Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
Bürger überlagert und eine eigene, juristisch selbstständige Rechte-und-Pflichten-Beziehung zwischen (dem Rechtsträger) der Behörde und dem Einzelnen schafft (siehe das Beispiel in Rn. 251). Erfüllt dieser seine ihm im Verwaltungsakt durch die Behörde einseitig auferlegte Verpflichtung nicht, so bietet der von der Behörde erlassene Verwaltungsakt dieser zugleich die rechtliche Grundlage für die zwangsweise Durchsetzung des in ihm enthaltenen Ge-/Verbots, ohne dass es insoweit erst noch der Inanspruchnahme der Gerichte bedürfte, sog. (Vollstreckungs-)Titelfunktion des Verwaltungsakts (Rn. 335 ff.).[4]
Hinweis
„Der Begriff des VA nach § 35 VwVfG gehört gleichzeitig zum Einmaleins und zur Hohen Schule der Jurisprudenz.“[5]
1. Begriffsmerkmale des Verwaltungsakts
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Die Merkmale des Verwaltungsaktbegriffs sind in Anlehnung an Otto Mayer[6] in § 35 S. 1 VwVfG legaldefiniert (siehe ferner § 118 AO, § 31 SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“, wobei bzgl. des Merkmals „Einzelfall“ noch § 35 S. 2 VwVfG zu beachten ist. Ob diese Merkmale im konkreten Fall erfüllt sind, beurteilt sich danach, wie der Empfänger die betreffende behördliche Maßnahme „unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände verstehen musste; Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung.“[7]
Verwaltungsakt
I.Maßnahme = jedes Verhalten mit Erklärungswert
II.Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts = wenn die Rechtsgrundlage der Maßnahme eine solche des öffentlichen Rechts ist
III.Hoheitlich = wenn die Behörde einseitig Gebrauch macht von den ihr zustehenden öffentlich-rechtlichen Befugnissen
IV.Behörde = jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt
V.Zur Regelung = Ziel der behördlichen Tätigkeit ist die unmittelbare Herbeiführung einer Rechtsfolge
konkludenter VA bei RealaktenRn. 59
wiederholende Verfügung ↔ ZweitbescheidRn. 62
vorbereitende MaßnahmenRn. 64
VI.Einzelfall =
•bestimmte Person (individuell) – bestimmter Sachverhalt (konkret),
•bestimmte Person (individuell) – unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten (abstrakt)
•unbestimmte Vielzahl von Personen (generell) – bestimmter Sachverhalt (konkret) i.S.v. § 35 S. 2 VwVfG
VII.Auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet =
•Die Regelung betrifft den Rechtskreis einer außerhalb der Verwaltung stehenden natürlichen oder juristischen Person oder eines sonstigen (nur teilrechtsfähigen) Rechtssubjekts als Träger eigener Rechte (Außenwirkung)
Maßnahmen in SonderstatusverhältnissenRn. 72
Weisungen zwischen BehördenRn. 73
mehrstufige VerwaltungsakteRn. 74
•Diese Außenwirkung resultiert aus dem Entscheidungssatz („Tenor“) der Maßnahme selbst und ist nicht nur dessen – mittelbare – Nebenfolge („unmittelbar“)
•Die Maßnahme soll gerade zielgerichtet (final) eine unmittelbare Außenwirkung entfalten („auf … gerichtet“)
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JURIQ–Klausurtipp
An diesen bundesrechtlichen Verwaltungsaktbegriff des § 35 S. 1 VwVfG knüpft nach h.M.[8] auch die Verwaltungsgerichtsordnung an (z.B. in §§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) – selbst wenn im konkreten Fall eine Landesbehörde nach dem jeweiligen Landes-Verwaltungsverfahrensgesetz gehandelt hat. Aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung von § 35 S. 1 VwVfG mit den in den Landes-Verwaltungsverfahrensgesetzen enthaltenen Definitionen (z.B. § 35 S. 1 LVwVfG BW, Art. 35 S. 1 BayVwVfG, § 35 S. 1 VwVfG NRW; siehe aber auch § 106 Abs. 1 LVwG SH) kann in der Klausur eine Streitentscheidung jedoch dahingestellt bleiben.[9]
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Unabhängig vom Vorliegen der in § 35 S. 1 VwVfG genannten materiellen Voraussetzungen ist eine regelnde behördliche Maßnahme allerdings auch bereits dann als Verwaltungsakt zu qualifizieren, wenn sie äußerlich in die Form eines Verwaltungsakts gekleidet ist (z.B. Bezeichnung als „Bescheid“, „Verfügung“ etc., Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO[10], Androhung von Zwangsmitteln etwa nach § 13 VwVG [Rn. 355], Rechtsbehelfsbelehrung gem. § 37 Abs. 6 VwVfG [Rn. 203]), sog. formeller Verwaltungsakt.[11] Denn für die Bestimmung der Rechtsnatur einer Maßnahme kommt es nicht darauf an, wie die Behörde rechtmäßiger Weise hätte handeln müssen, sondern in welcher Handlungsform sie – ggf. rechtswidriger Weise – tatsächlich gehandelt hat (vgl. Rn. 30 und Rn. 69). U.U. kann sich der Charakter einer zunächst nicht als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Maßnahme sogar noch nachfolgend durch die widerspruchsbehördliche Bezeichnung als solcher bzw. durch den Erlass eines Widerspruchsbescheids ändern.[12]
Hinweis
„Von der Prüfung der Handlungsform, also vorliegend der Frage, ob überhaupt ein […] Verwaltungsakt vorliegt, ist die Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns zu unterscheiden. Die Rechtmäßigkeitskontrolle behördlichen Handelns setzt voraus, dass die gewählte Handlungsform bestimmt ist. Aus der Unterscheidung zwischen der Bestimmung der Handlungsform und der Rechtmäßigkeitsprüfung der Handlung folgt, dass dann, wenn eine behördliche Handlung die Begriffsmerkmale des Verwaltungsaktsbegriffs erfüllt, Verstöße gegen Vorschriften des Verfahrens- und des sachlichen Rechts und selbst besonders schwere Fehler, die den Verwaltungsakt nichtig machen und zu seiner Unwirksamkeit führen (vgl. §§ 44, 43 Abs. 3 VwVfG), nichts daran ändern, dass begrifflich ein – wenn auch rechtswidriger oder nichtiger – Verwaltungsakt vorliegt“.[13]
Beispiel[14]
Die Stadt K hat im Amtsblatt unter Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung für bestimmte Zeiten an den bevorstehenden Karnevalstagen im Bereich des „Zülpicher Viertels“ ein allgemeines Verbot des „Mitführens und Benutzens von Glasbehältnissen“ bekannt gegeben; die sofortige Vollziehung wurde angeordnet, ein Zwangsgeld angedroht. Z, der im Zülpicher Viertel einen Kiosk betreibt, befürchtet erhebliche Umsatzeinbußen und beantragt daher beim zuständigen Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung seines gegen das Verbot erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Ist der Antrag statthaft?
Ja. In