Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
Beachte:
Tarifverträge enthalten oft zweistufige Ausschlussfristen zur Geltendmachung von (Entgelt-)Ansprüchen, wonach es erforderlich ist, diese binnen sehr kurzer Fristen zunächst schriftlich (erste Stufe), dann gerichtlich (zweite Stufe) geltend zu machen. Für auflaufende Ansprüche auf Annahmeverzugslohn während Kündigungsschutzklagen ist es seit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19.9.2012 – 5 AZR 627/11) dabei nicht (mehr) erforderlich, die Bestandsklage fortwährend um solche Vergütungsansprüche zu erweitern.
Hierher gehört auch die Möglichkeit der Arbeitszeitflexibilisierung zugunsten des Arbeitgebers durch Vereinbarung von „Arbeit auf Abruf“ (insb. im Einzelhandel und für Aushilfen), vgl. § 12 TzBfG, wonach im Vergütungsinteresse des Arbeitnehmers im Zweifel eine Arbeitszeit von mindestens zehn Stunden in Blöcken zu je mindestens drei Stunden abzurufen sind (sog. kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit – KAPOVAZ). Nicht abgerufene Zeiten sind in diesem Umfang sowohl nach § 615 wie meist auch aus § 281 Abs. 1 dennoch zu vergüten.
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Die wichtigste Vergünstigung gegenüber § 326 gewährt § 616. Hiernach trägt der Arbeitgeber das alltägliche Risiko kürzerer Verhinderung des Arbeitnehmers durch einen in dessen Person liegenden Grund, den er nicht verschuldet hat.
Diese für alle Dienstverpflichteten geltende Vorschrift wird für den Krankheitsfall von Arbeitnehmern in § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) auf eine Sechswochenfrist je Erkrankung erweitert (die Sechswochenfrist gilt bei mehrfachen, einander folgenden unterschiedlichen Erkrankungen, sog. Folgeerkrankungen, jeweils gesondert; bei Rückfall in dieselbe Erkrankung, sog. Fortsetzungserkrankung, ist nach § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG die Frequenz entscheidend; anschließend Anspruch auf Krankengeld gem. § 44 SGB V).
Kleinbetriebe (bis i.d.R. 30 Arbeitnehmer) werden seitens der gesetzlichen Krankenkassen durch eine Erstattung der Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung gem. Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) wieder entlastet.
Beispiel:
Neben Krankheiten und Unfall (eigenen und die naher Angehöriger) gilt § 616 auch für Arbeitsverhinderungen durch religiöse Feste, die nicht bereits als gesetzliche Feiertage unter das EFZG fallen (vgl. Feiertagsregelungen), aber auch für die Sakramentenspendung an Angehörige: eigene Hochzeit oder die von Kindern, Firmungen, goldene Hochzeit der Eltern. Allgemeine Hinderungsgründe (z.B. witterungsbedingte Verkehrsbeeinträchtigungen, Bahnstreiks) liegen nicht „in der Person“ des Schuldners, so dass insb. Wegezeiten zur Arbeit dessen Risiko bleiben. Überdies darf die Verhinderung nur verhältnismäßig kurz sein und entfällt bei längerer Ausdehnung ganz und nicht nur anteilig (anders das EFZG).
§ 616 entlastet ggf. auch einen dritten Schädiger vom Ersatz eines Verdienstausfallschadens, während § 6 Abs. 1 EFZG einen gesetzlichen Forderungsübergang für Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit anordnet und damit dem Arbeitgeber den Regress für die Lohnfortzahlung beim Schädiger ermöglicht.
Ergänzend greifen sozialrechtliche Lohnersatzleistungen: Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes, vgl. § 45 SGB V; ähnliche Sonderregelung nach § 2 des Pflegezeitgesetzes, wofür seit dem 1.1.2015 während der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung Anspruch gegen die Sozialkassen auf Pflegeunterstützungsgeld nach § 44a Abs. 3 SGB XI besteht.
c) Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs
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Soweit Arbeitnehmer Schäden verursachen, sind sie neben direkten Ansprüchen des Geschädigten aus Delikt (vgl. §§ 823, 826) ggf. auch vertraglichen Haftungs- und Regressansprüchen ihres Arbeitgebers (als direkt Geschädigtem bzw. als einem dritten Geschädigtem aus Vertrag, § 31 oder § 831 Verantwortlichem) auf Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 619a ausgesetzt, soweit der Haftungsfall aus einer Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis resultiert, die der Arbeitnehmer nachweislich (§ 280 Abs. 1 S. 2 gilt über § 619a im Dienst- und Arbeitsrecht nicht) zu vertreten hat (§ 276). Bei der vertraglichen wie der deliktischen Arbeitnehmerhaftung greifen allerdings besondere Haftungsmilderungen in entsprechender Anwendung des § 254. Dieser sog. innerbetriebliche Schadensausgleich ist vom Gedanken der Verantwortung des Arbeitgebers für die Organisation des Betriebes und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen sowie des darin liegenden Betriebsrisikos beherrscht.
Für die Anwendung der Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung kommt es entgegen früher nicht darauf an, ob die Arbeit gefahrgeneigt ist. Die Haftungsmilderung greift für alle Arbeiten, die durch den Betrieb veranlasst sind und auf Grund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden; aus § 276 Abs. 1 S. 1 folgt nichts anderes.[140]
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Die konkrete Verteilung des Schadens zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist anhand einer Abwägung zu ermitteln, für die das maßgebliche Kriterium der Grad des Verschuldens ist, das dem Arbeitnehmer zur Last fällt. Bei Vorsatz hat der Arbeitnehmer den Schaden stets, bei grober Fahrlässigkeit i.d.R. allein zu tragen, bei leichter Fahrlässigkeit trägt ihn in voller Höhe der Arbeitgeber; bei normaler bzw. mittlerer Fahrlässigkeit führt der innerbetriebliche Schadensaugleich zur anteilmäßigen Haftung des Arbeitnehmers.
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Die quotale Schadensteilung bei mittlerer Fahrlässigkeit[141] richtet sich insb. in Ansehung von Schadensanlass und Schadensfolgen nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Maßgeblich sind z.B. die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung deckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist.[142] Schließlich ist in diesem Rahmen auch die Gefahrgeneigtheit der Arbeit von Bedeutung,[143] nicht dagegen schlechthin die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers.[144]
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Über § 670 analog gilt der innerbetriebliche Schadensausgleich schließlich auch für eigene Vermögensaufwendungen des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit seiner Arbeitnehmereigenschaft, etwa beim Arbeitsunfall selbst erlittene Schäden,[145] und soweit der Arbeitnehmer direkten Haftungsansprüchen von dritten Geschädigten ausgesetzt ist. Im Umfang der Freizeichnung gegenüber dem Arbeitgeber nach diesen Grundsätzen können Arbeitnehmer von ihm hierfür Aufwendungsersatz analog §§ 667, 670 bzw. über § 257 entsprechende Freistellung verlangen.
4. Fürsorgepflichten
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Aus der Persönlichkeitsbindung in der geschuldeten Dienstleistung folgen beiderseitige Nebenleistungspflichten, die selbstständig einklagbar sind.[146] Hierzu gehörten auf Seiten des Dienstherrn insb. sachliche Fürsorgepflichten hinsichtlich Krankenfürsorge (§ 617) und Arbeitssicherheit (§ 618) ebenso wie der Mindest-Urlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen gem. § 3 BUrlG (24 Werktage einschl. der Samstage, vgl. § 3 Abs. 2 BUrlG) bzw. darüber hinausgehender vertraglicher Regelungen.
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Nebenleistungspflichten bestehen auch in persönlichen Fürsorgepflichten, etwa der Pflicht zur Gewährung angemessener Zeit zur anderweitigen Stellensuche (§ 629) und der Zeugnispflicht (§ 630). Die (einfache) Zeugnispflicht betrifft stets Gegenstand und Dauer des Dienstverhältnisses, auf Verlangen auch die Leistungen und die persönliche Führung (sog. qualifiziertes Zeugnis); sie greift ihrem Wesen nach jedoch nur für abhängige Arbeitsverhältnisse mit Unterordnungscharakter, nicht für freie Dienstverträge. Das Zeugnis muss vollständig und ausgewogen sein, Bewertungen wohlwollend positiv, aber der Wahrheit entsprechend. Begehrt der Arbeitnehmer ein besseres Zeugnis als „befriedigend“ (Standardformulierung: „stets zur Zufriedenheit“), so ist er für die Voraussetzungen