Untreue von Betriebsräten gegenüber Arbeitnehmern. Katrin Cosack
sondern eingebettet in das Arbeitsverhältnis selbst ausgeübt. Weil hier naturgemäß Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber dem Arbeitgeber bestehen, die mit der freien Amtsausübung kollidieren können, trifft das Betriebsverfassungsgesetz eine Reihe von Regelungen, die jede Besser- oder Schlechterstellung des Betriebsratsmitglieds, sowohl gegenüber seinen Kollegen außerhalb des Betriebsrats als auch gegenüber dem Arbeitgeber, verhindern sollen. Diese Maßnahmen dienen der Herstellung größtmöglicher Unabhängigkeit des Betriebsratsamts von dem Arbeitsverhältnis, innerhalb dessen es ausgeübt wird.[35]
40
So werden Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts befreit, sofern dies zur Durchführung ihrer Betriebsratstätigkeit erforderlich ist, § 37 Abs. 2 BetrVG.
41
Auch ihre potentielle berufliche Weiterentwicklung, die wegen der Betriebsratstätigkeit stagniert, ist zu berücksichtigen: Bis ein Jahr nach Beendigung der Betriebsratstätigkeit hat das Arbeitsentgelt eines ehemaligen Betriebsratsmitglieds in seiner Höhe demjenigen zu entsprechen, das ein vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung erhält, § 37 Abs. 4 BetrVG.
42
Auch die Tätigkeit, die das ehemalige Betriebsratsmitglied in diesem Zeitraum ausführt, muss derjenigen von vergleichbaren Arbeitnehmern entsprechen, § 37 Abs. 5 BetrVG.
43
Zudem hat jedes Betriebsratsmitglied während seiner regelmäßigen Amtszeit Anspruch auf insgesamt drei Wochen bezahlter Freistellung zur Teilnahme an geeigneten Schulungsveranstaltungen, § 37 Abs. 7 BetrVG.
44
Dem Schutz der Unabhängigkeit von arbeitgeberseitigen Druckmechanismen geschuldet ist die Vorschrift des § 15 Abs. 1 KSchG:[36] Danach ist jede ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds während seiner Amtszeit und ein Jahr danach unzulässig.
45
Obwohl diese Aufzählung noch nicht abschließend ist, wird bereits deutlich, dass ein Betriebsratsmitglied eine Reihe von Privilegien genießt, die ihre Rechtfertigung durchaus in der Sicherung seiner Unabhängigkeit gegenüber dem Arbeitgeber und der Vermeidung von Nachteilen durch die Übernahme des Amtes finden, die aber gleichwohl die Besorgnis dämpfen sollten, man finde bei Anlegung der üblichen Haftungsmaßstäbe keine Kandidaten zur Übernahme eines Betriebsratsmandats. Ohnedies ist es meines Erachtens irreführend, beim Betriebsratsamt von einem Ehrenamt zu sprechen, was gleichsam indiziert, es werde nur der Ehre wegen und aus keinem anderen Grund übernommen. Mit Belling,[37] der eine zivilrechtliche Haftung des Betriebsrats gegenüber Arbeitnehmern fordert, sollte vielmehr die enge Verwandtschaft des Betriebsratsamts mit anderen fremdnützig angelegten Ämtern des privaten Rechts, wie beispielsweise dem des Vormunds gemäß §§ 1773 ff. BGB, hervorgehoben werden.[38] Auch der private Vormund führt die Vormundschaft gemäß § 1836 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich unentgeltlich. Jedoch käme man bei ihm kaum auf die Idee, seine Verantwortung gegenüber dem Mündel auf grob fahrlässige und vorsätzliche Schädigungen zu begrenzen.[39] Er haftet vielmehr für jeden Grad der Fahrlässigkeit.[40] Der Zweck des privaten Amts, nämlich Störungen im Rahmen des Privatrechtsverkehrs zunächst ohne direkte Einschaltung des Staates zu beheben,[41] kann schließlich nur dann effektiv erfüllt werden, wenn dem Amtsträger auch Konsequenzen für schuldhafte Pflichtverletzungen drohen, die dem Interessenträger schaden.[42] Wegen der besonderen Missbrauchsgefahren, die daraus erwachsen, dass Rechtsinhaberschaft und Rechtsausübungsbefugnis auseinanderfallen, überlässt der Gesetzgeber dem Amtsinhaber keinen Freiraum ohne verbindliche Haftungsmaßstäbe. Dabei sind seine rechtlichen Befugnisse eng mit seinen Pflichten verknüpft, die aus der Funktion des Amts erwachsen.[43]
46
Insbesondere wegen dieser wesensmäßigen Verwandtschaft[44] des fremdnützig angelegten Betriebsratsamts mit dem altruistisch konzipierten Amt des bürgerlichen Rechts kann das Argument der Haftungsbegrenzung zum Schutz des Ehrenamts nicht durchgreifen. Es sollte vielmehr entlarvt sein als eines, das letztlich nur dem Schutz unrechtmäßigen Handelns dient. Diesen Schutz hat jedoch derjenige nicht nötig, der sich ernsthaft zum Wohl des Betriebes und der Arbeitnehmer engagiert: Zum einen sind die Grenzen des vertretbaren Betriebsratshandelns, wie später gezeigt werden wird, sehr weit gesteckt. Erst ein Verhalten, das noch jenseits dieser weiten Ermessensgrenzen liegt, eröffnet überhaupt die Gefahr, sich strafbar zu machen. Kein redlicher Betriebsrat muss also eine strafrechtliche Verfolgung wegen eines fahrlässigen Fehlers fürchten.
