Engelstunden. Iris Paxino
ihm. Er umspannt mit seinem Ätherwesen auch diese, und sie prägt sich ihm so ein, dass sie sein Inneres formt. Kannst du das nachempfinden?»
«So weit schon, ja. Aber wie ist es genau bei euch?»
«So ähnlich und doch ganz anders. Der Engel erlebt sich gleich in der Ausdehnung und Umgreifung seines Wirkungsfeldes. Er hat seine Aufgabe, zum Beispiel den Menschen, den er zu hüten hat, in sich. Der Mensch ist nicht außerhalb seiner, sondern innerhalb seines eigenen Wesens.»
«Ja, ich verstehe. Aber warum sehen wir euch ‹neben› uns?»
«Weil das euer Blick des Getrennt-Seins ist. Zunächst könnt ihr nur auf diese Weise Wesenheiten voneinander unterscheiden. Das wird sich mit der Zeit auch verändern, je mehr ihr lernt, geistig zu schauen. Die ‹Trennung› und das ‹Nebeneinander-Hinstellen› helfen euch, überhaupt das Vorhandensein mehrerer Ebenen und mehrerer Wesenheiten wahrzunehmen.»
«Noch eine ganz andere Frage: Warum können Menschen bei eurer Erscheinung ‹Furcht› empfinden? Was bedeutet dieses ‹Fürchte dich nicht›?»
«Das ‹Fürchte dich nicht› ist zunächst der Hinweis auf ein geistiges Schauen. Einen Engel wahrzunehmen bedeutet, zumindest für euch als heutige Menschen, herauszugehen aus der Sicherheit eurer Sinneswarnehmung. Eure Sinne sind für euch, in der Burg eures Getrennt-Seins von der Außenwelt, wie die Brücken über den Wassergraben, der eure Festung umringt. Ihr könnt diese Brücken herunterlassen oder hochziehen. Eure Sinneswahrnehmungen bringen euch Eindrücke von außen, wie wenn eure Reiter euch über die heruntergelassenen Brücken etwas von der Welt außerhalb eurer Burg hereintragen würden. – Eure Selbst- und Weltwahrnehmung war nicht immer so und wird auch nicht immer so bleiben, aber in dieser Zeit eurer Entwicklung ist sie so.
Auch die geistige Welt erscheint euch in eurer Welt des Getrennt-Seins als etwas außerhalb eurer Burg Seiendes, wie eine in weiten Fernen sich abzeichnende Landschaft. Nun, die Wahrnehmung eines Engels vollzieht ihr nicht über eure gewohnten Sinne, da fehlen euch die vertrauten Brücken. Es ist dabei so, wie wenn der Berg, den ihr am Horizont erahnt habt, auf einmal auf euch zuschreitet oder gar plötzlich vor eurer Burg auftaucht. Die ‹Überbrückung› fehlt euch, die Unmittelbarkeit des Erlebnisses erschreckt euch. Denn: Einen Engel nehmt ihr mit dem Herzen wahr, dabei kennt ihr die ‹Herzensbrücke› eurer Festung noch gar nicht. – Dies ist der eine Aspekt.
Der andere Aspekt ist die ‹geistige Kraft› eines Wesens, und dieser hat zu allen Zeiten gegolten. Vor einem Wurzelzwerg erschrickt fast niemand. Vor dem eigenen Schutzengel auch nur wenige. Doch vor einem großen Vatergott-Engel oder vor einem Erzengel ist die empfundene Ehrfurcht größer, da diese Wesen auch eine andere Substanzialität des Geistigen verkörpern. Vor einem grünen Hügel stehend, empfindet ihr auch etwas anderes, als wenn ihr unmittelbar am Fuße der Himalaya-Berge steht. Die Furcht ist hier ein Hinweis auf eine bestimmte Qualität der Ehrfurcht gegenüber der auftretenden geistigen Größe. Und beachtet dies: Ein erfahrener Bergsteiger verliert zwar die Furcht vor dem großen Gebirge, doch niemals seine Ehrfurcht davor. So könnt ihr auch, mit der wachsenden Erfahrung, zwar nicht die Ehrfurcht, aber die Furcht vor der höheren Geistigkeit verlieren.»
Über das Wesen der Engel
«Diejenigen Wesenheiten, die zu der nächst
höheren Kategorie gehören –
wir nennen sie im allgemeinen die Wesenheiten
der sogenannten dritten Hierarchie –,
haben statt des Wahrnehmens die Offenbarung,
und im Offenbaren erleben sie sich.
Statt des Innenlebens haben sie das Erlebnis
höherer geistiger Welten, das heißt,
sie haben statt des Innenlebens Geist-Erfüllung.
