Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Kap. 7).[35]
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Die sog. neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden begrenzen einerseits den Leistungsanspruch des Versicherten, was im Hinblick auf neue Erkrankungsformen und schulmedizinisch nicht therapierbare Symptomatiken regelmäßig die Sozialgerichte beschäftigt, anderseits beschränken sie auch die Therapiefreiheit des Vertragsarztes, der ggf. von ihm für wirksam und sinnvoll erachtete Therapien nicht zu Lasten der Gesamtvergütung erbringen darf. Ob eine Methode in Abgrenzung zu einer Behandlungsmaßnahme „neu“ ist und einer Empfehlung des G-BA bedarf, ist sehr schwer abzugrenzen und beschäftigt regelmäßig die Sozialgerichte.[36]
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In Extremsituationen, bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig sogar tödlich verlaufenden Erkrankungen, für die dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden nicht zur Verfügung stehen, sind Ausnahmen geboten.[37] Die divergierende Rechtsprechung zur Inanspruchnahme von besonderen Leistungen bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen hat den Gesetzgeber des GKV-VStG veranlasst, in § 2 Abs. 1a SGB V den Anspruch für die Versicherten auf Leistungen außerhalb der vertragsärztlichen Regelversorgung nach den Vorgaben des BVerfG zu formulieren.[38]
5. Ärztlich veranlasste Leistungen Dritter
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§ 73 Abs. 2 SGB V listet in Ziff. 5, 7, 7a, 8, 12 und 14 eine Reihe von Leistungen als Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung auf, die nicht von den Vertragsärzten selbst, sondern von Dritten in Form von Waren- oder Dienstleistungen erbracht werden. Es handelt sich um Arznei-, Verband- und Hilfsmittel sowie um Leistungen von medizinischer Rehabilitation, von häuslicher Krankenpflege, spezialisierter Palliativversorgung und Soziotherapie, und Krankentransporte in Krankenhäuser und in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen. Auch die Fortsetzung der Behandlung im Krankenhaus wird nach § 73 Abs. 4 SGB V verordnet. Gemeinsam ist diesen Leistungen, dass der Leistungsanspruch des Versicherten vorbehaltlich im Einzelfall notwendiger Überprüfung durch den MDK[39] erst durch die ärztliche Verordnung entsteht.
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Davon zu unterscheiden ist die Rechtsbeziehung des Dritten, an den die Überweisung gerichtet ist, mit den Krankenkassen. Die ergibt sich aus den Rahmenverträgen für seinen Versorgungsbereich und ist öffentlich-rechtlich. Der Vertragsarzt, der die Überweisung ausstellt, ist nicht Vertreter der Krankenkasse beim Abschluss des Bezugsvertrages mit dem Dritten.[40] Grenzen ergeben sich aus den Negativlisten nach § 34 SGB V[41] und den spezialgesetzlichen Bindungen, denen der ausführende Leistungserbringer selbst unterliegt, z.B. im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht oder den einschlägigen berufsrechtlichen Regelungen, wie dem Apothekenrecht. Die ärztliche Verordnung verpflichtet die zuständige Krankenkasse zum Bezug der verordneten Ware bzw. Leistung nach den für diese geltenden Bezugsbedingungen.[42] Überschreitet der Vertragsarzt seine Verordnungskompetenz, entbindet dies die Krankenkasse nicht von ihrer Verpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer, löst aber ggf. Regressansprüche gegen den verordnenden Arzt aus.[43]
a) Arzneimittelversorgung
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Der Anspruch der Versicherten beinhaltet nach § 31 Abs. 1 SGB V grundsätzlich nur die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht durch Richtlinien des G-BA ausgeschlossen sind. Ausgeschlossen sind nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V auch mit einigen vom G-BA festzulegenden Ausnahmen, die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, sog. OTC-Produkte.[44] Die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln legt das Arzneimittelrecht fest.[45] Der Apotheker ist nach § 129 Abs. 1 SGB V nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach § 129 Abs. 2 SGB V zur Abgabe des verordneten Arzneimittels verpflichtet. Diese Verordnungsmöglichkeiten sind durch die Richtlinien des G-BA nach § 92 Abs. 1 SGB V in Bezug auf bestimmte Arzneimittelgruppen, Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen, wie auch einzelner Präparate weiter eingeschränkt.[46] Auch Lifestyle-Arzneimittel sind von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen. Für die Verordnung von Betäubungsmitteln gelten weitere Besonderheiten, vgl. § 13 BtMG.
