Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO der Fall – die gerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Anfechtungsklage begehrt, d.h. Letztere gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO die in der Hauptsache statthafte Klageart ist. Dies ist hier der Fall. Allein schon wegen der in der hiesigen Maßnahme der Stadt K gewählten Begrifflichkeiten handelt es sich bei dem Verbot um eine personenbezogene Allgemeinverfügung, nämlich um einen Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet (§ 35 S. 2 Var. 1 VwVfG) und nicht um eine ordnungsbehördliche Verordnung, welche Rechtsnormcharakter aufweist (vgl. § 25 Satz 1 OBG NRW). Denn die angefochtene Maßnahme ist von ihrer Form her als Allgemeinverfügung erlassen worden (entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung, Anordnung der sofortigen Vollziehung, Androhung von Zwangsmitteln) und soll auch in Bezug auf den jeweiligen Adressaten einen Einzelfall regeln (Benutzung und Mitführen von Glasbehältnissen durch Personen, die sich in bestimmten Bereichen zu bestimmten Zeiten aufhalten).
Ob eine Maßnahme als formeller Verwaltungsakt im vorstehenden Sinn einzustufen ist, bestimmt sich – ebenso wie die Ermittlung des Inhalts eines Verwaltungsakts (Auslegung; Rn. 55) – aus Sicht eines objektiven Dritten in der Position des Erklärungsempfängers unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (§§ 133, 157 BGB analog) sowie von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog).
a) Maßnahme
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Voraussetzung für das Vorliegen eines Verwaltungsakts ist gem. § 35 S. 1 VwVfG zunächst, dass eine „Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme“ vorhanden ist.
Unter dem in § 35 S. 1 VwVfG als Obergriff für „Verfügungen“ und „Entscheidungen“ verwendeten Merkmal der „(hoheitlichen) Maßnahme“ ist jedes Verhalten mit Erklärungswert zu verstehen.[15]
Hinweis
Dem in Teilen der Literatur[16] geäußerten Vorbringen, dem Merkmal „Maßnahme“ komme gegenüber dem der „Regelung“ keine eigenständige Bedeutung zu, ist nicht zu folgen. Richtigerweise bezieht sich der Begriff „Maßnahme“ auf die Tätigkeit der Behörde (den Erlass des Verwaltungsakts), wohingegen die „Regelung“ sich auf das Ergebnis dieser Tätigkeit (den erlassenen Verwaltungsakt) bezieht.[17]
Wie aus der vorstehenden Definition folgt, handelt es sich beim Verwaltungsakt grundsätzlich um eine menschliche Willenserklärung[18], welche als solche ausdrücklich oder konkludent (z.B. Subventionsrückforderung enthält zugleich Aufhebung des Bewilligungsbescheids, siehe Übungsfall Nr. 4) erfolgen kann (vgl. § 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG: „in anderer Weise“), i.d.R. nicht dagegen durch bloßes Schweigen (siehe aber § 42a VwVfG).[19] Ausnahmsweise kann nach dem mit Wirkung vom 1.1.2017 neu eingefügten § 35a VwVfG ein Verwaltungsakt allerdings auch vollständig durch automatische Einrichtungen, d.h. ohne Willensbetätigung eines Menschen im jeweiligen Einzelfall,[20] erlassen werden, sofern dies durch eine gesonderte Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen (Rn. 226 ff.) noch ein Beurteilungsspielraum (Rn. 216 ff.) besteht.
Beispiel[21]
E ist Eigentümer eines Wohnhauses im unbeplanten Außenbereich. Nachdem E in den Genuss einer größeren Erbschaft gekommen ist, sieht er sich nunmehr endlich in der Lage, seinen langjährigen Wunsch nach einem eigenen Schwimmbad im Garten seines Grundstücks zu realisieren. Um keine Zeit zu verlieren, wartet E die Entscheidung der zuständigen Bauaufsichtsbehörde B über die von ihm beantragte Baugenehmigung nicht ab, sondern beginnt sogleich mit den Arbeiten. Kurz vor deren Abschluss erscheint M, eine Mitarbeiterin von B, auf der Baustelle, ohne jedoch Einwendungen gegen die Errichtung des Schwimmbads zu erheben. Ebenfalls ohne Beanstandungen verläuft deren weiterer Besuch bei E einen Monat später, als dieser im soeben fertiggestellten Schwimmbad seine Bahnen zieht. Vielmehr erklärte M auf Nachfrage des E im Gegenteil, dass das Schwimmbad sicher bald genehmigt werde. Umso verwunderter ist E sodann, als ihm kurze Zeit später eine Verfügung von B zugeht, in der ihm unter Hinweis auf die fehlende Baugenehmigung sowie die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des Schwimmbads dessen Entfernung aufgegeben wird. E meint, diese Verfügung sei ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, da der Schwimmbadbau schließlich aufsichtsbehördlich begleitet wurde. Zu Recht?
