Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy

Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy


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tatbestandsmäßig umschrieben und ausdrücklich mit Strafe bedroht hat. Danach müsste alles Verhalten aus der Darstellung ausgeschlossen bleiben, das zwar strafwürdig, aber noch nicht strafbar ist. Diesen engen Bezugsrahmen bereits hier im phänomenologischen Teil anzulegen wäre jedoch aus den erwähnten Gründen nicht förderlich. Wie angedeutet besteht bisweilen eine inhaltliche Diskrepanz, wenn nicht ein normativer Konflikt zwischen alltags- und wissenschaftssprachlicher Verwendung des Kriminalitäts- und Verbrechensbegriffs. Ein derartiger gesellschaftlicher Dissens ist zumindest in jenen Bereichen, in denen es um die „Kriminalität der Mächtigen“ geht, eher der Normalfall als die Ausnahme. Im Unterschied dazu werden etwa Straßenkriminalität oder Gewaltdelinquenz – als sichtbare und als bedrohlich empfundene Verhaltensweisen – weitgehend übereinstimmend als „Verbrechen“ definiert, was mitunter den unbeabsichtigten Nebeneffekt hat, dass man „die Großen“ laufen lassen muss, „die Kleinen“ aber hängt. Vgl. in diesem Sinne schon die frühen Beobachtungen von Kaiser Kriminologie, S. 423. Vgl. zu dem von Sutherland beschriebenen Lobbyismus die aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf den Derivatehandel und die „Verantwortlichen“ der Finanzkrise 2008; beispielsweise Die Wall Street frohlockt, Die ZEIT vom 9.11.2010; Das Gift der Spekulanten/ Die Pleitewelle, Die ZEIT vom 21.6.2008. Zum Einfluss der „Mächtigen“ auf die Gesetzgebung: Adamek/Otto Der gekaufte Staat, passim.

       [9]

      So auch die Beobachtungen von Rönnau ZStW 2007, 887 (888 ff.), der in seinem umfassenden Beitrag insbesondere auf die Mannesmann–Problematik eingeht.

       [10]

      Terstegen/Zirpins Wirtschaftskriminalität, S. 87 ff.

       [11]

      Vgl. zu den schon von Sutherland beobachteten „expert techniques of concealement“ Sutherland White Collar Crime – The uncut version, S. 33 und den hier dargestellten theoretischen Bezugsrahmen Rn. 131 ff., sowie im Unternehmenskontext ab Rn. 151.

       [12]

      Vgl. den Fall des Nitrit beimischenden Metzgers bei Opp Soziologie der Wirtschaftskriminalität, S. 99 f.

       [13]

      Vgl. die Ausführungen zu Terstegen unter Rn. 112.

       [14]

      Terstegen Strafrechtspflege und Strafrechtsreform (BKA Vortragsreihe, Arbeitstagung im BKA Wiesbaden) 1961, 81 (34).

       [15]

      Vgl. zur Bezeichnung dieser Verhaltensweisen als „Betriebskriminalität“ Schneider NStZ 2007, 555 (556); Theile ZIS 2008, 406 (407).

       [16]

      Vgl. zur grundsätzlichen Kritik an der Rechtsgutslehre als Bezugspunkt für das Strafrecht Gärditz Der Staat 2010, 331 und Stuckenberg GA 2011, 653 m. w. N.

       [17]

      Siehe hierzu schon oben Rn. 102.

       [18]

      So die strafrechtswissenschaftlichen Ansätze und der polizeiliche Begriff von Wirtschaftskriminalität, der den strafprozessualen Ausgangspunkt um die Besonderheit erweitert, dass daneben „alle Straftaten, die im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung begangen werden und über eine Schädigung von Einzelnen hinaus das Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder die Allgemeinheit schädigen können und/oder deren Aufklärung besondere kaufmännische Kenntnisse erfordert“ (Bundeskriminalamt Das Bundeslagebild der Wirtschaftskriminalität, S. 15), miterfasst sind. Letzteres Merkmal unterscheidet sich freilich kaum von den in der strafprozessualen Definition geforderten „besonderen Kenntnissen des Wirtschaftslebens“, jedoch kann der funktionale Zusammenhang zur Wirtschaft und die Beeinträchtigung des Wirtschaftslebens oder der Allgemeinheit durchaus bei der Begriffsbestimmung hilfreich sein.

       [19]

      Vgl. insbesondere Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, 647 und in der Stellungnahme zu systembezogenen Definitionen auf S. 27.

       [20]

      Andere Beispiele wären Insiderhandel oder Kick-Backs zulasten des Unternehmens; vgl. inswoweit Rn. 275.

       [21]

      Auch Opps Formulierung hatte zwei Bestandteile, nämlich einmal „diejenigen gesetzwidrigen Handlungen, die von Angehörigen wirtschaftlicher Betriebe in der Absicht begangen werden, den Aufwand/die Passiva des Betriebes zu vermindern und/oder den Ertrag/die Aktiva zu erhöhen“ und zum zweiten Verhaltensweise, die darauf abzielten „im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit eingegangene Verpflichtungen nicht einzuhalten“; Opp Soziologie der Wirtschaftskriminalität, S. 45 ff.

       [22]

      Siehe hierzu Liebl Kriminologisches Bulletin 1982, 21 (27) und Poerting in: Wirtschaftskriminalität S. 9, der auch darauf hinweist, dass neben dem Zweck der Nominaldefinition, der in der Beschreibung des Phänomens zu sehen ist (Identifikationsfunktion), die Kommunikationsfunktion, also der Zweck der Verständigung mit anderen der Definitionswillkür Grenzen setzt.

       [23]

      So auch schon Boers MschrKrim 2001, 335 (338 f.); Opp Soziologie der Wirtschaftskriminalität, S. 45 ff. und Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 21 ff.

       [24]

      Vgl. zur Beschreibung dieses, auf die Zugangsmöglichkeiten ausgerichteten, Merkmals Rn. 119 ff.

       [25]

      Vgl. zu den Gründen, sich auf Ebene der kriminologischen Definition nicht auf (Straf-) Rechtsverletzungen zu beschränken Rn. 118 ff.

       [26]

      Unter dieser Einschränkung eignet sich die Benennung der gefährdeten Rechtsgüter. Während sich Vermögensdelikte gegen Eigentumsverhältnisse und bestimmte Individuelrechtsgüter richten, sind Wirtschaftsstraftaten nämlich – mindestens – gegen das Kräftegleichgewicht innerhalb des Wirtschaftssystems bzw. gegen die Parameter, die dieses Gleichgewicht sichern, gerichtet.


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