Untreue von Betriebsräten gegenüber Arbeitnehmern. Katrin Cosack
nicht beeinflusst worden sei, da die vom Betriebsrat gestellte Bedingung keinen Eingang in den Interessenausgleichsvertrag gefunden habe. Dass diesem aber nur aufgrund der vorher ausgehandelten Begünstigung einiger seiner Mitglieder überhaupt vom Betriebsrat zugestimmt wurde, berücksichtigt das Gericht nicht. Die Kündigungsschutzklage wurde abgewiesen.[15]
Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › A. Einführung in die Problematik und Ausblick auf den Gang der Untersuchung › II. Strafrechtliche Annäherung
II. Strafrechtliche Annäherung
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Während im ersten Fall aufgrund der Kündigungsschutzklage ein Arbeitsplatzverlust gerade noch abgewendet werden konnte, bedeutet die Bestätigung der Kündigungen im zweiten Fall eine erhebliche existenzielle Problematik mindestens für einige der gekündigten Arbeitnehmer.
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Hierfür maßgeblich verantwortlich war mit dem Betriebsrat ein arbeitnehmernahes Organ der Betriebsverfassung, dessen Mitglieder nach den Feststellungen des Gerichts ihr Amt verbotenerweise zur Besserstellung von Gewerkschaftskollegen, bzw. zu ihrer eigenen Besserstellung benutzt haben.
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Unbefangen betrachtet liegt es in solchen Fällen nahe, einen Vermögensschaden der gekündigten Arbeitnehmer anzunehmen, der maßgeblich durch einen Verstoß des Betriebsrats gegen gesetzliche Vorschriften entstanden ist. In derartigen Konstellationen, wo die Pflichtverletzung eines zu fremdnützigem Verhalten Verpflichteten[16] einen Vermögensverlust desjenigen zur Folge hat, der von der verletzten Pflicht eigentlich profitieren sollte, drängt sich im Regelfall die Prüfung nicht nur zivilrechtlicher,[17] sondern auch strafrechtlicher Konsequenzen, namentlich die Prüfung des Untreuetatbestandes gemäß § 266 Abs. 1 StGB,[18] auf. Aber in den entschiedenen Fällen haben sich weder Schadensersatzklagen von benachteiligten Arbeitnehmern, noch gar staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren angeschlossen.
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Den Unbefangenen mag es erstaunen, dass Vorgänge wie die geschilderten außerhalb der arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzklageverfahren, im Rahmen derer sie offenbar geworden sind, bisher ohne Bedeutung in der strafgerichtlichen Praxis geblieben sind und auch, dass selbst das strafrechtliche Schrifttum sich zur Frage einer möglichen Strafbarkeit von Betriebsräten wegen arbeitnehmerschädlichen Verhaltens weitgehend einhellig zurückhält.
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Der Grund dafür ist unter anderem im besonderen Charakter des hier betroffenen Arbeitsstrafrechts als Teilgebiet des Wirtschaftsstrafrechts[19] zu suchen. Das klassische Arbeitsstrafrecht dient vorrangig dem Arbeitnehmerschutz: Arbeitgeber und ihre verantwortlichen Führungskräfte machen sich strafbar, wenn sie die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften nicht gewährleisten.[20] Auch wenn im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz auch Delikte von Seiten des Arbeitnehmers vorkommen, so findet Arbeitsstrafrecht im Wesentlichen im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer statt. Die Kollektivmächte wie Gewerkschaften oder Belegschaftsvertretungen stehen hier üblicherweise außen vor, da ein Bedürfnis für die Anlegung strafrechtlicher Maßstäbe überwiegend nicht gesehen wird. Vielmehr herrscht häufig die Auffassung, das kollektive Arbeitsrecht sei ein weitgehend rechtsfreier Raum, in welchem zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat alles „gedealt“ werden kann und alles frei verhandelbar ist.[21] Jede Einflussnahme von außen soll deswegen tunlichst unterbleiben, selbst wenn sie lediglich in der Mahnung der Verhandlungspartner zur Rechtstreue besteht. Diese Haltung wird von Seiten des Gesetzgebers durchaus gestützt, denn Möglichkeiten zur Kontrolle der Rechtstreue des Betriebsrats oder gar effektive Sanktionen für Rechtsverstöße des Betriebsrats sucht man in der Betriebsverfassung vergeblich, wie später ausführlich gezeigt werden wird.
