Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Bundesmantelvertrag und einheitliche Bewertungsmaßstab nach § 87 SGB V.
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Sachleistungen werden in der Kranken- und Krankenhausbehandlung nach §§ 27, 39 SGB V grundsätzlich nicht durch Einrichtungen der Krankenkassen selbst erbracht, sondern durch Leistungserbringer im Auftrag der Krankenkassen zur Verfügung gestellt. Es gilt der Grundsatz der Fremderbringung. Eigeneinrichtungen der Krankenkassen, die vor 1989 bestanden hatten, dürfen gem. § 140 SGB V weiter betrieben werden. Rehabilitationskliniken können durch die Kostenträger betrieben werden. Der Kreis der Leistungserbringer ist durch § 11 Abs. 6 SGB V auch auf nicht zugelassene Leistungserbringer z.B. Privatkliniken ausgedehnt worden, die im Auftrag der Krankenkassen unmittelbar behandeln.
3. Kein Rückgriff
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Auch wenn die Krankenkasse gegenüber dem Versicherten Übernahme der Behandlungskosten bestandskräftig verweigert, hat dieser gegenüber den Leistungserbringern nicht für den Honorarausfall aufzukommen.[11]
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Selbst eine für den Fall der Verweigerung der Kosten durch die Krankenkasse in den Krankenhaus- oder in den Behandlungsvertrag aufgenommene Zahlungsverpflichtung begründet keine Leistungspflicht des Versicherten gegenüber dem Leistungserbringer. Sie ist unwirksam.[12] Die Unwirksamkeit einer Zahlungsverpflichtung für im Sachleistungssystem in Anspruch genommene Leistungen beruht nicht auf § 134 BGB, da kein Verbotsgesetz betroffen ist. Die Unwirksamkeit folgt auch nicht aus den §§ 305 f. BGB, sondern wie Knorr[13] zu Recht herausarbeitet, aus der sozialrechtlichen Nichtigkeitsklausel des § 32 SGB I. Nach dieser Norm sind privatrechtliche Vereinbarungen zum Nachteil des Sozialversicherungsberechtigten nichtig.
7. Kapitel Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung › C. Leistungsarten › II. Die Kostenerstattung
1. Wahlrecht: Kostenerstattung, § 13 Abs. 2 SGB V
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Gegenüber der Sachleistung lässt § 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 SGB V die Kostenerstattung nur ausnahmsweise zu. Sie bedarf ausdrücklicher gesetzlicher Normierung durch das SGB V oder SGB IX.
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Nach wechselvoller Gesetzgebungsgeschichte bestimmt § 13 Abs. 2 SGB V heute, dass die Versicherten ausnahmsweise Kostenerstattung wählen können.[14] Eine Einschränkung der Wahl auf die ärztliche Versorgung, die zahnärztliche Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist nach § 13 Abs. 2 S. 4 SGB V möglich. Die Leistungserbringer haben aber die Versicherten darüber zu informieren, dass die Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von ihnen selbst zu tragen sind. Die Versicherten haben dies schriftlich zu bestätigen.
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Das System lässt also einen Wechsel des Anspruchs auf unmittelbare, vertraglich zu vereinbarende Inanspruchnahme von Leistungen zu. Der Patient schließt einen Behandlungsvertrag mit dem Leistungserbringer, schuldet also die Gegenleistung selber. Er hat vorzufinanzieren. Die Ausnahme des Kostenerstattungsprinzips gegenüber dem Sachleistungsprinzip gibt eine gegenüber der unmittelbaren Inanspruchnahme für die Versicherten offensichtlich lästige Alternative vor, die praktisch kaum in Anspruch genommen wurde und wird.[15] Hieran dürfte sich auch durch die geringfügigen Änderungen durch das GKV-WSG nichts ändern.
2. Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V – Systemversagen
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Die Kostenerstattung ist gesetzlich ausnahmsweise auch für den Fall des sog. Systemversagens[16] vorgesehen. § 13 Abs. 3 SGB V regelt, dass der Versicherte dann Kostenerstattung erhält, wenn das Sicherstellungssystem dem Patienten die gebotene unaufschiebbare[17] Leistung ohne sachlichen Grund nicht oder nicht rechtzeitig trotz vorheriger Antragstellung zur Verfügung stellen konnte (oder wollte).[18] Die Anträge können durch die Versicherten selbst oder unmittelbar ohne Wahrung der Schriftform durch die Leistungserbringer gestellt werden (s. § 2 Abs. 1a S. 2 SGB V). Es müssen Behandlungsalternativen fehlen.[19] Palliativmedizinische Behandlungsmöglichkeiten stellen keine Alternative zu kurativen Behandlungen dar.[20] Die Fälle des Systemversagens sind nunmehr in § 2 Abs. 1a SGB V gesetzlich aufgegriffen.
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Unter die Fälle des Systemversagens fällt auch die verfahrenswidrige oder offensichtlich willkürliche Verweigerung von Leistungen.[21] Der Kostenerstattungsanspruch setzt voraus, dass der Versicherte sich die Leistung selbst verschaffen musste und dass er – außer im Notfall – vorher an die Krankenversicherung herangetreten ist.[22] Die Fälle einer Kostenerstattung infolge des Systemversagens sind nunmehr in § 2 Abs. 1a i.V.m. § 13 Abs. 3 SGB V gesetzlich ausdrücklich geregelt.[23]
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Sonderregelungen für selbst beschaffte Rehabilitationsleistungen enthält § 15 SGB IV[24].
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Ein Systemversagen liegt auch dann vor, wenn allgemein anerkannte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 SGB V durch das Unterlassen von Anträgen (nach GKV-WSG nunmehr auch des neutralen Vorsitzenden) nicht anerkannt wurden oder ein offensichtlicher Fall der Weigerung vorliegt, zur Beurteilung der Methode vorhandene Informationen dem gemeinsamen Bundesausschuss zur Verfügung zu stellen.[25] Das Systemversagen führt zum Erstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V, wenn das therapeutische Konzept des behandelnden Arztes alternativlos ist. Der Anspruch setzt die zur rechtlichen Durchsetzung des Behandlungsanspruchs gebotene Verfolgung durch Antragsstellung voraus. Ohne Antrag in Anspruch genommene Leistungen sind – außer im Notfall – nicht erstattungsfähig.[26]
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Zu den Erstattungsleistungen gehören nach vorrangiger Antragstellung die Übernahme der Kosten für nicht anerkannte oder neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, für den Einsatz nicht zugelassener oder die Zulassungsindikationen überschreitender Arzneimittel sowie der individuelle (Arzneimittel-)Heilversuch.
3. Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3a SGB V – fristgerechte Entscheidung
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Mit Artikel 2 – Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten v. 20.2.2013, BGBl. I, 277 wurden ein Kostenerstattungsanspruch zur Sanktionierung verzögerter Entscheidungen bei Ablauf von Entscheidungsfristen über Leistungsanträge und für die Gutachten beteiligter Sachverständiger eingeführt:[27]
Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden.[28]
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Kann die Krankenkasse die Fristen nicht einhalten, muss sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mitteilen. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes[29], gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Sofern sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst beschaffen, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.
4. Abgrenzung Selbstzahlerleistungen, IGEL
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Leistungen von medizinischen Leistungserbringern,