Dies ist der wesentlichste Unterschied
zwischen dem Menschen und den Wesenheiten
der nächsthöheren Kategorie.»4
Rudolf Steiner
Engel zeichnen sich durch Eigenschaften aus, die wir als die schönsten und reinsten Wesensqualitäten bezeichnen würden. Unsere kostbarsten Werte, unsere heiligsten Prinzipien formen ihr eigenes Sein und sind ihnen gelebte Wirklichkeit. Viele der Vorstellungen, die wir uns von ihnen bilden, entsprechen auch in der Tat ihrer Wesenhaftigkeit. Güte, Wohlwollen und Verständnis gehören zu ihrem Charakteristischen, genauso Hingabe, Geduld und Selbstlosigkeit. Stets durchstrahlen sie uns mit lichter Positivität und mit stärkender Zuversicht.
Zugleich vereinen sie in sich unterschiedliche Aspekte, die wir Menschen nicht unbedingt als zusammengehörig betrachten würden. Strenge und Heiterkeit zum Beispiel empfinden wir annähernd als Gegensätze. Doch die Engel können beides vermitteln. Ihr heiliger, tiefer Ernst lässt uns vor der Unermesslichkeit des geistig Hohen in Ehrfurcht niederknien. Gleichermaßen können sie uns durch ihren weisen und hoffnungsvollen Weitblick eine heiter-beschwingte Daseinsfreude zufließen lassen, die ganz und gar erhebend wirkt. Unverbrüchlich ist ihre Treue und unerschütterlich ihr Vertrauen, doch nie vermitteln sie Erstarrung oder Unbeweglichkeit. Sie sind beharrlich, zugleich freilassend, sie erziehen uns, ohne lehrhaft zu sein, sie vertreten das Licht, ohne das Dunkle zu verurteilen. Außerdem weisen sie auch Merkmale auf, die wir ihnen nicht unbedingt zuordnen würden. Die Begegnungen mit ihnen sind für uns stets prägende, uns beflügelnde Erfahrungen; dabei können wir auch viel Überraschendes erleben.
Engel sind zum Beispiel höflich. Ein jeder Akt bewusster Interaktion mit einem Engel wird von einer Begrüßung und einer Verabschiedung umrahmt. Der Engel empfängt uns im Raum der gegenseitigen Wahrnehmung, man könnte sagen, er heißt uns darin willkommen. Er ist ohnehin derjenige, der diesen Raum hält und bildet. Sein an uns gerichteter Gruß kann von einem Kopfnicken oder einer leichten Verbeugung begleitet sein. Vor höheren hierarchischen Wesen verbeugen sich die Engel tief oder knien nieder. Diese Gesten, die wir in unserer Welt als Höflichkeits- und Verehrungsgesten kennen, sind bei ihnen in einer bemerkenswerten Weise ausgeprägt. Auch die Verabschiedung wird seitens der Engel von einem Gruß begleitet, sehr häufig auch von einem Segen, der uns gegenüber ausgesprochen wird.
Und ja, Engel können lächeln. Überhaupt sind Engel freundlich, wenn auch bestimmt und klar. Engel singen. Engel eurythmisieren. Engel beten, und zwar voller hingebungsvoller Liebe, voller ergebener Andacht gegenüber dem Heiligen des Himmelsgeschehens. Engel danken uns auch, sie schenken uns Zuspruch und Lob, vorausgesetzt, wir geben ihnen Gelegenheit dazu. – Natürlich sind solche Eindrücke ‹imaginative Übersetzungen› des stattfindenden geistigen Geschehens, doch sie weisen auf die Wesensgeste, auf die Haltung der Engel hin. Diese von aufrichtigem Wohlwollen, von offenherziger Hingabe und Wertschätzung geprägte ‹Umgangsweise› erinnert uns an frühere Zeiten unseres Mensch-Seins, als die Begrüßungs- und Umgangsrituale noch einen ganz lebendigen Ausdruck zwischenmenschlicher Verhältnisse darstellten. Damals waren wir mit der Geistwelt weit stärker verbunden als heute und das menschliche Verhalten entsprach noch mehr dem himmlischen Geschehen.
Eines der manifestesten Charakteristika von Engeln ist die ganz wahrhaftige und umfassende Liebe, die ihr Wesen ausströmt. Diese Qualität der Liebe in dieser so reinen Form kennen wir aus unserem Mensch-Sein kaum. Und ja, die Begegnung mit einem Engel kann so ergreifend sein, dass ein Mensch auch dabei weinen kann. Doch wenn wir in diese Begegnung etwas ‹Sentimentales› hineininterpretieren, dann zeugt dies nur von unserem recht undifferenzierten Umgang mit unserem eigenen Seelenerleben. Engel sind nicht ‹seelisch› im Sinne von ‹gefühlsbetont›, sie haben gar nichts Rührseliges an sich. Nur wir sind nicht darin geschult, in der gleichen Weise mit der Liebe umzugehen. Das eigene Herz wirklich zu öffnen, bedingungslose Liebe zu empfangen und sie auch willentlich auszuströmen ist uns wenig vertraut. Hierbei erschrecken unsere Wesen. Umso mehr ermutigen uns die Engel, dies zu üben – auch an den allerschwierigsten Menschen: