenden universalen GeltungsansprüchenGeltungsansprüche konfrontiert und konfrontiert seine Gesprächspartner damit (Habermas, 1971, 1988):

      1. Verständlichkeit. Sie wird auf zwei Ebenen gefordert: 1. Die Äußerungen müssen grammatisch wohlgeformt sein, d.h. man darf kein wirres Zeug reden oder unverständliche Wörter benutzen. Dies entspricht der Maxime der Modalität bei Grice. 2. Die Äußerungen müssen pragmatisch verständlich sein, d.h. die intentionale Bedeutung muss explizit ausgedrückt werden. Ist die Verständlichkeit problematisch, dann stellen wir Fragen des Typs: Wie meinst du das? Wie soll ich das verstehen? Zwar steht hier Verständlichkeit an erster Stelle, nicht an letzter wie bei Grice, aber Habermas hat später Verständlichkeit als Geltungsanspruch ganz aufgegeben. Er sah darin nur noch eine Vorbedingung der Kommunikation.

      2. Wahrheit. Die Aussagen müssen wahr sein, d.h. mit der äußeren Wirklichkeit übereinstimmen. Dies entspricht der Maxime der Qualität bei Grice. Hier lauten kritische Fragen: Verhält es sich so, wie du sagst? Stimmt das überhaupt, was du berichtest?

      3. Aufrichtigkeit. Die Aussagen müssen der inneren Wirklichkeit des Absenders entsprechen, sie dürfen die anderen nicht über die eigenen Absichten täuschen. Dies entsprich der Maxime der Qualität. Hier stellt man die Fragen: Will er/sie mich täuschen? Ist der Sprecher ehrlich? Diese Fragen stellen wir meist nicht der unglaubwürdigen Person selbst, sondern an uns selbst oder an Dritte.

      4. Angemessenheit1. Die Aussage muss in der jeweiligen kommunikativen SituationSituationkommunikative angemessen sein, d.h. den anerkannten gesellschaftlichen Normen entsprechen. Kritische Fragen sind hier: Warum tust du das? Darfst du das überhaupt sagen? Handelst du sozial angemessen? Diese Forderung findet man bei Grice nicht.

      Die GeltungsansprücheGeltungsansprüche haben eine deutliche Ähnlichkeit mit den MaximenMaximen von Grice, beide werden wechselseitig von den Teilnehmenden unterstellt. Die Geltungsansprüche sind aber strenger gefasst. Eine Maxime ist ein vernünftiger Grundsatz für die Kommunikation, ein Geltungsanspruch ist eine universal geltende Regel der Verständigung. Die Beherrschung dieser universalen Regeln der Verständigung wird als kommunikative


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