Der geschäftliche Betrieb als "Dritter" im Sinne des § 299 StGB. Maximilian Menn
annahm, als besonderes subjektives Recht zur Mitbewerbung.[32] Daraus folgte zwangsläufig, dass im Wettbewerb alles erlaubt war, soweit es nicht ausdrücklich per Gesetz verboten wurde. Die liberale Wirtschaftsauffassung der Epoche, die eine Wirtschaftsordnung ohne jedwede staatliche Einflussnahme vorsah, verhinderte nicht das zunehmende unlautere Verhalten im starken Konkurrenzkampf.[33] Abgesehen von einigen Vorschriften im Warenzeichengesetz von 1874 herrschte ein „freies Spiel der Kräfte“.[34] In einer im Schrifttum viel kritisierten Entscheidung des Reichsgerichts vom 30.11.1880 wurde der unlautere Wettbewerb sogar indirekt gedeckt.[35] Das Reichsgericht ging davon aus, dass aus der Schaffung eines Markenschutzgesetzes folge, dass im Wettbewerb alles erlaubt sei, was dieses Gesetz nicht ausdrücklich verbiete, und bestätigte damit die aus der Entwicklung der Gewerbefreiheit entstandene Rechtsauffassung. Das Urteil des Reichsgerichts war in Bezug auf den unlauteren Wettbewerb exemplarisch für die Zeit von 1880 bis zum Erlass des UWG im Jahre 1896.
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Zunehmend wurde jedoch Kritik an diesem Verständnis geübt. Namentlich Kohler wendete ein, es könne schon denklogisch nicht sein, dass das Markenrecht das gesamte Wettbewerbsrecht abschließend regele.[36] Auch in einem freien Wettbewerb benötige man gewisse Spielregeln. Die liberale Rechtsauffassung bezeichnete er als „so formalistisch und kleinbürgerlich wie möglich“.[37] Es bildete sich in der Folge eine Bewegung, deren Ziel der Schutz des gewerblichen Eigentums war. So wurde am 19.12.1891 in Berlin aus mehreren Vertretern der Industrie ein „Verein für den Schutz des gewerblichen Eigentums“ gegründet, dessen Ziel die Bekämpfung unlauterer Geschäftsmethoden war und der bestrebt war, eine Gesetzesänderung herbeizuführen.[38] Verschiedene Handelskammern forderten von der Politik ein entschiedeneres Einschreiten gegen unlautere Geschäftspraktiken. Die Bewegung fand schließlich Gehör. Erste Entwürfe des späteren Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb („UWG“) wurden seit 1894 im Reichstag beraten und führten schließlich zu dem Erlass des Gesetzes im Jahr 1896. Allerdings fanden sich in dieser ersten Fassung noch keine Bestimmungen zur Verhinderung der Angestelltenkorruption.
Teil 2 Grundsätzliche Erwägungen › A › III. Neufassung des UWG vom 7.6.1909
III. Neufassung des UWG vom 7.6.1909
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Dennoch wurde durch den Erlass des UWG die Diskussion um den Umgang mit unlauteren Geschäftsmethoden verstärkt. Um die Jahrhundertwende nahmen die schon in den Gründerjahren nach der Einführung der Gewerbefreiheit bedingten Auswüchse im Wirtschaftsverkehr weiter zu. Durch den mächtigen Aufschwung des deutschen Handels- und Verkehrswesens wuchs sowohl die Anzahl der Betriebe als auch deren Größe in einem erheblichen Umfang.[39] Die Betriebe wurden seltener von Einzelkaufleuten geführt und waren im zunehmenden Maße von einer weitverzweigten Unternehmensstruktur geprägt.[40] Der Geschäftsinhaber war durch die stetig steigende Betriebsgröße nicht mehr in der Lage, sich alleine um die Entgegennahme und die Erteilung von Aufträgen zu kümmern, sondern musste diese Aufgaben vermehrt an seine Angestellten delegieren.[41] Während für den Inhaber des Geschäfts als Beurteilungsfaktoren für ein zu beziehendes Produkt in der Regel der Preis, die Qualität sowie die Lieferfrist eine entscheidende Rolle spielten, bestand bei dem Angestellten die erhöhte Gefahr, dass dieser mehr an persönlichen Vorteilen, die der Bezug einer bestimmten Ware mit sich brachte, interessiert war. Beim Geschäftsinhaber jedoch war zumindest nach damaliger einhelliger Auffassung der persönliche Vorteil aus dem Abschluss des Vertrags stets auch ein Vorteil des Geschäfts.[42] Beim Angestellten hingegen schien es möglich, dass eine Divergenz zwischen persönlichem Vorteil und dem Vorteil für das Unternehmen bestand. In Folge der Delegation des Einkaufs für die Unternehmen vom Geschäftsinhaber an seine Vertrauenspersonen setzten Lieferanten oftmals alles daran, die Gunst des für den Einkauf verantwortlichen Mitarbeiters zu erlangen. Das „Schmieren“ der Angestellten des Unternehmers wurde zunehmend zu einer gängigen Praxis.
