Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Gemeinsame Bundesausschuss hat die Aufgabe der Festlegung von Voraussetzungen und Verfahren der Bedarfsplanung.
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Die Richtlinien des G-BA werden nach § 92 Abs. 8 SGB V Teil des Bundesmantelvertrags. Dieser wiederum ist nach § 82 Abs. 1 S. 2 SGB V unmittelbar wirksamer Teil der Gesamtverträge. Die unmittelbare Wirksamkeit der Richtlinien in der vertragsärztlichen Versorgung ergibt sich auch aus § 72 Abs. 2 SGB V. Der Gesetzgeber hat in § 91 Abs. 6 SGB V die Richtlinien des G-BA gegenüber Versicherten, Krankenkassen, ambulanten und stationären Leistungserbringern grundsätzlich für verbindlich erklärt.[15]
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Die Grenzen der Richtlinien und Maßnahmenkompetenz im Leistungsrecht bestimmen die allgemeine Auftragsnorm des § 92 SGB V sowie die speziellen Auftragsnormen des Leistungsrechts und des Rechts der Qualitätssicherung im Leistungserbringungsrecht.[16] Der Richtlinienauftrag soll dem Gebot der Wirtschaftlichkeit Geltung verschaffen. Gemeinsam mit dem IQWiG werden dabei der medizinische Nutzen und die Kosten von Methoden und Mitteln festgelegt. Die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses konkretisieren das Leistungsrecht. Grenzen hat die Rechtsprechung aber bei der Interpretation des Krankheitsbegriffs oder des Arzneimittelbegriffs gesetzt.[17] Der Leistungsanspruch des Versicherten wird durch die Maßnahmen und den Richtlinienrahmen eingegrenzt. Dabei darf der Anspruch des Versicherten auf notwendige und zweckmäßige Behandlung aber nicht eingeschränkt werden.[18]
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Dies ist in der allgemeinen und abstrakten Aussage sicherlich richtig. Problem ist aber, dass die umfassende Kompetenz zur Leistungskonkretisierung gerade auch die Zulassung und den Ausschluss von Leistungen bewirken kann. Die Entscheidungen des G-BA haben bezüglich des Anerkenntniserfordernisses neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und der Eingrenzung vorhandener Methoden auch Rationierungswirkung.[19]
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Die Richtlinienkompetenz des G-BA ist in der Gesetzesentwicklung von Reform zu Reform bis hin zum GKV-Modernisierungsgesetz v. 14.11.2003[20] immer weiter gestärkt worden. Der Versuch, den gemeinsamen Bundesausschuss als Organ der Selbstverwaltung zu schwächen und die Kompetenz stärker der Exekutive zuzuordnen, ist im Gesetzgebungsverfahren des GKV-WSG gescheitert. Nach dem GKV-VStrG wurde die Unabhängigkeit des G-BA gestärkt, gleichzeitig aber der Einfluss der Exekutive, d.h. des Gesundheitsministeriums vergrößert. Dieser Einfluss sollte durch verschiedene weitere Gesetze wie HHVG, TSVG und EIRD zu Lasten des G-BA extendiert werden. Gleichwohl kann weiterhin von einer zentralen korporativen „Superorganisation“ gesprochen werden.[21] Das Mandat des G-BA ist so umfassend und seine konkrete Gestaltungsmacht so groß, dass grundsätzliche Kritik hinsichtlich deren rechtsstaatlicher Legitimation laut wurde.[22] Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat im Dezember 2016 diese Kritik zum Anlass genommen, drei unabhängig voneinander zu erstellende Rechtsgutachten zur Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation des G-BA zum Erlass von Richtlinien und anderen normativen Entscheidungen in Auftrag zu geben.[23] Selbst angesichts der gesetzlichen Verbindlichkeitsweisung für Richtlinien des G-BA in § 91 Abs. 6 SGB V ist diese Kritik nicht verhallt.
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Die Macht des G-BA zur Definition der Teilhaberrechte der gesetzlich Krankenversicherten und der Leistungsrechte und Pflichten der zugelassenen Leistungserbringer betreffen unmittelbar die Grundrechte nach Art. 1 und 2 GG sowie das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Nach kritischen Auffassungen ist der G-BA weder demokratisch legitimiert noch auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage bzw. Ermächtigung handelnd. Beschlüsse und Richtlinien greifen durch Leistungseinschränkungen gegenüber den Versicherten, durch erhöhte Anforderung an Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung und durch Eingriffe in die Zulassungsfreiheit teilweise massiv in geschützte Grundrechtspositionen dieser Adressaten ein.[24] Die Entscheidungen bedürften der verfassungsrechtlichen Legitimation. Ob diese gegeben ist, mag zweifelhaft sein und steht im Zentrum rechtlicher Auseinandersetzung. Hintergrund waren die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.11.2015 (1 BvR 2056/12)[25] und 6.10.2016 (1 BvR 292/16.)[26] enthaltenen Hinweise, die Anlass zu einer rechtswissenschaftlichen Analyse der verschiedenen gesetzlichen Grundlagen zu den Regelungsaufträgen des G-BA gegeben haben.[27] Das BVerfG war im Nikolaus-Beschluss[28] noch den Fragen ausgewichen.[29]
b) Verfassungsrechtliche Anforderungen
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Folgende verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem Normsetzungsinstrumentarium werden erhoben:
– | Den Richtlinien des G-BA stehe nicht ein Numerus clausus der Normsetzungsformen gegenüber. Normen der Sozialversicherung seien formoffen möglich, es bestehe kein Typenzwang traditioneller Normsetzungsformen. Axer sieht eine ausreichende gesetzliche Ermächtigung zu Normverträgen oder Richtlinien.[30] |
– | Kritik wird wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip geäußert.[31] |
– | Demokratische Legitimation verlangt eine personelle und materielle Legitimation. Axer hält diese personelle Legitimation gegenüber Versicherten und nichtärztlichen Leistungserbringern für defizitär.[32] Er sieht aber die Voraussetzungen aus Art. 87 Abs. 2 GG als gegeben an. Nach Art. 87 Abs. 2 GG sei die Normsetzung durch die Sozialversicherungsträger mit dem Demokratiegebot vereinbar.[33] |
– | Defizite werden auch wegen des Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot, d.h. den Parlamentsvorbehalt der hinreichenden Bestimmtheit von Inhalt, Zweck und Ausmaß untergesetzlicher Normen nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG benannt.[34] Demgegenüber sieht Haase[35] keine verfassungsrechtlichen, insbesondere auch keine Defizite hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots von Art. 80 Abs. 1 GG zum Gestaltungsspielraum des untergesetzlichen Normgebers.[36] |
c) Verfassungsrechtliche Grenzen im Einzelfall
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Durch die Entscheidungen des G-BA werden unmittelbar Rechte der Versicherten, aber auch Berufsausübungsrechte der Leistungserbringer gestaltet. Rechte werden bspw. durch Aufnahme bestimmter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eröffnet oder (durch Ausschlüsse) versagt. Behandlungspflichten