Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
werden müssen.[99] Was nach § 12 Abs. 1 SGB V als ausreichend und zweckmäßig angesehen werden kann, ist nach medizinischen Kriterien und nicht nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Es geht darum, den maximal möglichen therapeutischen Nutzen mit dem geringstmöglichen Leistungsaufwand zu erreichen, also um das Erreichen des optimalen Wirkungsgrades der eingesetzten medizinischen Mittel.[100] Eine Leistung kann nur dann als ausreichend angesehen werden, wenn sie nach Umfang und Qualität eine hinreichende Chance für einen Heilerfolg bietet. Der für die konkrete Behandlung erforderliche medizinische Standard darf nicht unterschritten werden. Das ergibt sich aus dem Verweis auf den fachlich gebotenen Standard in § 70 Abs. 1 SGB V. Das ist bereits bei der Ausgestaltung der Leistungen und deren Bewertung im EBM zu berücksichtigen und vom Bewertungsausschuss nach § 87 Abs. 2 S. 2 SGB V auch laufend zu überprüfen.
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§ 2 Abs. 4 SGB V stellt die Wirksamkeit der Leistung gleichwertig neben deren Wirtschaftlichkeit. Unwirksame Leistungen sind immer auch unwirtschaftlich. Unwirksamkeit darf nicht mit Wirkungslosigkeit im Sinne eines erfolglosen Therapieversuches gleichgesetzt werden. War nämlich das eingesetzte Therapiemittel grundsätzlich als wirksam anerkannt und für den speziellen Fall auch indiziert, führt der Fehlschlag einer nach dem allgemein anerkannten medizinischen Standard geeigneten Maßnahme nicht zu deren Unwirtschaftlichkeit. Der Arzt schuldet seinem Patienten nur eine korrekte medizinische Vorgehensweise, nicht aber deren therapeutischen Erfolg im Sinne einer Heilung.[101] Nichts anderes gilt nach § 76 Abs. 4 SGB V für den Vertragsarzt.
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Außenseitermethoden und Neulandmedizin sind im Zweifel nicht zweckmäßig, jedenfalls dann nicht, wenn die Wirksamkeit der Methode nicht feststeht oder ausreichend gesicherte schulmedizinische Vorgehensweisen zur Verfügung stehen. Gleichwohl ist deren Anwendung nicht ausgeschlossen, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst indiziert sind.[102] Nur im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für deren Behandlung kein zuverlässiges Therapieverfahren zur Verfügung steht, kann eine über das Wirtschaftlichkeitsgebot hinausgehende Leistungsverpflichtung der Krankenkasse hinsichtlich nicht erprobter bzw. nur symptomatisch wirkender Behandlungsmittel gegeben sein.[103] Dieser von der Rechtsprechung herausgearbeitete Anspruch ist inzwischen in § 2 Abs. 1a SGB V normiert.
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Die Frage, ob eine Leistung wirtschaftlich ist, kann nur über eine Gesamtbetrachtung aller Kriterien geklärt werden. Geringere Kosten alleine sind nicht ausschlaggebend, wenn andere Faktoren Auswirkungen auf den Heilerfolg haben können.[104] Steht überhaupt nur eine einzige medizinisch vertretbare Therapiemethode zur Verfügung, kommt es auf deren Kosten nicht an.[105] Details der Ausgestaltung wirtschaftlicher Behandlungsweisen darf der Gesetzgeber den Richtlinien des G-BA nach § 92 Abs. 1 SGB V überlassen (siehe Rn. 166 ff.). Die Richtlinien konkretisieren und interpretieren das Wirtschaftlichkeitsgebot.[106] Richtlinienkonformes Therapieverhalten spricht daher für dessen Wirtschaftlichkeit.
2. Adressaten des Gebotes
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Das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V gilt für alle Beteiligten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ergibt sich aus der Stellung der Vorschrift im zweiten Abschnitt des SGB V. Versicherte dürfen Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, nicht beanspruchen. Ebenso wenig dürfen sie nach § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V von Leistungserbringern bewirkt oder von Krankenkassen bewilligt werden (ausführlich dazu siehe Kap. 7). Dasselbe ergibt sich schon aus § 2 Abs. 1 und 4 SGB V, der sich sowohl an Krankenkassen und deren Versicherte, als auch an die Leistungserbringer richtet.
