Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit. Steffen-Peter Ballstaedt

Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit - Steffen-Peter Ballstaedt


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sich der Interviewpartner unklar ausgedrückt hat. 2. Insistierendes Nachfragen, um eine unklare oder ausweichende Antwort zu ergänzen. 3. Fragen nach einem konkreten Beispiel, um abstrakte Äußerungen für die Adressaten anschaulicher und damit verständlicher zu machen.

      Zusammenfassung

      1. Mündliche Kommunikation hat einige für Verständigung und Verständlichkeit wichtige Merkmale: die Kopräsenz in einem gemeinsame Wahrnehmungsumfeld, die direkte Rückmeldung und die Flüchtigkeit der Äußerung.

      2. Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation wird von Absender und Adressat durch kontinuierliche Koordinationsprozesse erreicht. Grounding ist die wechselseitige Einstellung auf Vorwissen und Intentionen des Gegenübers. Monitoring ist die fortlaufende wechselseitige Überprüfung des Verstehens. Alignment ist die unbewusste Angleichung der Kommunikationspartner. Auftretende Probleme können über Metakommunikation gelöst werden.

      3. In einem Dreischritt der Verständigung werden wechselseitig Maßnahmen der präventiven und reparativen Verständnissicherung eingesetzt: Korrigieren, Kommentieren, Modifizieren, Rückfragen, Paraphrasieren u.a.m. Diese Maßnahmen setzen eine Verständigungsbereitschaft auf beiden Seiten voraus.

      4. Paul Grice hat mit dem Kooperationsprinzip und seinen Maximen Quantität, Qualität, Relation und Modalität die Voraussetzungen für eine rationale Kommunikation beschrieben. An Verständigung interessierte Kommunikationspartner unterstellen sich gegenseitig, die Maximen einzuhalten.

      5. Jürgen Habermas unterscheidet verständnisorientierte und persuasive Kommunikation, aber nur Erstere ist für eine rationale Verständigung zuständig. Er stellt vier universale Geltungsansprüche auf: Verständlichkeit, Wahrheit, Aufrichtigkeit, Angemessenheit. Voraussetzung für eine Verständigung ist eine ideale Sprechsituation, die in Wirklichkeit selten zu finden ist.

      6. Der Ansatz von Grice wie der von Habermas geht von einem rationalen Menschenbild aus, in dem Sprache vor allem die Funktion der Verständigung erfüllt. Die persuasive Funktion der Sprache wird wenig berücksichtigt und aus rationaler Kommunikation ausgegrenzt.

      7. Das Verständlichmachen in der mündlichen Kommunikation ist bisher ein eher stiefmütterlich behandelter Bereich der Kommunikationsoptimierung. Es gibt viele außerwissenschaftliche Ratgeber und wissenschaftlich fundierte Kommunikationstrainings, bei beiden sind Übungen zur Verständnissicherung selten. Eine Ausnahme bildet der Ansatz von Schulz von Thun, der sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen bewährt hat.

      4 Schriftliche Verständigung

      Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation beruht auf einer Kooperation zwischen Absender und Adressat. Der Absender muss adressatenorientiert formulieren und der Adressat kann sein Verständnis rückmelden und den Absender zu einer Reformulierung bewegen. Bei gutem Willen der Beteiligten lässt sich in der mündlichen Kommunikation im Prinzip ein gegenseitiges Verständnis erreichen, nicht unbedingt ein Einverständnis. Anders bei der schriftlichen Kommunikation, bei der es keine direkte Kooperation gibt. Die Probleme der Verständlichkeit schriftlicher Texte werden deutlich im Vergleich mit der mündlichen Kommunikation.

      Nach einer kurzen Charakterisierung der Besonderheiten der schriftlichen Kommunikation (4.1) beschreibe ich die Verantwortung des Absenders für eine verständliche Kommunikation, er muss vor allem adressatenorientiert formulieren (4.2). Der Adressat muss seinerseits kognitive Ressourcen einsetzen, die bereits die Hermeneutik gefordert hat (4.3). Das Kapitel beschließen wir mit einem vorläufigen Blick auf die Praxis des Verständlichmachens von Texten (4.4).

      4.1 Merkmale schriftlicher Kommunikation

      Schriftlichkeit hat sich lange nach der Mündlichkeit herausgebildet. Während sich die mündliche Sprache als „Sprache der kommunikativen Nähe“ charakterisieren lässt, ist die schriftliche Sprache eine „Sprache der kommunikativen Distanz“ (Koch & Oesterreicher, 2007). Sie bringt einige Merkmale mit sich, die sich massiv auf das Verstehen und die Verständlichkeit auswirken.

