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ist evident. Grundsätzlich haben Versicherte keinen unmittelbaren Anspruch auf Krankheitsbehandlung aus der Verfassungsnorm des Art. 2 Abs. 2 GG, dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.[37] Andererseits entfällt der Schutzanspruch des Versicherten nicht allein durch Einschränkungen des Leistungserbringungsrechts, nur weil er grundsätzlich vorrangig ist und den Anspruchsrahmen absteckt.
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Die Grenzen hat das BVerfG jüngst gegenüber den Leistungserbringern aus dem Schutzanspruch des Grundrechts der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, entwickelt.[38] Unmittelbar zum Leistungsausschluss gegenüber Versicherten hat das Gericht[39] Grenzen aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und aus Art. 2 Abs. 2 GG, dem Schutzauftrag zum Schutz von Leben und Gesundheit, entwickelt. Das BVerfG prüft also die Grenzen statusbeeinflussender Normen und die Grenzen von Leistungsausschlüssen im Einzelfall. Empfiehlt bspw. der G-BA objektiv willkürlich eine neue Behandlungsmethode nicht für die vertragsärztliche Versorgung, lehnt die Krankenkasse deshalb eine Kostenübernahme hierfür ab und beschafft sich ein Versicherter aufgrund dessen die für ihn notwendige Leistung selbst, kann er wegen Systemversagens Kostenfreistellung verlangen.[40]
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Das BSG hatte in verschiedenen Urteilen vom 16.9.1997[41] mit Hinweis auf den Vorrang des Leistungserbringungsrechts die Übernahme von Kosten nicht oder noch nicht anerkannter Krankheitsbehandlungen abgelehnt. Das BVerfG hat im sog. Nikolaus-Beschluss vom 6.12.2005[42] demgegenüber festgestellt, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich endenden Erkrankungen und bei fehlender therapeutischer Alternative nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden als Leistung in Anspruch genommen werden könnten und von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen seien.[43] Das BVerfG hat mit diesem Urteil die verfassungsrechtlichen Grenzen der Beschränkung des Leistungsanspruchs herausgearbeitet. Das Urteil wirkt über den Einzelfall hinaus und umfasst das gesamte Leistungsrecht.[44] Die Versicherten haben also einen unverbrüchlichen Kernbestand an Leistungsansprüchen, die sich aus ihrem Status als Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung unmittelbar verwirklichen können, wenn die Mechanismen der Leistungsbegrenzung zu restriktiv wirken. Das BVerfG leitet das Recht des Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG – der allgemeinen Handlungsfreiheit als gesetzlich Krankenversicherter – und aus dem Schutzauftrag des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf körperliche Unversehrtheit ab. Mit dieser Entscheidung ist die gestalterische Kompetenz des G-BA wieder in den verfassungsrechtlich legitimierten Rahmen zurückgeführt, als solcher aber gleichzeitig bestätigt worden.[45] Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung des § 2 Abs. 1a SGB V nunmehr einen eindeutigen rechtlichen Rahmen für die Fälle ausnahmsweiser Überschreitung des regelmäßigen Leistungskatalogs geschaffen.
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Die Rechtsprechung ist seither in einer Fülle von Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit aufgegriffen und konkretisiert worden.
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In Fällen sogenannten Systemversagens hat die Rechtsprechung eine vielfältige grundrechtsorientierte Anspruchskonkretisierung entwickelt. Wenn das normativ vorgegebene System von Leistungsansprüchen dem grundrechtlich verbürgten Recht auf Heilbehandlung nicht zu entsprechen vermag, wird dem Versicherten dennoch ein Anspruch auf Leistung (hilfsweise Kostenerstattung) gewährt.[46] Der Anspruch des Versicherten bezieht sich sowohl auf die ambulante und stationäre Behandlung als auch auf die Arzneimittelversorgung.