Nein. Insbesondere können die vorgenannten Umstände nicht als aktive Duldung verstanden werden, welche die von B gegenüber E erlassene Verfügung, das Schwimmbad zu entfernen, ermessensfehlerhaft machen würde. Eine rechtsbeachtliche aktive Duldung, die nicht bereits aus langjähriger Untätigkeit der Behörde und auch nicht aus einer beanstandungsfrei verlaufenen Schlussabnahme oder aus späteren, anderen Zwecken dienenden bau-, gewerbe- oder gaststättenrechtlichen Überprüfungen hergeleitet werden kann, ist erst dann anzunehmen, wenn die zuständige Baubehörde in Kenntnis der formellen und ggf. materiellen Illegalität eines Vorhabens zu erkennen gibt, dass sie sich auf Dauer mit dessen Existenz abzufinden gedenkt. Angesichts des Ausnahmecharakters und der weit reichenden Folgen einer aktiven Duldung – die Behörde ist auf Dauer an der Beseitigung rechtswidriger Zustände gehindert – muss den entsprechenden Erklärungen der Behörde mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob, in welchem Umfang und ggf. über welchen Zeitraum die Duldung der illegalen Zustände erfolgen soll. Im Übrigen spricht vieles dafür, dass eine länger andauernde Duldung oder Duldungszusage, soll sie Vertrauensschutz vermitteln, schriftlich erfolgen muss. Ausgehend hiervon ist die Erklärung von M nicht als aktive Duldung zu verstehen, weil ihr nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen ist, dass B die illegalen Zustände vorübergehend oder dauerhaft hinnehmen würde. Wenn das Schwimmbad „sicher genehmigt werden“ sollte, wäre es vielmehr Sache des E, die fehlende Genehmigung ggf. zu erstreiten.
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Abweichend vom Vorstehenden kommt behördlicher Untätigkeit in Form von Schweigen[22] allerdings dann Erklärungswert zu, wenn das Gesetz hieran ausnahmsweise eine Rechtsfolge knüpft. Neben derartigen bisher schon in einzelnen Fachgesetzen v.a. zwecks Verfahrensbeschleunigung getroffenen Regelungen (z.B. § 6a Abs. 1 GewO, § 10 Abs. 1 S. 3 HwO[23]) ordnet nunmehr auch der zur Umsetzung von Art. 13 Abs. 4 (Dienstleistungs-)Richtlinie 2006/123/EG am 18.12.2008 in Kraft getretene § 42a VwVfG eine solche Rechtsfolge an. Gemäß dessen Abs. 1 S. 1 gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch eine andere Rechtsvorschrift – wie z.B. durch den in § 54 Abs. 6 S. 2 KrWG enthaltenen Verweis – ausdrücklich so angeordnet ist.[24]
Genehmigung ist eine vor der Aufnahme oder Ausübung der betreffenden Tätigkeit einzuholende Erlaubnis.[25]
Vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in dem auf § 42a VwVfG verweisenden Fachgesetz setzt dieser einen hinreichend bestimmten[26] Antrag („Ereignis“ i.S.v. § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB[27]) sowie das Fehlen einer diesem entweder stattgebenden oder ablehnenden Entscheidung innerhalb der dafür festgelegten Frist voraus. Diese beträgt gem. § 42a Abs. 2 VwVfG grundsätzlich 3 Monate (mit der Möglichkeit einer einmaligen, zu begründenden und rechtzeitig mitzuteilenden angemessenen Verlängerung „wegen der Schwierigkeit der Angelegenheit“ – und nicht etwa Personalmangels) und beginnt mit Eingang der vollständigen Unterlagen bei der zuständigen Behörde. Die dieser tatsächlich zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit wird allerdings durch die Zugangsfiktion nach § 41 Abs. 2 S. 1 bzw. 2