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Die Apotheker sind über den Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V zur Abgabe der preisgünstigsten Arzneimittel oder sogar zur Ersetzung (Substitution) durch ein preisgünstigeres, aber hinsichtlich Wirkstärke und Packungsgröße identisches, wirkstoffgleiches Präparat des gleichen Anwendungsgebietes verpflichtet, wenn der Arzt dies nicht auf seiner Verordnung ausgeschlossen hat (sog. „Aut-idem-Verordnung“).[47] Besteht zwischen Krankenkasse und Pharmaunternehmen eine Rabattvereinbarung nach § 130a Abs. 8 SGB V, hat der Apotheker das dort vorgesehene Präparat abzugeben, § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V. Durch die Rabattverträge und die Möglichkeit der Substitution kommt es regelmäßig vor, dass der Vertragsarzt nicht weiß, welches Präparat sein Patient wirklich erhält. Das schafft die Gefahr unerwünschter Arzneimittelinteraktionen bei Polypharmazie[48] und konterkariert Sinn und Zweck eines Medikationsplanes, auf den Versicherte, die wenigstens drei Arzneimittel gleichzeitig anwenden, nach § 31a SGB V einen Anspruch haben.
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Das Ausgabenvolumen für die von den Vertragsärzten nach § 31 SGB V veranlassten Leistungen, Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele und auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, wie auch Kriterien für Sofortmaßnahmen vereinbaren die Krankenkassen mit den KV jährlich auf Landesebene (§ 84 SGB V). Flankierend dazu sollen die KV und Krankenkassen nach § 73 Abs. 8 SGB V die Vertragsärzte über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen und Bezugsquellen informieren und Hinweise zu Indikation und therapeutischem Nutzen geben. Die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Vertragsarztes wird nachträglich auf Basis von Rahmenvereinbarungen der BMV-Partner geprüft (§§ 106 Abs. 2 Nr. 1, 106b SGB V). nach welchen Kriterien die Prüfungen durchgeführt werden, ist den Vertragspartnern auf Landesebene überlassen. In der Regel werden sie bestrebt sein, die Einhaltung der nach § 84 SGB V vereinbarten Ausgabenvolumen über die Prüfungen abzusichern.
b) Heilmittelversorgung
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Nach § 32 SGB V haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Heilmitteln. Heilmittel sind Dienstleistungen mit Heilzweck, z.B. Physiotherapie, Logopädie, Diättherapie u.Ä.[49] Berechtigt sind die nach §§ 124 f. SGB V zugelassenen Heilmittelerbringer. Die Verordnungsfähigkeit richtet sich nach den Heilmittel- RL des G-BA.[50] Der auf § 92 Abs. 6 S. 1 SGB V beruhende Teil II der RL, sog. Heilmittelkatalog, enthält detailgenaue Verordnungsvorgaben zu den einzelnen medizinischen Indikationen.[51]
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Auch für Heilmittel werden auf Basis von § 84 Abs. 1 SGB V Ausgabenbudgets vereinbart. Ferner unterliegt ihre Verordnung der Nachprüfung in der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106 Abs. 2 Nr. 2, 106b SGB V. Insofern wird auf die Ausführungen in Rn. 397. verwiesen.
c) Hilfsmittelversorgung
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Die Versicherten haben nach § 33 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, z.B. Orthesen, Rollstühle, Inhalatoren, Kanülen u.Ä. Verordnet werden dürfen nur Hilfsmittel, die in das Verzeichnis des Spitzenverband Bund nach § 139 SGB V aufgenommen sind. Hilfsmittel dürfen keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sein.[52] Es sind Medizinprodukte, die nach EU-Recht zertifiziert sein müssen (§ 139 Abs. 5 SGB V). Was als Hilfsmittel in Betracht kommt, entscheidet der Spitzenverband Bund auf Antrag des Unternehmers nach den Kriterien von § 139 Abs. 3 ff SGB V. Seit Änderung des § 126 SGB V dürfen Hilfsmittel