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Beispiele für Leistungsansprüche bei Systemversagen:
– | Seltenheitsfälle: Krankenversicherte haben einen Behandlungsanspruch wegen Singularität nicht erforschter Krankheiten. Dies setzt voraus, dass diese Krankheiten weltweit nur extrem selten vorkommen und in der Folge unerforscht bleiben.[47] |
– | Objektive Fehlbewertungen des G-BA und verzögerte Antragsbearbeitung des G-BA bei objektiver Willkür in der Entscheidung des G-BA oder verzögerter Antragsbearbeitung des G-BA auf Empfehlung neuer Methoden für die vertragsärztliche Versorgung liegt ein Systemversagen mit Kostenerstattungsanspruch vor.[48] |
d) Exkurs: Grenze der Leistungsbegrenzungen am Beispiel des „Off-Label-Use“
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Die Grenze zwischen normativer Leistungsbegrenzung und individuellem Leistungsanspruch sei im folgenden Exkurs zum Arzneimittelrecht beispielhaft dargestellt.[49]
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§ 27 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 31 SGB V gewährt den Versicherten Anspruch auf die Verabreichung und Verordnung von Arzneimitteln und Verbandsmitteln. Was Arzneimittel sind, definiert allein das Arzneimittelgesetz.[50] Dieses ist einer Interpretation durch den G-BA entzogen.[51] Obwohl die Vergabe von Medikamenten Element der Kranken- und Krankenhausbehandlung ist, verbleibt im Hinblick auf die Besonderheiten des Arzneimittelrechts ein gesonderter Regelungsbedarf, den Arzneimitteleinsatz zu steuern.
aa) Anspruch und Eingrenzungen
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Bei Vorliegen der arzneimittelrechtlichen Voraussetzung der Zulassung als Fertigarzneimittel, die dafür nach § 22 Abs. 1 Nr. 6 AMG die Festlegung von Indikationen und Anwendungsgebieten voraussetzt, haben Versicherte gem. § 31 Abs. 1 SGB V grundsätzlich Anspruch auf Verordnung dieser Arzneimittel. Der Anspruch des Versicherten ist nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V grundsätzlich auf verschreibungspflichtige Arzneimittel begrenzt. Dies setzt die Zulassung der Arzneimittel voraus. Das BVerfG[52] hat festgestellt, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V mit Anforderungen des Arzneimittelrechts zu verbinden und die Anwendung des Arzneimittels mangels Zulassung zu verweigern. § 1 AMG schließe die Unbedenklichkeit mit der Prüfung der Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ein. Das BVerfG bestätigte die engen Voraussetzungen für die ausnahmsweise Verordnungsfähigkeit.
Durch Richtlinien des G-BA können Ausnahmen zur Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel festgelegt werden.[53]
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Nach § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V in der Fassung des GKV-WSG hat der Gemeinsame Bundesausschuss eine Zusammenstellung der verordnungsfähigen Fertigarzneimittel vorzunehmen und zu aktualisieren (pharmazeutische Unternehmen sind antragsberechtigt zur Aufnahme in diese Liste).
bb) Problemlage „Off-Label-Use
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Die Arzneimittelzulassung wird dem pharmazeutischen Unternehmer erteilt. Sie soll bewirken, dass zugelassene Fertigarzneimittel für die vorgesehene Indikation bei Beachtung der Verabreichungsvorgaben wirksam und ungefährlich sind. Die Zulassung bewirkt die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels. Diese ist Voraussetzung für die ärztliche Anwendung. Die Entscheidung über den Zulassungsantrag und -bereich des Arzneimittels trifft der pharmazeutische Unternehmer nach erwerbswirtschaftlichen Erwägungen. So sind z.B. Arzneimittel, die in der Kinderheilkunde eingesetzt werden überwiegend noch nicht anerkannt.[54] Bei seltenen Erkrankungen fehlt es an systematischen Erforschungsmöglichkeiten und im Hinblick auf die Forschungskosten am Interesse der Pharmaindustrie, Zulassungsverfahren einzuleiten. Der Arzt ist im Einzelfall ggf. verpflichtet, Arzneimittel außerhalb der Zulassung einzusetzen, wenn er das Medikament für wirksamer, nebenwirkungsfreier oder alternativlos hält.[55]
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In der gesetzlichen Krankenversicherung sind Arzneimittel nur dann einsetzbar, wenn sie das Zulassungsverfahren nach den