Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts. Marco Mansdörfer
Ingenieure (VDI), des Verbands Deutscher Elektrotechniker (VDE), des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) oder der Abwassertechnischen Vereinigung (ATV)[400].
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Solche Normen sind trotz der zunehmenden formellen Verrechtlichung aller Lebenszusammenhänge praktisch immer bedeutsamer. In Bereichen wie etwa der Produktsicherheit haben Regelungen der Normungsinstitute faktisch ähnliche Wirkungen wie die Normen hoheitlicher Stellen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten sind diese Normen nicht mehr auf die Produktion von Gütern beschränkt. Zunehmend bestimmen sie auch die bei Dienstleistungen zu erbringende Qualität, wie zum Beispiel in der Medizin, im Bewachungsgewerbe, im Bestattungswesen oder im Prüfwesen[401] oder betreffen die Auslagerung der Strafrechtspflege auf Private[402]. Aktuell im Entstehen sind noch weitergehende Normen zur gesellschaftlichen Verantwortung (social responsibility) von Organisationen[403], in der die Verpflichtung von Organisationen auf soziale Ansprüche (stake holder) näher geregelt werden soll[404].
aa) Private Normen und Wandel der hoheitlichen Risikoverwaltung
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Häufig sind solche Normen zugleich Abbild eines Wandels der hoheitlichen Sicherheits„philosophie“: Rein faktisch zieht sich der Staat aus der Wirtschaftsüberwachung immer weiter zurück, privatisiert einstmals von ihm wahrgenommene Aufgaben und setzt auf eine zunehmende Kooperation zwischen Hoheitsträgern und Privaten. Diese Veränderung beruht auf einem sich wandelnden Umgang der öffentlichen Hand mit Risiken. Auch Sicherheit, Gesundheit, Umwelt- und Verbraucherschutz werden von der öffentlichen Hand inzwischen unter Kosten-, Qualitäts-, Werbe- und Wettbewerbsgesichtspunkten betrachtet. Inhaltlich wandelt sich das Verwaltungsrecht damit vom klassischen Gefahrenabwehrrecht zu einem Risikoverwaltungsrecht[405]. Bereits auf Normsetzungsebene geht die Hoheitsgewalt im Sinne einer „Deregulierung“ der Wirtschaftsverwaltung dazu über, hoheitliche Normensysteme durch eine gezielte Selbstgesetzgebung seitens Privater zu ersetzen. Ein paralleler Prozess findet auf der Ebene der Normdurchsetzung statt, wo zunehmend private Prüf- und Überwachungssysteme oder Instrumente der Selbstkontrolle an die Stelle klassischer Eingriffsverwaltung treten[406].
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Noch wenig geklärt ist, welche Auswirkung dieser Rückzug aus der klassischen, am konkreten Rechtsverhältnis ausgerichteten Eingriffsverwaltung und die damit verbundene Beschränkung auf eine Gewährleistungsverantwortung des Staates auf die rechtlichen Verantwortlichkeits- und Zurechnungsstrukturen hat[407]. Unklar ist etwa, ob hoheitliche Aufgaben insoweit vollständig delegiert werden können, ob und in welchem Umfang hoheitliche Überwachungspflichten bestehen bleiben oder ob sich die Pflichten auf eine ordnungsgemäße Koordination der verschiedenen Beteiligten beschränken. Da die vorliegende Arbeit aber auf die Ausarbeitung sachadäquater Zurechnungsstrukturen für ein modernes und an Individualhandlungen orientiertes Wirtschaftsstrafrecht beschränkt ist, soll diesem Phänomen hier nicht weiter nachgegangen werden.
bb) Legitimation der Verbindlichkeit privater Regelwerke
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Die faktische Bedeutung privater Regelwerke wie die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben begründen indessen nicht ohne Weiteres die besondere staatstheoretische Legitimation, wie sie hoheitlich gesetzten Normen inne wohnt. Die rechtliche Verbindlichkeit für Dritte kann daher angezweifelt werden[408]. Um dies angemessen zum Ausdruck zu bringen, wird in der Rechtswissenschaft zum Teil von einer „vorrechtlichen Ordnung“ und, soweit diese die Grundlage daran anknüpfender strafrechtlicher Zurechnung bildet, einer „vorrechtlichen Primärordnung“ gesprochen[409]. Das Recht greift nach dieser Vorstellung als nur nahezu geschlossenes System auf andere Systeme zurück und sichert sich damit in einem Umfeld steten Wandels seine Fähigkeit, eine allgemein geltende Verhaltensordnung aufrechtzuerhalten[410].