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§ 70 Abs. 1 S. 2 SGB V greift dieses Gebot nochmals auf, indem es dieses zum Grundprinzip der Gestaltung der vertragsärztlichen Versorgung erhebt. Dieses steht gleichwertig neben der Verpflichtung, eine bedarfsgerechte, gleichmäßige und dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung zu gewährleisten. § 72 Abs. 2 SGB V formuliert ergänzend einen gesetzlichen Auftrag an die Vertragspartner der Kollektivverträge und an den G-BA, die vertragsärztliche Versorgung so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten gewährleistet ist.[107] Die Überprüfung der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes erfolgt durch die Prüfungsverfahren nach § 106 SGB V (ausführlich dazu siehe Rn. 1071 ff.).
8. Kapitel Vertragsarztrecht › E. Grundprinzipien des Vertragsarztrechts › V. Qualitätssicherung
V. Qualitätssicherung
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Damit durch die systembedingten ökonomischen Zwänge einer zunehmend effizienteren Leistungsgestaltung unter dem Diktat des Wirtschaftlichkeitsgebotes die Qualität der Leistungen nicht auf der Strecke bleibt, hat der Gesetzgeber seit dem GKV-RefG 2000 die Qualitätssicherung zu einem weiteren Strukturprinzip ausgebaut.
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Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden werden nach § 135 Abs. 1 SGB V erst zugelassen, wenn der G-BA deren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit auf Basis des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung anerkannt hat und Anforderungen an die notwendige Qualifikation der Ärzte mit den erforderlichen apparativen Ausstattungen definiert hat. Auf Basis von § 135 Abs. 2 SGB V haben die Partner der Bundesmantelverträge eine Reihe von Qualitätssicherungsvereinbarungen, beispielsweise zur Schmerztherapie, in der Onkologie und der Radiologie, getroffen (siehe Rn. 187 f.). Diese sind in der Anlage 3 zum Bundesmantelvertrag zusammengefasst. Dagegen wurde von der durch § 136 Abs. 4 SGB V eröffneten Möglichkeit gesamtvertragliche Qualitätsförderungsvereinbarungen abzuschließen, bisher kaum Gebrauch gemacht.[108] Die Qualitätssicherungsvereinbarungen stellen eine Reihe personen-, einrichtungs- und apparatebezogene Voraussetzungen für die Erbringung spezialisierter Leistungen auf, die auch gut dotierte Abrechnungsmöglichkeiten eröffnen.
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Praxistipp
Eine Auflistung mit Links zu den Vertragstexten enthält die Homepage der KBV unter http://www.kbv.de//html/qs-vereinbarungen.php.
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Von besonderer Bedeutung ist die Rahmenvereinbarung für Qualitätssicherungsvereinbarungen, weil dort die allgemeinen und leistungsbereichsübergreifenden Bestimmungen und Auslegungsgrundsätze zusammengefasst sind, die ausdrücklich den Regelungen in den einzelnen fachgebietsbezogenen Vereinbarungen vorgehen. Danach werden Genehmigungen grundsätzlich nur auf Antrag erteilt. Als Antragsteller wird die „Arztpraxis“ angesehen, also auch eine BAG oder der Träger eines MVZ. Erteilt wird die Genehmigung aber immer nur dem einzelnen Arzt, der die Voraussetzungen erfüllt, und dies begrenzt auf die Betriebsstätte, wo er tätig ist. Die jeweiligen qualitätsgesicherten Leistungen dürfen erst nach Genehmigung erbracht und abgerechnet werden.[109] Entfallen die genehmigungsbegründenden Voraussetzungen, ist die Genehmigung zu widerrufen. Der Widerruf wirkt ex nunc ab Bekanntgabe. Ein Widerspruch hiergegen hat aufschiebende Wirkung, es sei denn, der Sofortvollzug wurde angeordnet.[110]
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§ 135a SGB V verpflichtet die Leistungserbringer zur permanenten Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität ihrer Leistungen entsprechend dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Zu diesem Zweck sind sie verpflichtet, sich an einrichtungsübergreifenden