Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
bei den Krankenhäusern wie den Krankenkassen bezüglich der Abrechnungsbefugnis für bestimmte Leistungen. Die Prüfung, ob ein Krankenhaus erforderliche strukturelle Voraussetzungen der Leistungserbringung erfüllt, wird vom MD daher künftig nicht mehr in jedem Einzelfall vorgenommen, sondern in Strukturprüfungen, die in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden (§ 275c Abs. 6 Nr. 2 SGB V). Krankenhäuser, die nach einer Strukturprüfung die strukturellen Anforderungen nicht erfüllen, dürfen die Leistungen nicht vereinbaren und nicht abrechnen.
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Die Krankenkassen haben lediglich Anspruch auf die in § 301 SGB V genannten Sozialdaten, keine weiter gehenden Informationsansprüche. Weder Vertragsärzte noch Krankenhäuser haben eine Berichtspflicht gegenüber der Krankenkasse. Diese eingeschränkten Informationsmöglichkeiten sind strafbewehrt nach § 203 StGB. Die fachlich-medizinische Überprüfung der Behandlungsbedürftigkeit ist dem MD überantwortet. Dieser kann nach § 276 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB V die entsprechenden Sozialdaten anfordern, Auskünfte einholen, Untersuchungen vornehmen und hat der Krankenkasse dann nach § 277 Abs. 1 SGB V die Prüfungsergebnisse zu übermitteln. Auch § 100 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB X gibt kein weiter gehendes Recht. Die Krankenkassen haben kein Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen.[41] Soweit Krankenkassen also eigene Bewilligungsentscheidungen durch Verwaltungsakte treffen,[42] haben sie den MD fachlich-medizinisch herbeizuziehen, wenn die ihnen vorliegenden Sozialdaten zur Beurteilung nicht ausreichen.
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Ob der MD die Ergebnisse der Behandlungsfehlerbegutachtung[43] nach § 277 SGB V an die Leistungserbringer offenbaren muss[44], oder nicht[45], ist gegenwärtig umstritten. Für die Beschränkung der Mitteilungspflicht auf sozialmedizinische Begutachtung spricht die verwendete Terminologie in § 277 Abs. 1 SGB V bzgl. Begrifflichkeiten „Ergebnis“ und „Befund“. Beim Ersteren handelt es sich um das Ergebnis hinsichtlich der in Betracht kommenden Leistungen bzw. Leistungsentscheidungen[46], beim Befund um medizinische Angaben, die für die konkrete Leistungsgewährung erforderlich sind.[47] Bei der Beurteilung von Behandlungsfehlern sind aber weder ein „Ergebnis“ hinsichtlich der konkreten Leistung noch sind medizinische Angaben (Befund) die für eine Leistungsgewährung erforderlich sind von Relevanz, sodass die Tatbestandvoraussetzungen der Mitteilungspflicht bei der Begutachtung von Behandlungsfehlern nicht vorlägen. Ferner könne die Ratio der Norm gegen eine Mitteilungspflicht sprechen. In solchen Fällen, in denen der MD einen Behandlungsfehler verneint und hierüber den Leistungserbringer informiert, führe dies dazu, dass dieser als Verursacher eines Schadens über umfassende und weitergehende Informationen verfüge als der/die Geschädigte. In der Folge wäre davon auszugehen, dass die Haftpflichtversicherung eine außergerichtliche Einigung verweigert und den Versicherten der Rechtsweg der außergerichtlichen Klärung faktisch entzogen wird mit der Folge, dass einzig der Klageweg verbleibe. Aber auch im Klageverfahren wirke sich ein negatives Gutachten, welches durch die Haftpflichtversicherung in den Prozess eingeführt wird, für die Versicherten schlecht aus. Dies wiege um so schwerer, da ein solches Gutachten aufgrund einer ergänzenden Fragestellung im anschließenden Ergänzungsgutachten zu einem positiven Gutachten werden könne, dem Versicherten aber faktisch kaum gelingen wird, ein bereits existierendes negatives Gutachten zu entkräften. Gleiches gelte für ein positives Gutachten des MD, welches fachlich fehlerhaft ist und somit zu einem „falsch-positiven“ Gutachten wird. Hier könnten potenzielle Gerichtsverfahren vermieden werden. Im Ergebnis wären Versicherte, die sich an ihre Krankenkasse wenden schlechter gestellt als solche, die ihre Ansprüche eigenständig gegenüber der Versicherung geltend machen, was der Ratio des § 66 SGB V zuwiderliefe.
