Untreue von Betriebsräten gegenüber Arbeitnehmern. Katrin Cosack
der Arbeitnehmer.
1. Autonomie der Betriebsparteien
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So klingt bei vielen Äußerungen die Auffassung mit, dass die mühsam errungene Anhebung der Arbeitnehmer auf das Kräfteniveau der Arbeitgeberseite es rechtfertige, bzw. sogar regelrecht fordere, dass man die Parteien ungestört ihre eigenen Lösungen finden lässt. In diesem Sinne formulierte Klee bereits 1922 die hehre These, die Gesundung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse hänge nicht in erster Linie von den Mitteln der Strafjustiz ab, sondern von dem Geist der Gemeinschaft, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst an diese Aufgabe herangingen.[18]
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Und Sinzheimer stellte in seinem Vortrag anlässlich des 35. Deutschen Juristentages im Jahr 1928 fest: „Ein Eingreifen des Strafrichters in die feinnervigen kollektiven Rechtsbeziehungen unserer Zeit kann nur Schaden stiften. Das kollektive Recht ist autonomes Recht. Es will und kann sich selber schützen.“[19]
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Und wenngleich sich dieses Verständnis seitdem geändert habe und in neuerer Zeit die Tarifparteien nicht eben selten nach staatlicher Hilfe und Schutz auf dem Arbeitsmarkt verlangten,[20] so möchte man doch den Staat in seiner sanktionierenden Funktion möglichst aus den Betrieben heraushalten.[21]
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Dabei glaubt man sich offenbar guten Gewissens darauf berufen zu können, dass der deutsche Staat mit der Schaffung des Betriebsverfassungsgesetzes für seine Arbeitnehmer bereits mehr getan hat, als in anderen europäischen Ländern zum Schutz der Arbeitnehmer unternommen wird.[22] Mit dem Betriebsrat, der das Vertretungsorgan der Arbeitnehmerschaft eines Betriebes darstellt, hat man den Arbeitnehmern einen Fürsprecher zur Seite gestellt, der als Garant der Wahrnehmung ihrer Rechte fungieren soll.[23] Ob er dies tatsächlich tut und was er mit dem Arbeitgeber aushandelt, möchte der Außenstehende oftmals gar nicht ganz genau wissen. Solange der Betrieb funktioniert und alle Beteiligten weitgehend zufrieden sind oder jedenfalls scheinen, wird kein Anlass gesehen, dieses in sich geschlossene System von außen, und gar durch den Staatsanwalt, zu stören.
2. Kriminalisierung des Arbeitsrechts
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Hinter der Ablehnung jeglicher strafrechtlicher Einmischung mag weiterhin die Befürchtung stehen, das Strafrecht könne im Arbeitsrecht leicht zur Unterdrückung des missliebigen Gegners missbraucht werden und so die Ausübung der Arbeitnehmerrechte massiv behindern. Gerade durch die Kriminalisierung streikender Arbeitnehmer zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ist deren Möglichkeit zur Einflussnahme ja nachhaltig unterdrückt worden.[24] Wenngleich diese Gefahr heute offenkundig nicht mehr besteht, scheint den Strafrechtsgegnern noch immer jede Kontrolle des Betriebsrats als eine Beschneidung seiner Rechte und damit gleichzeitig als eine Beschneidung der Rechte der von ihm repräsentierten Arbeitnehmer zu gelten.
3. Arbeitsrechtlicher Grundsatz der individuellen Rechtsverteidigung
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Weiterhin wird zu bedenken gegeben, dass das Arbeitsrecht die Funktion habe, den Arbeitnehmer zu schützen, und zwar allein vor seinem Arbeitgeber.[25] In dem Verhältnis dieser beiden spielt der Betriebsrat zunächst nur eine Nebenrolle, und so mag man sich auf den arbeitsrechtlichen Grundsatz zurückziehen, dass der Arbeitnehmer die ihm eingeräumten Individualrechte gegen den Arbeitgeber auch selbständig durchsetzen muss. Insoweit sind ihm prozessuale Mittel zur Seite gestellt, die ihn – formal gesehen – optimal schützen. Ihm daneben zusätzlichen strafrechtlichen Schutz gegen seinen Betriebsrat zu gewähren, wird vor diesem Hintergrund für überflüssig gehalten.[26]
4. Gefährdung der betrieblichen Mitbestimmung durch Haftungsrisiken
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Und zuletzt werden Bedenken hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung angeführt: Je höher das Haftungsrisiko, desto geringer sei die Bereitschaft zur Übernahme eines Betriebsratsmandats, das gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG ja unentgeltlich als Ehrenamt auszuüben ist. Wenn sich aber aufgrund allzu restriktiver Kontrolle letztlich kaum mehr jemand für die Ausübung dieses Ehrenamtes zur Verfügung stelle, sei der betrieblichen Mitbestimmung u.U. ein erhebliches praktisches Hindernis entgegengesetzt.[27]
Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates › III. Auseinandersetzung mit den Argumenten der Strafrechtsgegner
III. Auseinandersetzung mit den Argumenten der Strafrechtsgegner
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Dieser Auffassung muss ein heute deutlich verändertes Verständnis der betrieblichen Mitbestimmung entgegengehalten werden.