47
Zum anderen kann die Möglichkeit eines Rückzugs auf die persönliche Verantwortung dem Betriebsratsmitglied selbst eine durchaus willkommene Schutzbarriere gegenüber korrumpierenden Ansinnen von außen bieten. So möchte sich manch ein weniger durchsetzungsstarker Arbeitnehmer vielleicht im Betriebsrat engagieren, hat aber die Sorge, dass die Bereitschaft und Fähigkeit zur Kungelei gewissermaßen eine Voraussetzung der Betriebsratstätigkeit darstellt. Ihm wäre durch die Anlegung strafrechtlicher Maßstäbe regelrecht der Rücken gestärkt: Ein Hinweis auf sein persönliches Strafbarkeitsrisiko würde ausreichen, um ihn vor weiteren Versuchen der Meinungsbeeinflussung zu schützen. Die Betriebsratsarbeit würde dadurch sehr viel kalkulierbarer, weil ausschließlich an der Sache orientiert. Festzuhalten bleibt nach allem, dass das Argument des haftungsbedingten Ausblutens der Betriebsverfassung bei näherer Betrachtung seine Schlagkraft verliert.
2. Zum Argument der Autonomie der Betriebsparteien
48
Die Ablehnung jeden Eingreifens in das privatrechtliche Geflecht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (letzterer idealerweise unterstützt und repräsentiert durch den Betriebsrat) lässt außer Acht, dass es vorliegend nicht darum geht, die eine oder die andere Partei zu Lasten der andern zu stärken, bzw. sie zugunsten der Gegenseite zu schwächen. Es soll keineswegs in ein funktionierendes Kräftegleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern eingegriffen werden. Ziel der Strafrechtsbefürworter ist es vielmehr, einer zu beobachtenden Kräfteverschiebung in Richtung Betriebsrat, und zwar zu Lasten des Arbeitnehmers, entgegenzuwirken. Das Betriebsverfassungsgesetz, das 1952 erstmals in Kraft getreten ist, basierte auf anderen Voraussetzungen als denen, die heute in den Betrieben herrschen. Es ging damals davon aus, dass jede dem Betriebsrat zugestandene Freiheit den Arbeitnehmern zugutekam und dass jede Beschneidung der Betriebsratsrechte unmittelbar auch den Arbeitnehmern schadete, weil es beide gewissermaßen als Einheit ansah. Heute wird eine Kontrolle der Betriebsräte im Hinblick auf die pflichtgemäße Interessenwahrnehmung der von ihnen repräsentierten Arbeitnehmer zunehmend für notwendig gehalten.[45] Nicht nur die anfangs erwähnten LAG-Urteile bestätigen die Notwendigkeit hierfür. Es ist schließlich nicht der Schutz des Arbeitnehmers vor dem Arbeitgeber, sondern der Schutz des Arbeitnehmers vor seinem eigenen Betriebsrat, der im Fokus dieser Untersuchung steht.[46]
49
Hier kann es dem Staat nicht gestattet sein, unter Hinweis auf das zur Verfügung gestellte Betriebsverfassungsgesetz und der darin weitgehend begründeten Privatautonomie der Parteien vornehme Zurückhaltung zu üben. Insofern fordert Rieble zu Recht, der Staat habe in einem Mindestmaß auf dem von ihm bereiteten Spielfeld als Schiedsrichter für Ordnung zu sorgen.[47]
3. Zum Argument der Kriminalisierung des Arbeitsrechts
50
Ähnliches kann auch gegen das Argument vorgebracht werden, eine stärkere Kontrolle des Betriebsrats, die auch das strafrechtliche Instrumentarium nicht ausschließe, führe zu einer Kriminalisierung des Arbeitsrechts und beschneide letztlich mit den Rechten des Betriebsrats auch die Rechte der von ihm vertretenen Arbeitnehmer.
51
Denn gerade denjenigen, die die Rechte der Arbeitnehmer stärken wollen, sollte es ein wichtiges Anliegen sein, dass die Anforderungen des Betriebsverfassungsrechts an den Betriebsrat, wie z.B.