Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
hat der Versicherte. In Fällen des § 2 Abs. 1a SGB V kann auch der behandelnde Arzt ohne Schriftformerfordernis Antrag auf Leistungsbewilligung stellen.
3. Vorliegen des Versicherungsfalls
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Im Mittelpunkt der Prüfung steht der Versicherungsfall. Es müssen die subjektiven und die tatbestandlichen Voraussetzungen für die jeweils in Anspruch zu nehmenden Leistungen nach den materiellen Leistungskomplexen der §§ 20 ff. SGB V vorliegen. Medizinische Sachverhalte sind für die entscheidende Krankenkasse dabei gem. § 275 Abs. 2 SGB V durch den Medizinischen Dienst zu prüfen.
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Die Leistung erfolgt bei einem zugelassenen Leistungserbringer bzw. Vertragspartner.[3] Bei der Entscheidung sind die Ortswahl und die religiösen Bedürfnisse des Versicherten bei der Auswahl von Leistungserbringern nach § 2 Abs. 3 SGB V zu berücksichtigen.
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Das sozialverwaltungsrechtliche Verfahren endet mit einem Verwaltungsakt nach §§ 31 f. SGB X.
7. Kapitel Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung › E. Anspruchsstruktur und Anspruchskonkretisierung im Einzelfall › III. Norm- und Anspruchskonkretisierung durch Inanspruchnahme
III. Norm- und Anspruchskonkretisierung durch Inanspruchnahme
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Nach § 19 SGB IV und § 15 SGB V ist für die Leistungsbewilligung im Verhältnis des Krankenversicherten zur Krankenkasse grundsätzlich ein Antrag erforderlich. Das Problem aber ist, dass ambulante und stationäre Krankenbehandlung sowie die Anordnung und Verantwortung von Behandlungsleistungen sonstiger Leistungserbringer Massengeschäfte sind, die eine vorherige Bewilligung der Krankenbehandlung im Verhältnis des Krankenversicherten zur Krankenkasse ausschließen. Es handelt sich um Sach- und Dienstleistungen, deren Erbringung die Krankenversicherung dem Versicherungsnehmer gegenüber schuldet. Dies ist der Grund, warum § 15 Abs. 2–6 SGB V das Recht des Versicherten auf unmittelbare Inanspruchnahme der Leistung bei der Krankenbehandlung als Ausnahme von § 19 SGB IV regelt. So wird der Antrag des Versicherten konsequenterweise nicht mehr als eigenständige materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung[4] angesehen. Ob überhaupt ein konkludenter Antrag vorliegt, kann bestritten werden.
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Das Versorgungskrankenhaus und der Vertragsarzt sind bei Vorliegen der Voraussetzungen verpflichtet, den Behandlungsanspruch selbst oder durch Anordnung von Behandlungen zu erfüllen. § 15 Abs. 2–6 SGB V verlangt, dass sich der Krankenversicherte durch Chipkarte als Krankenversicherungsnachweis (eGK) gem. § 291 SGB V gegenüber dem Vertragsarzt ausweist. Dieser hat dann selbst zu behandeln oder Leistungen beispielsweise des Krankenhauses zu verordnen. Die Verordnung von Krankenhausleistungen bindet das Krankenhaus nicht unmittelbar. Die Behandlungspflicht folgt vielmehr allein aus der Feststellung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit durch den verantwortlichen Krankenhausarzt selbst.[5] Selbst eine entgegenstehende Entscheidung der Krankenkasse lässt die Leistungspflicht des Vertragsarztes oder des Krankenhauses[6] nicht entfallen.
1. Speziell: Der Versicherungsfall der Krankheit
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Wegen der besonderen Bedeutung wird im Folgenden allein der Versicherungsfall der Krankheit[7] als Leistungsvoraussetzung knapp erörtert und der Leistungsanspruch auf Krankheitsbehandlung[8] gegen Ansprüche auf Vorsorge, Rehabilitation und auf Pflege abgegrenzt.
