Der geschäftliche Betrieb als "Dritter" im Sinne des § 299 StGB. Maximilian Menn
VII. Weitere Reformbestrebungen
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Mit der Einfügung des dritten Absatzes in die Vorschrift endete jedoch keineswegs die Diskussion um die Notwendigkeit weiterer Reformen. Am 30.5.2007 wurde der Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes durch das Bundeskabinett beschlossen, welcher auf dem zuvor schon bekannt gewordenen Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium zu einem „Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Korruption“ vom 19.9.2006 basierte. Der Entwurf beinhaltete erneut Änderungen am Tatbestand des § 299 StGB und wurde am 10.8.2008 an den Bundesrat weitergeleitet.[101] Zum größten Teil waren die damaligen Reformbestrebungen der Bundesregierung auf verschiedene – noch heute gültige – supranationale Regelungen zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung zurückzuführen. So fordert das Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarates vom 27.1.1999 („EUR-Ü“) nicht nur die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit, sondern ebenfalls einen Mindeststandard bei der Korruptionsbekämpfung im innerstaatlichen Bereich.[102] Der Rahmenbeschluss 2003/568/JI des Rates vom 22.7.2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor („EU-RB“) verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten, aktive und passive Bestechungshandlungen im geschäftlichen Verkehr im In- und Ausland zu verfolgen und mit Strafe zu bedrohen.[103] Schließlich enthält das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31.10.2003 („VN-Ü“) noch ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Verhütung und Bekämpfung von Korruption.[104]
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Im Gesetzgebungsverfahren war man der Ansicht, dass § 299 StGB die dort genannten Vorgaben im Wesentlichen weitestgehend schon aktuell erfülle, einige Modifikationen aber dennoch von Nöten seien.[105] Insbesondere wurde die Einführung einer Tatmodalität diskutiert, die eine Pflichtverletzung gegenüber dem anstellenden Unternehmen beinhaltete (sog. Geschäftsherrenmodell), um eine Anpassung an die entsprechenden Übereinkommen, welche entscheidend auf diese sog. breach of duties abstellen, zu gewährleisten. Die Bundesregierung stellte in ihrer Gesetzesbegründung fest, dass dadurch auch Pflichtverletzungen des Angestellten gegenüber dem Geschäftsherrn außerhalb von Wettbewerbslagen erfasst werden sollten, was seit jeher schon vom Schutzgut des § 299 StGB umfasst sei.[106]
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In Art. 2 Abs. 1 EU-RB wird diesbezüglich festgehalten, dass für eine Bestechungshandlung im privaten Bereich für die erforderliche Gegenleistung eine Pflichtverletzung im Rahmen der Geschäftstätigkeit bzw. innerhalb von Geschäftsvorgängen des Angestellten und auch der Unternehmensleitung ausreichend sei. Gemäß Art. 2 Abs. 3 des Beschlusses haben die Mitgliedsstaaten jedoch die Möglichkeit, die Strafbarkeit auf Fälle von Wettbewerbsverzerrungen[107] zu beschränken, wovon Deutschland bislang auch Gebrauch gemacht hatte. Allerdings ist diese Möglichkeit gem. Art. 2 Abs. 4 EU-RB auf 5 Jahre ab dem 22.7.2005 beschränkt, konnte jedoch gem. Art. 2 Abs. 5 EU-RB vom Rat verlängert werden. Die Regelung einer Beschränkung der Strafbarkeit auf Fälle von Wettbewerbsverzerrungen ist nunmehr allerdings ausgelaufen, da die nach Art. 2 Abs. 5 EU-RB bestehende Verlängerungsmöglichkeit zwischenzeitlich nicht in Anspruch genommen wurde.
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Nahezu wortgleich in Bezug auf die Pflichtverletzung, jedoch ohne die Beschränkungsmöglichkeiten auf Wettbewerbsverzerrungen, sind die Art. 7 und 8 EUR-Ü formuliert. Eine Einschränkung findet sich jedoch auch hier in Art. 37 Abs. 1 EUR-Ü, nach dem die Staaten sogar das Recht haben, gänzlich auf eine Strafbarkeit zu verzichten. Dieses Recht wiederum ist gem. Art 38 Abs. 1 EUR-Ü auf 3 Jahre beschränkt, allerdings umfassend durch die jeweiligen Mitgliedsstaaten verlängerbar.
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Schließlich formuliert Art. 21 VN-Ü eine keinesfalls verbindliche Erwägungslösung hinsichtlich einer Strafbarkeit bei Pflichtverletzungen im privaten Sektor.
