Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gewechselt werden (§ 76 Abs. 3 S. 1 SGB V). Überweisungen nach § 15 BMV-Ä sind kein Arztwechsel.[15]
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Der Versicherte soll ferner einen Hausarzt wählen, der ihn über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung zu unterrichten hat (§ 76 Abs. 3 S. 2 und 3 SGB V). Nach Auffassung des BSG ergibt sich hieraus eine Pflicht des Hausarztes, einer unkoordinierten Mehrfachinanspruchnahme anderer Ärzte entgegenzuwirken. Eine hausärztliche Praxisgemeinschaft, die im Innenverhältnis wie eine Gemeinschaftspraxis organisiert ist, kann wegen Gestaltungsmissbrauch zur Rückzahlung des Differenzhonorars verpflichtet werden.[16] Hat sich der Versicherte schriftlich zur Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung verpflichtet, darf er nach § 73b Abs. 3 S. 2 SGB V ambulante fachärztliche Leistungen nur noch auf Überweisung des gewählten Hausarztes in Anspruch nehmen. Dieser Hausarzt darf ebenfalls nur aus wichtigem Grund gewechselt werden. Die Wahl des Hausarztes ist für ein Jahr bindend.
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Die Bindung des Versicherten an einen Hausarzt ist im Hinblick auf § 73 Abs. 1b SGB V von Bedeutung, wonach die anderen Leistungserbringer verpflichtet sind, dem gewählten Hausarzt über die von ihnen durchgeführten Behandlungen zu informieren. Dadurch soll der Hausarzt in die Lage versetzt werden, den ihm in § 73 Abs. 1 S. 2 SGB V auferlegten umfangreichen Dokumentations- und Koordinierungspflichten nach zu kommen.
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Versicherte der Knappschaft dürfen nach § 76 Abs. 5 SGB V nur Knappschaftsärzte in Anspruch nehmen.[17] In selektive Vertragssysteme eingeschriebene Versicherte durften im Rahmen des vertraglichen Versorgungsauftrages nur noch die dort mitwirkenden Ärzte in Anspruch nehmen (§ 73c Abs. 2 S. 1 SGB V a.F.). Für Verträge der besonderen Versorgung nach §§ 140a ff. SGB V ist diese Bindung der Einschreibung gesetzlich nicht vorgesehen. Beschränkungen des Rechts der freien Arztwahl können aber in die Teilnahmebedingungen aufgenommen werden.[18]
3. Überweisung
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Die Überweisung ist der rechtstechnische Begriff für die Veranlassung weiterer diagnostischer oder therapeutischer Leistungen durch andere Vertragsärzte seitens des behandelnden Arztes. Unterschieden wird zwischen Auftragsleistungen, Konsiliaruntersuchungen, Überweisungen zur Mitbehandlung oder Überweisungen zur Weiterbehandlung (§ 24 BMV-Ä). Ärztliche Absprachen bei Überweisungen insbesondere verbunden mit dem Angebot oder dem Fordern von Gegenleistungen fallen tatbestandsmäßig unter §§ 299a/299b StGB (Bestechlichkeit bzw. Bestechung im Gesundheitswesen).
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Die freie Arztwahl soll nach § 24 Abs. 5 BMV-Ä dadurch gewährleistet werden, dass eine Überweisung nicht auf den Namen eines bestimmten Arztes ausgestellt werden darf, sondern gebietsbezogen. In den Fällen, in denen der Patient mit dem auftragnehmenden Arzt (z.B. Laborarzt; Pathologe) nicht unmittelbar in Kontakt tritt, soll der Behandlungsvertrag vom überweisenden Arzt als Stellvertreter des Patienten (§ 164 Abs. 1 BGB) geschlossen werden.[19] Die zivilrechtliche Bewertung des Vertragsschlusses als Stellvertretergeschäft zeigt, dass die Vorstellung von § 24 Abs. 5 BMV-Ä, der Patient könne sich seinen „Spezialisten“ selbst aussuchen, mindestens bei den Funktionsfächern Labormedizin, Pathologie, Radiologie, wo ein Patient den Arzt in der Regel nicht persönlich sehen muss, lebensfremd ist. Wenn dies so wäre, käme über das Institut der Stellvertretung kein Behandlungsvertrag zustande. Der Patient ist meist nicht in der Lage, direkt den Auftrag zu erteilen, wenn er solche Ärzte nicht kennt.