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Eine solche normentheoretische und systemtheoretische Einordnung privater Regelungen allein bildet indessen keine hinreichende Basis, um diese Normen rechtstheoretisch exakt analysieren zu können. Dazu ist es vielmehr notwendig, die Konstitutionsbedingungen privater Normen genauer in den Blick zu nehmen[411]. Erst dann werden Aussagen darüber möglich, ob diese Normen wirklich als „vorrechtlich“ – und damit womöglich als weniger verbindlich – qualifiziert werden können. Welches die entscheidenden formalen Konstitutionsbedingungen dieser Normen sind, wird deutlich, wenn man Recht formal als eine Gesamtheit von Regeln, die äußeres Verhalten vorschreiben und gerichtsfähig sind, versteht[412]. Gerichtsfähig werden diese Regeln, wenn sie einen bestimmten Geltungsgrund aufweisen. Dazu müssen sie nach heutigem Verständnis rechtsstaatlich und demokratisch, das heißt in einem staatlich legitimierten Verfahren unter Berücksichtigung der betroffenen Kreise, zustande gekommen sein[413].
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Vor diesem Hintergrund haben sich etwa seit Beginn der 1980er Jahre drei verschiedene Formen privater Regelsysteme entwickelt: Kategorial lassen sich rein private Normensysteme, private Normen als Folge der Beteiligung Privater an hoheitlichen Aufgaben[414] und private Regeln zur Umsetzung supranationaler und völkerrechtlicher Verpflichtungen unterscheiden:
(1) Rein private Regelwerke
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Die legitimationstheoretisch größten Probleme werfen rein private Regelwerke auf. Einen Hinweis für deren grundsätzliche Zulässigkeit bietet bereits das Verfassungsrecht. Hier ist eine autonome Regelsetzung Privater in gewissem Umfang – etwa für Tarifverträge oder Vereinssatzungen – verfassungsrechtlich in den Art. 9 Abs. 1 u. 3, Art. 21 Abs. 1 GG verbürgt[415]. In anderen Bereichen beschreiben diese Normen, auch wenn sie nicht aus sich selbst heraus verbindlich sind, zumindest Konventionen, typisierte Standards, Verhaltenspraktiken oder Verhaltensempfehlungen.
Auf rein private Konventionen können sich Legislative, Exekutive und Judikative in methodisch vielfältiger Weise beziehen[416]: Der Gesetzgeber kann in die von ihm formulierten Gesetze statische oder dynamische Verweisungen auf private Regelwerke aufnehmen, Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe einfügen[417]. Die Exekutive kann private Normen im Wege der Selbstbindung anerkennen[418]. Die Rechtsprechung kann diese Begriffe dahin konkretisieren, dass eine Verkehrssitte, ein bei gewissenhafter Berufsausübung bzw. ein in einem gewissen Berufskreis zu erwartender Standard oder ein allgemeiner Stand der Technik zum Maßstab erklärt wird[419]. Wenn Aussagen von dieser Allgemeinheit nicht getroffen werden sollen, kann die Judikative derartige Normen einzelfallbezogen im Rahmen ihrer Beweiswürdigung als Beweisregeln, antizipierte Sachverständigengutachten oder als Dokumentation der redlichen Praxis berücksichtigen[420].
Mit den Attributen der Gewissenhaftigkeit oder der Redlichkeit wird zugleich ein Vorbehalt erklärt, diese Regeln im Einzelfall zu überprüfen. So können Verkehrssitten ihre normative Kraft verlieren, wenn sich bei einem Kreis weniger Personen mit gleichgerichteten Interessen aufgrund faktischer Machtverhältnisse Unsitten eingebürgert haben[421] oder umgekehrt der Erkenntnisfortschritt Abweichungen vom bisherigen System zur Entwicklung neuer Verfahren erfordert oder erlaubt[422]. Obgleich dann allgemein verbindliche Richtlinien völlig fehlen, muss sich der Einzelne also möglicherweise dazu entscheiden, von einer weithin geübten Verhaltensweise abzuweichen, und eine eigenständige Risikoabschätzung vornehmen[423].
(2) Private Normensysteme aufgrund von hoheitlicher Beauftragung
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Die Legitimationsprobleme privater Normensysteme sind a priori geringer, soweit private Gruppen zum Setzen einzelner Normen im weitesten Sinne beauftragt sind[424]. Der Gesetzgeber hat sich dieser Gruppen dann bewusst bedient und sie mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet. Hintergrund der verstärkten Einbeziehung Privater in die Wirtschaftsüberwachung ist ein weiterer wesentlicher Wandel im Wirtschaftsverwaltungsrecht[425]: An die Stelle des traditionell in Anspruch genommenen Wirtschaftsüberwachungsmonopols tritt partiell eine privatwirtschaftliche Selbstregulierung, die zu einer Deregulierung auf staatlicher Seite führt.
Dies hat auch Konsequenzen