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Dass die Unwahrscheinlichkeit einer Sanktion die Wahrscheinlichkeit eines Fehlverhaltens steigen lässt, wie Preis in diesem Zusammenhang unwidersprochen feststellt,[22] wird im Hinblick auf die absolute Autonomie der Betriebsparteien offenbar in Kauf genommen.
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Ihre Grenze scheint diese absolute Autonomie der Betriebsparteien allerdings in neuerer Zeit zunehmend dann zu finden, wenn das Unternehmen selbst in erheblichem Umfang geschädigt wird. Unter Rückgriff auf die allgemeinen klassischen Wirtschaftsstraftatbestände, und hier insbesondere die Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB, wurden in jüngerer Zeit durchaus auch Arbeitnehmervertreter strafrechtlich verfolgt und mitunter auch verurteilt.[23] Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass hier stets allein die Vorsitzenden der Arbeitnehmervertretungen zur Verantwortung gezogen worden sind, und zwar für ein Verhalten, das auch ausschließlich ihnen selbst einen Vorteil verschaffte, während die übrigen Mitglieder des Betriebsrats keinerlei strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt waren.
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Eine demgegenüber nochmals verschärfte strafrechtliche Intervention würde es daher bedeuten, wenn die Betriebsratsmitglieder selbst als Teile eines Gremiums für einen rechtswidrigen arbeitnehmerschädlichen Beschluss einzustehen hätten. Für eine solche strafrechtliche „Einmischung“ im Fall des durch seinen eigenen Betriebsrat geschädigten Arbeitnehmers wird ganz überwiegend kein Anlass gesehen. Sich strafrechtlich zwischen den Arbeitnehmer und „seinen Betriebsrat“ zu stellen, bedeutet nach wie vor ein Tabu, das zu brechen angesichts der hier vergleichsweise eher unspektakulären Schäden auch nicht als lohnend angesehen wird. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Zurückhaltung angesichts der Arbeitswirklichkeit noch immer ihre Berechtigung hat. Heute sind Koppelungsgeschäfte des Betriebsrats mit dem Arbeitgeber keine Seltenheit,[24] und ebenfalls nicht selten ist es, dass diese Koppelungsgeschäfte auf Kosten der Arbeitnehmer abgeschlossen werden, die in Ermangelung entsprechender Offenlegungsvorschriften häufig noch nicht einmal Kenntnis davon erhalten.
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Volker Rieble[25] und Thomas Lobinger[26] forderten daher in ihren Vorträgen anlässlich der 5. Ludwigsburger Rechtsgespräche des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) die Gewährleistungsverantwortung des Staates zum Schutz der Arbeitnehmer ein und hier insbesondere die Anwendung des § 266 StGB. Die zu erwartenden kritischen Wortmeldungen, die insbesondere Lobinger zu parieren hatte, bezogen sich im Wesentlichen darauf, dass die Autonomie der Betriebspartner im kollektiven Arbeitsrecht die strafrechtliche Einmischung des Staates bereits im Ansatz verbiete,[27] dass sie darüber hinaus auch unnötig sei, da betriebsverfassungsrechtliche Ahndungsmechanismen ausreichten,[28] und zuletzt, dass ohnehin eine Untreuestrafbarkeit des Betriebsrats zu Lasten von Arbeitnehmern schon aus rechtlichen Gründen gar nicht in Betracht komme[29].
Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › A. Einführung in die Problematik und Ausblick auf den Gang der Untersuchung › III. Gang der Untersuchung
III. Gang der Untersuchung
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Die Berechtigung dieser Argumente möchte ich nachfolgend näher untersuchen.
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Im weiteren Verlauf des ersten Teils werde ich unter B. also die Konzeption des Betriebsverfassungsrechts unter der Fragestellung betrachten, ob sie tatsächlich geeignet ist, den Staat von seiner Strafverantwortung selbst bei vorsätzlicher Schädigung eines Arbeitnehmers generell zu entbinden mit der Folge, dass damit bereits jede nähere strafrechtliche Befassung mit potentiell arbeitnehmerschädlichem Betriebsratsverhalten im Keim zu ersticken wäre.
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Daran anschließend