      Soziale Isolation. Schreiben geschieht ohne ein Gegenüber, der Absender ist sich deshalb oft gar nicht bewusst, dass er an einer Kommunikation teilnimmt. Schreiben wird eher als Ausleeren eines Kopfes verstanden, als eine monologische Tätigkeit. Das verführt zu egozentrischem Formulieren, ohne Rücksicht auf die Adressaten und die Verständlichkeit zu nehmen. – Auch Lesen geschieht in sozialer Isolationsoziale Isolation und das hat eine bedeutende Konsequenz für die Verarbeitung: Der Adressat ist von der Anwesenheit und damit der Autorität des Absenders entlastet, das fördert eine vertiefende und kritische Verarbeitung. Texte können immer wieder neu interpretiert werden, Lesen ist mehr selbstgesteuert als Hören.

      IndirektheitIndirektheit. In der schriftlichen Kommunikation sind Absender und Adressaten räumlich und zeitlich getrennt, die kommunikative SituationSituationkommunikative ist „zerdehnt“. Damit fehlt das gemeinsame WahrnehmungsumfeldWahrnehmungsumfeld und die Techniken der VerständnissicherungVerständnissicherung fallen aus. Dadurch ist eine fortlaufende KoordinationKoordination des Verstehens nicht möglich. Der Absender hat eine besondere Verantwortung, sich Gedanken über die Voraussetzungen seiner Adressaten zu machen und dementsprechend zu formulieren. – Auf Seiten der Lesenden sind direkte Rückfragen, Paraphrasieren usw. nicht möglich, dafür gibt es die Möglichkeit des wiederholten Lesens. Ein schriftlich produziertes Missverständnis lässt sich schwerer aus der Welt schaffen als eine unbedachte mündliche Äußerung, die sofort korrigiert werden kann. Auch die Bildung eines ImagesImage des Autors als Verstehenshilfe ist nur über den Text möglich. Absender und Adressat bleiben sich bis zu einem gewissen Grad fremd.

      ReflexivitätReflexivität. Schreiben als Externalisierung von geistigen Inhalten geschieht meist reflektierter als freies Sprechen. Schreiben verfestigt flüchtige und assoziative Gedanken, bringt sie in eine lineare und hierarchische Ordnung, dafür wurde der Ausdruck epistemisches Schreiben geprägt (Molitor-Lübbert, 2003). Was schriftlich vorliegt, kann dem Autor immer wieder vorgehalten werden, er tut also gut daran, sich die Formulierungen sorgfältig zu überlegen. Schreiben kann als ein externalisiertes Denken verstanden werden. Diese Reflexivität bringt es mit sich, dass die Schriftsprache eine deutlich höhere syntaktische KomplexitätKomplexität aufweist als die Sprechsprache.

      DauerhaftigkeitDauerhaftigkeit. Während die mündliche Rede flüchtig ist (es sei denn sie wird aufgezeichnet), sind Schrifttexte materiell fixiert. Sie objektivieren und konservieren Wissensbestände für spätere Generationen, während das Gehirn des Autors bzw. der Autorin bereits verwest ist und sich damit sein bzw. ihr Wissen aufgelöst hat. Texte sind kulturelle Fossilien. Diese Aussicht auf Dauerhaftigkeit zwingt Schreibende zu sorgfältigem Nachdenken, bevor ein Satz für die Nachwelt unkorrigierbar festgehalten wird. – Für die Lesenden hat ein vorliegender Text zwei Vorteile: 1. Der Text verändert sich nicht (Zeichenkonstanz), bleibt eine Passage dunkel, kann sie mehrfach gelesen und interpretiert werden. 2. Ein Lesender kann selektiv lesen und seine Aufnahme- und Verarbeitungsgeschwindigkeit selbst bestimmen.

      MedialitätMedialität. Die Schrift ist an MedienMedien gebunden. Der Absender benötigt für die Produktion Schreibgeräte, vom Griffel bis zum Computer, und eine Schreibfläche, von der Tontafel bis zum Monitor. Die Frage, ob das Schreibwerkzeug die Produktion beeinflusst, wurde von Friedrich Nietzsche (2002, S. 18) mit einem oft zitierten Satz beantwortet: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“. So wirken sich Computer und Textverarbeitung deutlich auf Schreibprozess und -ergebnis aus. Ob die mediale Darbietung eines Textes in einem Buch oder auf einem Monitor das Verstehen und die Verständlichkeit beeinflusst, ist eine Forschungsfrage der Medienlinguistik.

      Strukturelle Explizitheit. Schriftliche Kommunikation ist durch den Ausfall der para- und nonverbalen Zeichen ärmer als die mündliche Kommunikation. Die ausgefallenen Kodes können teilweise durch typografische Mittel kompensiert werden. Statt Pausen gibt es Absätze (Zeilendurchschuss, Einrückung), statt Betonungen typografische Auszeichnungen (Unterstreichung, Fett, Kursiv). Da damit inhaltliche Strukturen explizit sichtbar gemacht werden, erleichtern sie die Aufnahme


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