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Wo das Verhandeln von Arbeitgeber und Betriebsrat „auf Augenhöhe“ selbstverständlich geworden ist, wo Betriebsräte im vollen Bewusstsein ihrer (angenommenen) Nichtverfolgbarkeit bekennen, das Ehrenamtsprinzip regelmäßig zu unterlaufen,[28] wo das Kungeln und Dealen ohne jede Kontrolle durch Außenstehende (und zu diesen zählen auch die Arbeitnehmer) keine Ausnahmeerscheinung mehr ist, fehlt es an der Rechtfertigung für die strikte Ausklammerung von Kontrollmechanismen gegenüber dem Betriebsrat. Der Arbeitnehmer ist in der Gefahr, im „Machtpoker“ zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zum Opfer zu werden.[29] Zu seinem Schutz wird es zunehmend als legitim empfunden, als Ultima Ratio auch vor dem Strafrecht nicht Halt zu machen,[30] wenngleich es der vorzugswürdigere Weg sei, die Freiheiten des Betriebsrats im Betriebsverfassungsgesetz an passender Stelle zu begrenzen.[31]
1. Zum Argument der Gefährdung der betrieblichen Mitbestimmung durch Haftungsrisiken
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Um gleich mit dem letzten Argument der Strafrechtsgegner zu beginnen: Die Argumentation mit dem Ehrenamt ist hinlänglich u.a. aus dem Vereinsrecht bekannt. Immer dort, wo sich Menschen ehrenamtlich und gemeinnützig engagieren, ist allzu restriktive Haftung fehl am Platz. Das Ehrenamt im Idealverein stellt an sich schon eine Belastung dar, die meist nebenberuflich und unentgeltlich zum Nutzen der Allgemeinheit übernommen wird und verdient es daher tatsächlich, das persönliche Haftungsrisiko der Vorstandsmitglieder und der für den Verein tätigen Mitglieder zu reduzieren. Dem trägt das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes vom 21. März 2013[32] Rechnung, das durch § 31b BGB[33] die Vereinsmitglieder, die Aufgaben des Vereins wahrnehmen, haftungsrechtlich den Organmitgliedern nach § 31a BGB gleichstellt, wenn sie im Wesentlichen unentgeltlich für den Verein tätig sind. Schädigen sie den Verein oder Dritte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben, so sind sie ebenso wie unentgeltlich tätige Vorstandsmitglieder von der Haftung frei oder freizustellen. Voraussetzung ist, dass sie den Schaden nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Im Umkehrschluss heißt dies, dass für eine vorsätzliche Schädigung eine persönliche Haftung natürlich nicht ausgeschlossen werden kann. Dies gilt auch für strafrechtliche Verantwortung bei der Begehung von Vorsatzdelikten wie § 266 StGB. Auch hier kann das Ehrenamt eine strafrechtliche Verfolgung nicht verhindern, auch dann nicht, wenn die Tat in Ausübung des unentgeltlich ausgeübten Amtes begangen wurde. Wenngleich bereits deswegen feststehen dürfte, dass das Ehrenamtsargument im vorliegenden Fall ohnehin nicht schlagkräftig ist, so soll dennoch nachfolgend gezeigt werden, dass und warum das private Ehrenamt im gemeinnützigen Verein im Hinblick auf das Maß seiner altruistischen Motivation nicht unmittelbar mit dem Betriebsratsamt vergleichbar ist. Zwar bestimmt § 37 Abs. 1 BetrVG, dass die Mitglieder des Betriebsrates ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt führen. Und ebenso wie beim privaten Verein handelt