Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
href="#u4b18ebba-7c82-5dd9-8a48-e89b64cee84e">8. Kapitel Vertragsarztrecht › F. Die vertragsärztliche Versorgung › I. Die Versorgungsbereiche
1. Sektorale Versorgung
359
Die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Leistungen, Arzneien und Hilfsmitteln ist teils aus traditionellen, teils aufgrund unterschiedlicher gesetzlicher Zuständigkeiten, in getrennten Bereichen oder Sektoren organisiert. Kennzeichnend für die Sektoren sind eigenständige und weitgehend undurchlässige Finanzierungs- und Honorierungssysteme und auf die Sektoren beschränkte Zuständigkeiten und Tätigkeitsfelder der Akteure. Soweit verschiedene Zweige der Sozialversicherung betroffen sind, ist das noch einleuchtend, innerhalb der GKV aber nicht. Der Gesetzgeber hat immer wieder Versuche unternommen, Öffnungen der Sektorengrenzen zu ermöglichen mit dem Ziel, eine bessere Verzahnung des Leistungsgeschehens zu erreichen, – jeweils mit bescheidenem Erfolg. Signifikantes Bespiel hierfür ist die Änderungshistorie von § 116b SGB V, [1] der zur besseren Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung beitragen soll.[2]
360
Die Sektoren gliedern sich in die ambulante Versorgung, die traditionell durch niedergelassene Ärzte, psychologische Psychotherapeuten und Zahnärzte geleistet wird. Daneben steht eigenständig der Bereich der stationären Versorgung (§ 39 SGB V), die den zugelassenen Krankenhäusern und stationären Einrichtungen vorbehalten ist (§§ 107 Abs. 1, 108 SGB V). Zur stationären Versorgung gehören auch die vor- und nachstationäre Behandlung, das ambulante Operieren im Krankenhaus (§§ 115a, 115b SGB V) und die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung (§ 115d SGB V).[3]
361
Die rehabilitative Krankenbehandlung (§ 40 SGB V), die medizinische Rehabilitation für Mütter und Väter (§ 41 SGB V) und die Anschlussheilbehandlung (§ 43 Abs. 2 SGB V) werden außerhalb der ambulanten Versorgung und neben der stationären Versorgung durch spezielle Rehabilitationseinrichtungen (§§ 107 Abs. 2, 111 ff. SGB V) sichergestellt, die auch in der berufsgenossenschaftlichen Rehabilitation (§ 33 SGB VII) und in der der Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger unterliegenden Rehabilitation zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (§§ 15, 31 SGB VI) tätig sein können.
362
Die vertragsärztliche Versorgung umfasst die ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung und die Psychotherapie. Sie beinhaltet auch Teile der Krankenhausbehandlung, soweit diese als sektorenübergreifende ärztliche Behandlungsleistung erbracht wird. Weitere eigenständige Versorgungsbereiche sind für die Versorgung mit Heilmitteln (§§ 124 f. SGB V), mit Hilfsmitteln (§§ 126 ff. SGB V) mit Arzneimitteln (§§ 129 ff. SGB V), mit Haushaltshilfen (§ 132 SGB V) und häuslicher Krankenpflege (§ 132a SGB V) geschaffen. Da in den Sektoren jeweils andere Leistungserbringer tätig sind, die auf unterschiedliche Weise organisiert sind, haben sich in den genannten Versorgungsbereichen voneinander abweichende Strukturen und Vergütungssysteme herausgebildet, die auf Rahmenempfehlungen beruhen, die der Spitzenverband Bund auf Seiten der Krankenkassen mit den Verbänden der beteiligten Leistungserbringer vereinbart.
363
Zu einem weiteren Bereich hat der Gesetzgeber mit dem Masernschutzgesetz[4] neben den präventiven Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz die Versorgung mit Schutzimpfungen ausgebaut, vgl. §§ 132e, 132j SGB V.
2. Sektorenübergreifende Versorgungsformen
364
Es liegt auf der Hand, dass sich die Notwendigkeit der medizinischen Versorgung nicht nach Sektorengrenzen richtet, sondern von der Art und Schwere der Erkrankung abhängig ist, die ggf. in fachübergreifender und interdisziplinärer Zusammenarbeit aller Leistungserbringer behandelt werden muss. Starre Sektorengrenzen können sowohl einen zweckmäßigen, an medizinischen Erfordernissen ausgerichteten Therapieverlauf behindern, als auch den medizinischen Fortschritt. Zur Überwindung der Sektorengrenzen sind übergreifende Versorgungsformen notwendig, die vom Gesetzgeber zunehmend weiterentwickelt werden.[5] Deshalb ist der G-BA nach § 137 Abs. 2 SGB V verpflichtet, die Richtlinien zur Qualitätssicherung nach § 92 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sektorenübergreifend auszurichten. Eine zentrale Funktion zur Überwindung der Sektorengrenzen kommt den vom DIMDI herausgegebenen „Diagnose und Prozedurenschlüssel“ zu, die sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich verwendet werden müssen, siehe dazu Rn. 102 ff.
365
Traditionelle Formen, die sowohl die Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, wie auch an der stationären Krankenhausbehandlung ermöglichen, sind der Belegarztstatus eines niedergelassenen Vertragsarztes[6] nach § 121 SGB V i.V.m. § 18 KHEntgG[7] (siehe Rn. 587 ff.) und umgekehrt die Ermächtigung von Krankenhausärzten zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung nach §§ 116 oder 118a SGB V (siehe Rn. 593 ff.). Über ihre Notfallambulanzen leisten die Krankenhäuser und Hochschulkliniken (§ 117 SGB V) einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung (vgl. § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V). Da nach § 20 Abs. 2 S. 2 Ärzte-ZV die Tätigkeit in einem zugelassenen Krankenhaus oder einer zugelassenen Rehabilitationseinrichtung mit einer vertragsärztlichen Tätigkeit vereinbar ist, dürfen niedergelassene Vertragsärzte auch entsprechende Nebentätigkeiten als angestellte Ärzte oder „Honorarärzte“ im Krankenhaus annehmen.[8] Alle drei Formen haben gemein, dass die ambulanten ärztlichen Leistungen zur vertragsärztlichen Versorgung gehören und nach § 120 SGB V aus der Gesamtvergütung bezahlt werden.[9] Die ärztlichen Leistungserbringer, die über einen eigenständigen Status vertragsärztliche Leistungen erbringen, sind den Regelungen des Vertragsarztrechts unterworfen.[10] Die im Sozialversicherungsrecht virulente Frage der „Scheinselbstständigkeit“ der Honorarärzte spielt für die vertragsarztrechtliche Beurteilung keine Rolle.[11] Ausführlich zu den Kooperationsmöglichkeiten niedergelassener Ärzte mit Krankenhäuser siehe Kap. 22.
366
Durch dreiseitige Verträge nach §§ 115 ff. SGB V sollte für die vor- und nachstationäre Behandlung im Krankenhaus und das ambulante Operieren im Krankenhaus eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit geschaffen werden. Nachdem es sich in der Praxis als schwierig und langwierig erwies diese Verträge abzuschließen, hat der Gesetzgeber mit dem GKV-VStG die den Krankenhäusern nach § 116b SGB V eröffnete Möglichkeit, ambulante Behandlungen bei hochspezialisierten Leistungen, bei seltenen Erkrankungen und bei Erkrankungen mit besonderen Verläufen zu erbringen, in ein Anzeigeverfahren umgewandelt (siehe Rn. 615 ff.).[12] Die Genehmigung gilt nach § 116b Abs. 2 S. 4 SGB V als erteilt, wenn der zuständige Landesausschuss nicht binnen Frist von zwei Monaten mitteilt, dass der Anzeigeerstatter die Voraussetzungen nicht erfüllt.
367
Die genannten Instrumente ermöglichen die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante ärztliche Leistungen. Diese bleiben jedoch, soweit sie nicht von Vertragsärzten außerhalb des Krankenhauses erbracht werden (§ 115a Abs. 2 S. 5 SGB V), Krankenhausleistungen, und gehören mithin nicht zur vertragsärztliche Versorgung nach § 73 Abs. 2 SGB V und werden demnach primär auch nicht aus der Gesamtvergütung bezahlt (vgl. §§ 115b Abs. 4 S. 4, 116b Abs. 6 S. 1 SGB V).[13] Allerdings erfolgt