Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
42a Abs. 1 S. 1 VwVfG ein. Aus der systematischen Stellung von § 42a VwVfG nach § 41 VwVfG folgt, dass der Fristablauf die wirksame Bekanntgabe des fingierten (synonym: fiktiven) Verwaltungsakts gegenüber dem Antragsteller ersetzt; „die fingierte Genehmigung [ist] die Genehmigung“[29]. Im Übrigen entfaltet die Genehmigungsfiktion die gleiche Wirkung wie ein entsprechender ordnungsgemäß zustande gekommener und bekannt gegebener Verwaltungsakt (Rn. 39, 289 ff.).[30]
Hinweis
Wegen dieser verfahrensersetzenden Wirkung der Genehmigungsfiktion dürften die §§ 45, 46 VwVfG im Rahmen von § 42a VwVfG keine Bedeutung haben. „Eine verfahrensfehlerhafte fingierte Genehmigung kann es […] nicht geben“.[31]
Folglich sind nach § 42a Abs. 1 S. 2 VwVfG u.a. die Vorschriften über das Rechtsbehelfsverfahren ebenfalls auf die fingierte Genehmigung anzuwenden, d.h. diese kann mittels Widerspruch (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) bzw. Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) angefochten werden. Mangels Rechtsbehelfsbelehrung gilt hierfür jedoch regelmäßig nicht die Monatsfrist des § 70 Abs. 1 S. 1 bzw. § 74 Abs. 1 VwGO, sondern vielmehr die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO.[32] Doch selbst an Letztere sind Personen, die an dem die Fiktion auslösenden Verwaltungsverfahren nicht beteiligt waren, nur dann gebunden, sofern ihnen gegenüber eine gesonderte Mitteilung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion erfolgt ist. Andernfalls unterliegt der Drittwiderspruch bzw. die Drittanfechtungsklage allein den zeitlichen Grenzen der Verwirkung.[33]
Nicht von der Fiktionswirkung des § 42a Abs. 1 S. 1 VwVfG erfasst wird dagegen die materielle Rechtmäßigkeit der fingierten Genehmigung, so dass gem. § 42a Abs. 1 S. 2 VwVfG die Regelungen über die Bestandskraft von Verwaltungsakten, d.h. insbesondere diejenigen betreffend deren Erledigung (§ 43 Abs. 2 VwVfG), Nichtigkeit (§ 44 VwVfG), Rücknahme (§ 48 VwVfG) und Widerruf (§ 49 VwVfG), gelten (Rn. 295 ff.). Das Fehlen einer Entscheidung allein rechtfertigt die Rücknahme bzw. den Widerruf der fingierten Genehmigung regelmäßig nicht, da § 42a Abs. 1 S. 1 VwVfG ansonsten weitgehend leer liefe. Vielmehr kann es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebieten, die fingierte Genehmigung nachträglich mit einschränkenden Nebenbestimmungen (§ 36 VwVfG) zu versehen, statt sie aufzuheben. Dies kann allerdings auch nur so weit geschehen, wie dies bei einem entsprechenden Verwaltungsakt nach materiellem Recht nachträglich zulässig wäre (Rn. 77 ff.).[34]
Wenngleich die Genehmigungsfiktion mithin einem ordnungsgemäß zustande gekommenen und bekannt gegebenen Verwaltungsakt entspricht, so hat der Begünstigte gleichwohl kein Dokument in den Händen, mit dem er die fingierte Genehmigung belegen kann. Daher gewährt § 42a Abs. 3 VwVfG – insofern vergleichbar mit § 37 Abs. 2 S. 2 VwVfG – dem Begünstigten sowie allen anderen Personen, denen der entsprechende Verwaltungsakt nach § 41 Abs. 1 VwVfG bekannt zu geben wäre, einen Anspruch gegen die Behörde auf Ausstellung einer schriftlichen („Fiktions-“[35])Bescheinigung darüber, dass die Genehmigungsfiktion eingetreten ist.[36] Der Empfang dieser Bescheinigung markiert zugleich den spätesten Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Genehmigungsfiktion, was wiederum für die Frage der Zulässigkeit der Anfechtung von Bedeutung ist (s.o.).[37]
b) Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
45
Weitere Voraussetzung für die Qualifizierung einer Maßnahme als Verwaltungsakt ist nach § 35 S. 1 VwVfG, dass sie „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“ ergeht. Hinsichtlich der damit erforderlich werdenden Abgrenzung der Vollziehung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu privatrechtlichen Rechtsakten wird auf die Ausführungen in Rn. 23 ff. verwiesen. An dieser Stelle sei lediglich noch bemerkt, dass es insoweit nicht darauf ankommt, auf welchem Rechtsgebiet sich die jeweilige Maßnahme auswirkt. Vielmehr ist im Rahmen von § 35 S. 1 VwVfG allein relevant, ob die rechtliche Grundlage, auf der die Maßnahme erfolgt, eine solche des öffentlichen Rechts ist.
