Untreue von Betriebsräten gegenüber Arbeitnehmern. Katrin Cosack
Rieble Arbeitsstrafrecht im Umbruch, S. 17 ff.
Lobinger Arbeitsstrafrecht im Umbruch, S. 99 ff.
Mayer Arbeitsstrafrecht im Umbruch, Diskussionsbeitrag zum Vortrag Rieble S. 17, 46; Ostrop ebda. S. 17, 47, Krebber Diskussionsbeitrag zum Vortrag Lobinger S. 99, 134.
Clemenz Arbeitsstrafrecht im Umbruch, Diskussionsbeitrag zum Vortrag Lobinger S. 99, 130 f., 132; Bauer ebda., S. 99, 133; Krebber ebda., S. 99, 134.
Bauer Arbeitsstrafrecht im Umbruch, Diskussionsbeitrag zum Vortrag Lobinger 99, 126; Clemenz ebda., S. 99, 133; Bauer ebda., 99, 133.
Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates
B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates
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Verbietet nun die besondere Materie des kollektiven Arbeitsrechts die Anlegung allgemeiner strafrechtlicher Maßstäbe mit der Folge, dass sich diese beiden Rechtsbereiche ihrer Natur nach gegenseitig regelrecht ausschließen können? Eine besondere Regelung, die das Betriebsratsmitglied in Ausübung seines Amtes rechtlich verantwortungsfrei stellen würde, vergleichbar mit parlamentarischen Immunitätsvorschriften, existiert jedenfalls nicht.[1] Ist daher die Forderung, das allgemeine Strafrecht generell aus dem kollektiven Arbeitsrecht auszuklammern in dieser Form überhaupt zulässig?
Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates › I. Einordnung der Problematik unter das Verhältnis von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip
I. Einordnung der Problematik unter das Verhältnis von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip
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Der Wunsch, das Strafrecht generell aus den Betrieben herauszuhalten,[2] ist zunächst einmal nur das: Ein Wunsch. Er mag letztlich pragmatisch sein, doch übersieht derjenige, der ihn äußert, mit dem Legalitätsprinzip gemäß § 152 Abs. 2 StPO[3] eine wichtige Säule unseres Rechtssystems.[4] Danach ist die Staatsanwaltschaft grundsätzlich verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Nur indem man es gerade nicht dem Belieben der Staatsanwaltschaft überlässt, ob und gegen welchen einer Straftat Verdächtigen sie vorgehen möchte, kann ihr Anklagemonopol gemäß § 152 Abs. 1 StPO gerechtfertigt und dem Willkürverbot als allgemeinem Rechtsgrundsatz des Grundgesetzes ausreichend Rechnung getragen werden.[5] Daher können grundsätzlich weder Privatpersonen untereinander, noch Dritte für jene bestimmen, dass aus ihrem speziellen Verhältnis das Strafrecht auszuklammern sei. Am Anfang jeder praktischen strafrechtlichen Befassung mit einem Sachverhalt steht daher stets die Prüfung eines Anfangsverdachts, also der Frage, ob gemäß § 152 Abs. 2 StPO zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen. Dabei hat die Staatsanwaltschaft zwar einen gewissen Beurteilungsspielraum, aber kein Ermessen.[6] Sofern also der ihr bekannt gewordene Sachverhalt rechtlich den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt und keine offenkundigen Rechtfertigungsgründe vorliegen, wird grundsätzlich der Verfolgungszwang ausgelöst.[7]
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Bereits die Prüfung eines solchen Anfangsverdachts unterbinden zu wollen, indem das Handeln der Betriebsratsmitglieder im Rahmen der ihnen zustehenden Mitwirkungsrechte schlankweg jeder strafrechtlichen Prüfung entzogen werden soll, widerspricht also bei Licht besehen dem Legalitätsgrundsatz.
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Andererseits wünscht unsere Rechtsordnung keine Strafverfolgung um jeden Preis.[8] Sie sieht in bestimmten Konstellationen den Erhalt des Rechtsfriedens als höherwertig an, was zum Beispiel an der Existenz von Zeugnisverweigerungsrechten und Beweisverwertungsverboten zu ersehen ist.[9] Auch das Bundesverfassungsgericht hat hierzu festgestellt, dass die Rücksicht auf andere soziale Interessen und der Schutz anderer Gemeinschaftsgüter der Durchführung eines Strafverfahrens entgegenstehen können.[10] Insbesondere dann, wenn der für die Strafverfolgung zu betreibende Aufwand in keinem Verhältnis zum erstrebten Zweck in Form von Ahndung, Spezial- und Generalprävention mehr steht, also der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berührt wird, kommt mit dem Opportunitätsprinzip gemäß § 152 Abs. 2 StPO ein Gegengewicht zum Legalitätsgrundsatz zum Tragen.[11] Das Opportunitätsprinzip erfasst alle Ausnahmen vom Legalitätsgrundsatz.[12] Diese müssen allerdings gesetzlich festgelegt sein, denn § 152 Abs. 2 StPO formuliert ausdrücklich „soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist“. Der insoweit abschließende Katalog an Ausnahmen gemäß §§ 153 bis 154e, 376 i.V.m. 374 StPO und § 45 JGG gibt der Staatsanwaltschaft daher kein Wahlrecht zwischen Verfolgung und Nichtverfolgung, sondern verlangt die Subsumtion unter die jeweiligen Ausnahmetatbestände und setzt somit Rechtsanwendung voraus.[13]
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Wenngleich zwar zunächst ein Anfangsverdacht zu prüfen wäre, bevor überhaupt Einschränkungen der Verfolgungspflicht zum Tragen kommen könnten,[14] so soll in dieser Arbeit dennoch kein unnötiger Aufwand getrieben werden: Wenn bereits aufgrund der Argumente der Strafrechtsgegner feststände, dass eine Strafverfolgung von Betriebsratsmitgliedern wegen Untreue im Rahmen der pflichtwidrigen Ausübung von Mitwirkungsrechten ohnehin unangemessen wäre, so mag die Prüfung an dieser Stelle beendet werden.
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Da nun die Unangemessenheit von Strafverfolgung nach den Vorgaben des Opportunitätsprinzips zu beurteilen ist, bieten sich die Einstellungsvoraussetzungen gemäß § 153 Abs. 1 StPO als Prüfungsmaßstab für die Berechtigung der gegen eine Strafverfolgung vorgebrachten Argumente an. Diese Vorschrift, deren Anwendung allein auf Vergehen in Betracht kommt, setzt voraus, dass bei potentiell geringer Schuld des Täters kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Während die potentiell geringe Schuld im Rahmen des gesamten Tatbilds und der begleitenden Umstände zu beurteilen ist,[15] ist für das mangelnde öffentliche Interesse an der Strafverfolgung insbesondere darauf abzustellen, ob die Allgemeinheit ein Interesse an der Verfolgung aus Gründen der Spezial- oder Generalprävention hat.[16] Die Argumente der Strafrechtsgegner betreffen letztlich beides. Für sie ist die Eigenschaft als Betriebsratsmitglied grundsätzlich nicht kompatibel mit der Täterrolle des Strafgesetzbuchs und ohnehin die gesamte Materie weniger eine Angelegenheit der Allgemeinheit, als vielmehr eine betriebsinterne, die auch allein im betrieblichen Kontext zu verbleiben habe.[17]
Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates › II. Argumente gegen die Anwendung von Strafrecht im kollektiven Arbeitsrecht im Licht des Opportunitätsprinzips
II. Argumente gegen die Anwendung von Strafrecht im kollektiven Arbeitsrecht im Licht des Opportunitätsprinzips
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Dabei argumentieren