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Auf diese erheblichen Missstände wies erstmals die Frankfurter Halbmonatsschrift „Das freie Wort“ am 5.11.1901 in einem Artikel mit dem Titel „Innere Ursachen für den Niedergang der Industrie in Deutschland“ hin.[43] Darin wurden nicht nur die Missstände angesprochen, sondern auch die negativen Folgen von Bestechung und Bestechlichkeit für Wirtschaft und Gesellschaft aufgeführt. So schädige die Bevorzugung minderwertiger Ware die deutsche Exportwirtschaft in beachtlicher Weise und könne in sicherheitsrelevanten Bereichen auch zu erheblichen Gefahren für die Endverbraucher führen.[44] Deshalb enthielten die Beiträge die Forderung nach dem Erlass einer strafrechtlichen Sanktionsnorm. Auf die Veröffentlichungen folgten zahlreiche Leserzuschriften aus der Bevölkerung, die ebenfalls ein Einschreiten der Politik forderten. Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung für das Thema der Angestelltenkorruption war geweckt.
Es gab jedoch auch erhebliche Gegenstimmen, die sich gegen die Einführung sanktionsrechtlicher Bestimmungen aussprachen. Insbesondere in Angestelltenkreisen war man von solchen Plänen weitestgehend nicht überzeugt. So wurde auf der Hauptversammlung des deutschen Verbandes kaufmännischer Vereine im Mai 1905 in Pforzheim die Ansicht vertreten, dass strafrechtliche Bestimmungen zur Verhinderung der Angestelltenbestechung ein Misstrauensvotum gegen deutsche Angestellte darstellen würden und damit auch zugleich eingeräumt würde, dass in einem nicht unerheblichen Maße Unredlichkeiten im geschäftlichen Verkehr an der Tagesordnung seien.[45]
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Im Reichstag wurde die Frage nach der Einführung sanktionsrechtlicher Bestimmungen gegen den unlauteren Wettbewerb zunächst im Jahre 1905 behandelt. Eine Resolution des Abgeordneten Müller (Meiningen) vom 20.2.1905 forderte eine eingehende Untersuchung der Angestelltenbestechung durch den Reichskanzler.[46] Eine Resolution der Abgeordneten Gröber und Trimborn vom 1.3.1905 ging sogar noch weiter und forderte die Regierung zu einem Gesetzentwurf auf, welcher gegen die aktive und passive Angestelltenbestechung vorgehen sollte.[47] Beide Resolutionen wurden jedoch ohne Debatte in der Sitzung am 27.3.1905 durch den Reichstag abgelehnt.[48] Obwohl es durchaus Zustimmung gab, war man mehrheitlich der Auffassung, dass die Frage der generellen Notwendigkeit sanktionsrechtlicher Normen noch nicht ausreichend geklärt sei.[49]
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Ebenfalls im Jahr 1905 beschäftigte sich auch der deutsche Handelstag mit der Frage der Notwendigkeit strafrechtlicher Bestimmungen. Er hielt auf seiner Sitzung am 14.2.1905 nach einer kontrovers geführten Diskussion eine entsprechende Regelung mit einer Zweidrittel-Mehrheit für erforderlich.[50] Schließlich wurde am 16.8.1906 eine Eingabe im Bundesrat eingereicht, in der ein gesetzliches Einschreiten gefordert wurde.[51]
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Die verschiedentlichen Forderungen hatten zur Folge, dass sich schließlich auch die Regierung mit der Frage nach der Notwendigkeit einer das „Schmiergeldunwesen“ betreffenden gesetzlichen Regelung beschäftigte. Eine durch das Reichsamt des Inneren initialisierte Umfrage unter den Handelskammern, in der diese über bisherige Erfahrungen hinsichtlich der Angestelltenbestechung berichten und Ratschläge zu deren Behebung formulieren sollten, ergab zunächst ein geteiltes Bild.[52] Von 124 sich äußernden Kammern waren 49 für die Einführung strafrechtlicher Bestimmungen, 52 dagegen und 23 waren unentschlossen.[53] Als zentrale Argumente gegen die gesetzlichen Regelungen wurde unter anderem angeführt, dass es schwierig sei, einen Tatbestand aufzustellen, der einerseits verwerflich erscheinende Geschäftspraktiken ohne Ausnahme treffen würde, auf der anderen Seite jedoch die üblichen sozial gebilligten Verhaltensmuster wie das Zahlen von Trinkgeldern oder kleine Geschenke vom Tatbestand ausnehme.[54] Zudem befürchtete man ein unliebsames „Eindringen“ behördlicher Strafverfolgungsorgane in interne Geschäftsvorgänge. In einer Sitzung der Kommission im Reichsamt des Inneren am 15. und 16.2.1907 kam diese jedoch nicht zuletzt aufgrund des geteilten Meinungsbildes in den betroffenen Kreisen vorerst zu dem Schluss, dass die Materie für eine gesetzgeberische Behandlung noch nicht geeignet sei.[55]
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