Eine Maßnahme ergeht dann „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“, wenn die Ermächtigungsgrundlage, auf die sie gestützt ist, als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist.[38]
Bedeutung erlangt die vorstehende Differenzierung namentlich im Hinblick auf privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte, wie etwa die (öffentlich-rechtliche) Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts gem. § 28 Abs. 2 S. 1 BauGB, durch welche ein (privatrechtlicher Kauf-)Vertrag zwischen der Gemeinde und dem Verkäufer zu Stande kommt, siehe § 28 Abs. 2 S. 2 BauGB, § 464 Abs. 2 BGB (siehe das Beispiel in Rn. 251). Als weitere Beispiele sind insoweit § 80 BGB (Anerkennung einer Stiftung), § 2 GrdstVG (Grundstücksverkehrsgenehmigung) und § 18 KSchG (Zustimmung zur Massenentlassung) zu nennen.
Hinweis
Im Schrifttum[39] wird das Merkmal „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“ mitunter als zu weitgehend erachtet und auf den Teilbereich des „Verwaltungsrechts“ reduziert. Dem ist im Ergebnis zwar zuzustimmen, doch folgt diese Eingrenzung nach dem Gesetzestext erst aus dem weiteren Begriffsmerkmal der „Behörde“, siehe § 1 Abs. 4 VwVfG.
Beispiel[40]
E ist Eigentümerin eines Grundstücks im Gebiet der Stadt S. Deren Tochterunternehmen – die „Stadtwerke GmbH“ – ist das Versorgungsunternehmen von S für Wasser, Gas, Strom und Fernwärme; insoweit ist das Leistungsverhältnis mit den Bürgern privatrechtlich ausgestaltet. Hinsichtlich der Entsorgungsarten Abwasser und Abfall besteht dagegen ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis zwischen S und den Bürgern. Insofern handelt die Stadtwerke GmbH im Auftrag von S, sie berechnet für diese u.a. die städtischen Gebühren für die Entwässerung, fertigt die Abgabenbescheide aus, versendet diese, nimmt die Abgaben entgegen und führt sie an S ab. Mit einem als „Rechnung“ bezeichneten Schreiben, das im Briefkopf die Stadtwerke GmbH ausweist und mit der Grußformel „Ihre Stadtwerke GmbH“ endet, machte diese gegenüber E eine Gesamtforderung für Frischwasser und Entwässerung geltend, „fällig“ bis zum 19.5. des Jahres. Ist hiergegen der Widerspruch statthaft?
Nein. Gem. § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Widerspruch nur gegen einen Verwaltungsakt statthaft. Bei dem Schreiben der Stadtwerke GmbH handelt es sich jedoch nicht um einen solchen. Die Formulierung „Rechnung“ spricht eindeutig für eine privatrechtliche Handlungsform. Auch kann die Stadtwerke GmbH als Gesellschaft des Privatrechts aus der Sicht eines unbefangenen Dritten grundsätzlich nicht öffentlich-rechtlich und damit in Form eines Verwaltungsakts handeln. In dieser „Rechnung“ hat die Stadtwerke GmbH die von E zu zahlenden Beträge für Frischwasser und Entwässerung in einem Gesamtrechnungsbetrag ausgewiesen. Es wird dort nicht zwischen der Abrechnung für das Frischwasser, das auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht, und den öffentlich-rechtlichen Gebühren für Entwässerung unterschieden. Es fehlen auch Begriffe, die wie etwa „Verfügung“ oder „Bescheid“ auf ein hoheitliches Handeln hinweisen könnten. Die Formulierung, dass der Betrag bis zum 19.5. des Jahres „fällig“ wird, entspricht vielmehr den Gepflogenheiten bei einer privaten Rechnung. Im Gegensatz dazu enthält die erste Seite eines Verwaltungsakts im Regelfall den Tenor, mit dem einseitig für den betroffenen Bürger eine verbindliche Rechtsfolge gesetzt wird. Auch hieran fehlt es bei dem hiesigen Schreiben. Schließlich endet dieses mit der Grußformel „Ihre Stadtwerke GmbH“. Auch in diesem Zusammenhang fehlt jeder Hinweis auf S als Hoheitsträgerin oder auf eine Rechtsbehelfsbelehrung, aus der etwa auf eine hoheitlich verbindliche Regelung mit der Folge einer Rechtsschutzmöglichkeit für den Bürger geschlossen werden könnte.
JURIQ-Klausurtipp