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Tipp
Versicherte sollten über ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die damit verbunden Möglichkeit, der Übermittlung des Befundes an den Vertragsarzt oder andere Leistungserbringer gemäß § 277 Abs. 1 S. 3 SGB V zu widersprechen, hingewiesen werden.
b) Nachträgliche Überprüfung im Verhältnis Krankenkasse zu Leistungserbringer am Beispiel der Krankenhausbehandlung
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Grundsätzlich war nach der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG die Anspruchskonkretisierung durch den Leistungserbringer im Recht der vertragsärztlichen Versorgung und der Krankenhausbehandlung auch gegenüber den Krankenkassen wirksam.
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Diese auch für die Krankenhausbehandlung zuletzt unstrittige Beurteilung der Rechtslage[48] war dann vom 1. Senat des BSG in Frage gestellt worden. Der 1. Senat lehnte die „Vertretbarkeitsrechtsprechung“ des 3. Senates ab und fordert eine vollständige (ex-post-)Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit.[49]
Der Große Senat hat zwischenzeitlich[50] im Sinne des 1. Senats die Vertretbarkeitslehre in der reinen Form verworfen.
Das Normkonkretisierungsmodell ist dennoch nicht in Frage gestellt.
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Der Leistungserbringer bleibt nach der Entscheidung des Großen Senats vielmehr – wie die folgende Rechtsprechung auch des 3. und 1. Senats bestätigt – im Rahmen seiner und der gebotenen Erkenntnisse und Erkenntnismittel entscheidungsfrei.[51] Die Konkretisierung der Behandlungsansprüche unterliegt lediglich einer immer schärfer werdenden objektiven ex-post-Überprüfung durch MD und Sozialgerichtsbarkeit. Nach Hauck[52] trifft die Beweislast für das Vorliegen der Behandlungsbedürftigkeit und damit den Vergütungsanspruch das Krankenhaus selbst. Nur dann, wenn die Krankenkasse bereits gezahlt hatte, schlägt die Beweislast zulasten der Krankenkasse um.
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Im Rahmen der gesetzlichen und vertraglichen Überprüfungsmöglichkeiten hat die Krankenkasse nach Maßgabe der Regularien der zweiseitigen Verträge nach § 112 SGB V und des § 275c SGB V die Möglichkeit und die Pflicht, unter Beiziehung des MD eine zeitnahe Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit zu treffen. Derartig zeitnahe Feststellungen wird nach der Liberalisierung des Vertragsarztrechtes auch die parallele oder sukzessive Behandlung von Versicherten im Krankenhaus und in der Praxis durch den gleichen Arzt erforderlich machen.
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Tipp
Zur Geltendmachung von Forderungen der Krankenhäuser gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen sollte auf den Aufsatz von Dr. Florian Wölk „Von der Abschaffung des Beschleunigungsgebotes bei der Überprüfung der Krankenhausabrechnung – die neuere Rechtsprechung des BSG zum § 275 Abs. 1c SGB V, ZMGR 2/2014, S. 63 ff., zurückgegriffen werden. Vorsicht bei Vorlage der Krankenakte, LSG BW Urt. v. 11.4.2014 – L 4 KR 3980/12.
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Da die Versicherten selbst von diesen Überprüfungen nicht unmittelbar betroffen sind, bedarf es an dieser Stelle keiner weiteren Vertiefung im Rahmen des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung.
Anmerkungen
LSG Rheinland-Pfalz NZS 2012, 2211.
BVerfG Urt. v. 28.2.2007 – 1 BvL 5/03.
Außer im Notfall: BSGE 89, 39; § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V.
KassKomm/Nolte 93. Erg.-Lfg. 2017, § 15 Rn. 13 f.