Abgesehen von der geplanten Einführung des Geschäftsherrenmodells waren die übrigen Änderungen im Gesetzesentwurf hingegen redaktioneller Natur. So sollte der dritte Absatz der Vorschrift entfallen, dafür aber die ersten beiden Absätze dahingehend ergänzt werden, dass die unlautere Bevorzugung im inländischen oder ausländischen Wettbewerb erfolgen kann. Des Weiteren sollte in Anpassung an die redaktionellen Änderungen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3.7.2004 der Begriff des „geschäftlichen Betriebs“ durch den Begriff „Unternehmen“ und der Begriff der „gewerblichen Leistung“ durch „Dienstleistung“ ersetzt werden.[108] Die Bestechung gem. § 299 Abs. 2 StGB-E musste nicht mehr „zu Zwecken des Wettbewerbs“, sondern, um einen Gleichklang mit der Bestechlichkeit gem. § 299 Abs. 1 StGB-E zu erreichen, nur noch „im Wettbewerb“ erfolgen.
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Die geplanten Änderungen in Bezug auf § 299 StGB, und dabei insbesondere die Erweiterung in § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB-E um das Geschäftsherrenmodell, standen seit Bekanntwerden des Referentenentwurfs, welcher unverändert in den Gesetzentwurf der Bundesregierung mündete, zum Teil erheblich in der Kritik von Seiten der strafrechtlichen Literatur und Interessenverbände. Vor allem wurde eingewandt, dass eine solche Erweiterung der Tatmodalität einen Systembruch der Vorschrift zur Folge habe. Die Vorschrift des § 299 StGB definiere ein Wettbewerbsdelikt und keine Vorschrift zum Schutz des Geschäftsherrn außerhalb von Wettbewerbslagen.[109] Zudem verstoße die Vorschrift gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, da keinesfalls klar sei, auf was für Pflichtverletzungen konkret abzustellen sei. Schließlich sei eine Erweiterung auch nicht notwendig, da unternehmensbezogene und zumindest gravierende Pflichtverletzungen, sofern sie den vermögensrechtlichen Bereich betreffen, schon ausreichend durch die Tatbestände des Betrugs sowie der Untreue im Sinne der §§ 263, 266 StGB geregelt seien. Die Brisanz sei insbesondere in Bezug auf die Untreue sichtbar, da mit der geplanten Neuerung Pflichtverletzungen ohne Vermögensschaden und ohne spezielle Vermögensbetreuungspflicht unter Strafe gestellt würden, was faktisch zur Strafbarkeit wegen „versuchter Untreue“ oder sogar „versuchter Anstiftung zur Untreue“ führen würde.[110] Seien Vermögensinteressen nicht beeinträchtigt, so stünden dem Unternehmer zivil- und arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Verfügung, um auf Verfehlungen des Angestellten zu reagieren. Mit der geplanten Änderung würden wettbewerbs- und arbeitsstrafrechtliche Regelungsmodelle in unzulässiger Weise miteinander vermischt. Das Strafrecht als letzte Möglichkeit zur Erzwingung des Rechtsfriedens sei ohne den Eintritt eines Vermögensschadens für das Unternehmen unverhältnismäßig.[111] Des Weiteren bezwecke die geplante Änderung die Anpassung an §§ 331 ff. StGB, wo in vergleichbarer Weise auf pflichtwidrige Diensthandlungen abgestellt werde. Die Delikte seien jedoch keinesfalls miteinander vergleichbar, da ein von §§ 331 ff. StGB geschütztes „Vertrauen der Allgemeinheit in die Unkäuflichkeit von Trägern staatlicher Funktionen“ keinesfalls und auch nicht sinngemäß auf ein entsprechendes durch § 299 StGB geschütztes Rechtsgut wie etwa eines „Vertrauens in die Lauterkeit der geschäftlichen Tätigkeit von Angestellten“ übertragbar sei.[112]
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Nachdem der Wirtschaftsausschuss des Bundestages das Geschäftsherrenmodell abgelehnt, der federführende Rechtsausschuss sowie der Ausschuss für Innere Angelegenheiten jedoch keine Einwendungen erhoben hatte, billigte der Bundesrat[113] in seiner Sitzung vom 21.9.2007[114] den Gesetzentwurf der Bundesregierung.[115] Am 4.10.2007 wurde der Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht, wo sich das Gesetzgebungsvorhaben aber mit Ablauf der 16. Wahlperiode durch den Grundsatz der Diskontinuität erledigt hat.
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Im Anschluss standen vergleichbare Gesetzesvorhaben, welche die Bestechung im privaten Sektor betrafen, zunächst nicht mehr auf der politischen Tagesordnung. In einem Bericht der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament vom 7.6.2011 wurde jedoch festgestellt, dass Deutschland die Vorgaben des EU-RB[116] durch die derzeit geltende Fassung des § 299 StGB nach Ansicht der Kommission nicht erfüllt.[117] Dies resultiere aus der bisherigen Beschränkung des Geltungsbereichs der Norm auf Handlungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Waren oder gewerblichen Leistungen. Da die Beschränkungsmöglichkeit