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In der anwaltlichen Praxis dürfte die Vertretung von gesetzlich Krankenversicherten mit dem Ziel der Leistungsgewährung sich regelmäßig mit den Voraussetzungen des Versicherungsfalls der Krankheit beschäftigen. Diese können sich bei Krankenhausbehandlungen bspw. auf Fragen der Inanspruchnahme von Krankenhäusern bei chronischen Leiden[9] beziehen, auf Leistung der ästhetischen Medizin/plastischen Chirurgie[10] oder auf Abgrenzungsfragen der ambulanten und stationären Rehabilitation gegenüber Krankenhausbehandlung einerseits oder vertragsärztlichen Behandlungen andererseits.
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Krankheit kann als regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand mit der Folge der Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit definiert werden.[11] Sie kann auch auf den Alterungsprozess zurückzuführen sein.[12] Keine Krankheit im Sinne des Gesetzes ist die Befindlichkeitsstörung, z.B. subjektives Unwohlsein ohne pathologische Befunde, wohl aber die nicht selbst überwindbare seelische Störung.[13] Behandlungen durch Lifestyle-Arzneimittel bspw. bei erektiler Dysfunktion werden von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erstattet.[14]
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Die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit umfasst im Vorfeld die Diagnosebedürftigkeit.[15] Das Begriffsmerkmal der Behandlungsbedürftigkeit setzt die Behandlungsfähigkeit voraus. Behandlungsfähigkeit bedeutet dabei die zielgerichtete (kausale) Beseitigung einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung, Linderung oder Besserung. Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit fehlen bei sonstigen medizinischen Behandlungen, selbst wenn sie zwingend von Ärzten auszuüben wären. Krankheiten im Sinne des sozialen Krankenversicherungsrechtes sind nur solche, deren Behandlung nicht vorrangig aus anderen Zielen (ästhetisch, kosmetisch, paramedizinisch) begründet wird.[16] Das Behandlungsziel wird ausdrücklich in § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V gesetzlich benannt.
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Auf Leistungen besteht dann kein Anspruch, wenn sie auf einem Arbeitsunfall beruhen oder einer Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung des SGB VII folgen.[17]
2. Kein Wahlrecht des Patienten
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Der Patient hat bei der Entscheidung über die Auswahl der konkreten Leistungen kein eigenes Bestimmungsrecht,[18] wohl aber das grundsätzliche Recht der freien Arztwahl nach § 76 Abs. 1 SGB V und der freien Wahl des Krankenhauses.[19] Er ist bei der Bestimmung des Erbringers ver- oder angeordneter Leistungen ebenfalls grundsätzlich frei. Hausärztliche Steuerungsmodelle nach § 73b SGB V verpflichten weder zur Wahl eines Hausarztes noch eines bestimmten Facharztes.[20] § 73b SGB V bindet den Versicherten aber bei Wahl der hausarztzentrierten Versorgung über mindestens ein Jahr an den gewählten teilnehmenden Hausarzt.
3. Inanspruchnahme
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Da die Inanspruchnahme von zur Verfügung zu stellenden Leistungen nach § 15 Abs. 2 ff. SGB V[21] grundsätzlich als Sachleistung erfolgt, obliegt den Leistungserbringern die u.U. entscheidende Beurteilung, Leistung oder Veranlassung.
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Nur selten steht im hoch komplexen System aufgrund begrenzter Ressourcen, aber auch begrenzter (Zeit für) Diagnostik eindeutig fest, welche Behandlungsleistungen von wem wann und wie oft zu erbringen oder zu verordnen sind. Selbst bei der Notfallbehandlung steht nicht immer zwingend fest, welches Medikament zu welcher Zeit in welchem Umfang beispielsweise eingenommen werden muss.
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So haben die Vertragsärzte und die verantwortlichen Krankenhausärzte nach den verfügbaren Erkenntnissen und Regeln der Kunst ein – freilich auf medizinische Fragen beschränktes – Recht, den Behandlungsanspruch des Versicherten zu konkretisieren.[22] In ihrer Entscheidung zugunsten einer bestimmten Therapie haben sie die Hierarchie vorrangiger gegenüber nachrangigen Behandlungsalternativen zu beachten. Eine Krankenhausbehandlung kann z.B. nur veranlasst werden, wenn sie nach den Kriterien der