8. Kapitel Vertragsarztrecht › E. Grundprinzipien des Vertragsarztrechts › III. Die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung
1. Rechtsgrundlagen
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Die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art ist typisches Merkmal des freien Berufes.[20] Selbstständige Ärzte und Zahnärzte sind klassische Vertreter der freien Berufe.[21] Der Arzt wird aufgrund eines besonderen Vertrauens i.S.v. § 627 BGB beauftragt.[22] Die Berufsordnungen verpflichten die niedergelassenen Praxisinhaber deshalb zur persönlichen Berufsausübung.[23] Auf der anderen Seite steht die Erbringung heilkundlicher Leistungen nach § 1 HeilprG für alle Nichtärzte unter Erlaubnisvorbehalt, was dem Arzt einerseits die Exklusivität seines Berufes erhält, andererseits aber auch seine Möglichkeiten einschränkt, ärztliche Leistungen auf andere Personen zu delegieren.
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Das nach § 630b BGB auf (zahn-)ärztliche Behandlungsverträge anwendbare Dienstvertragsrecht verpflichtet den Schuldner im Zweifel in Person zu leisten (§ 613 BGB).[24] Das ärztliche und zahnärztliche Liquidationsrecht[25] übernimmt diese vertragliche Pflicht und gestattet deshalb nur die Berechnung selbst erbrachter Leistungen.[26] Das SGB V erwähnt die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung nicht, enthält aber Hinweise darauf. Nach § 15 Abs. 1 SGB V ist die (zahn-)ärztliche Behandlung ausdrücklich (Zahn-)Ärzten vorbehalten (Arztvorbehalt).[27] Dementsprechend können Anstellungsgenehmigungen ebenso wie vertragsärztliche Zulassungen auch nur personenbezogen erteilt werden.[28] Sind Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürfen diese nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt (Zahnarzt) angeordnet oder von ihm verantwortet werden, § 15 Abs. 1 S. 2 SGB V.[29] Durch die Anordnung und Verantwortung der Hilfsleistungen müssen diese dem Arzt als eigene Leistungen zugerechnet werden. Das setzt offenkundig voraus, dass der Vertragsarzt diese Leistungen selbst erbringen könnte und die unter dem Arztvorbehalt stehenden Leistungen im Übrigen vom Arzt persönlich erbracht werden. Andernfalls wäre die Notwendigkeit der Zurechnung der Hilfsleistungen nicht einsichtig.
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Das Gegenstück zum Arztvorbehalt findet sich im Leistungsrecht. Nach § 28 Abs. 1 SGB V umfasst die ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Zur ärztlichen Behandlung gehören auch die Hilfeleistungen anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten sind.[30] Der Behandlungsanspruch des Versicherten richtet sich somit unmittelbar gegen den Arzt, der die Leistungen primär selbst und durch Hilfspersonen nur nach seiner Anordnung und in seiner Verantwortung zu erbringen hat. Demnach sind Tätigkeiten nicht erfasst, die ein anderes als medizinisches Fachwissen erfordern, z.B. handwerklich-technische Fertigkeiten[31] oder besondere Sprachkenntnisse.[32]
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Das Gebot, wonach der Vertragsarzt seine Leistungen persönlich erbringen muss und hierzu Hilfestellungen anderer Ärzte nicht in Anspruch genommen werden dürfen, ist in mehreren Rechtsvorschriften angesprochen. Abgeleitet wird es direkt aus dem Zulassungsrecht. Nach § 95 Abs. 1 SGB V nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassene oder ermächtigte Ärzte teil.[33] Der zugelassene Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben, § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV. In diesem Zusammenhang wird auf § 19 Abs. 1 S. 1 MBO verwiesen, wonach Ärzte die Praxis persönlich ausüben müssen.[34] Dabei wird übersehen, dass die persönliche Ausübung der Praxis und die persönliche Erbringung vertragsärztlicher Tätigkeit qualitativ unterschiedliche Vorgaben sind, die, wenn inhaltlich dasselbe gemeint ist, auch wortgleich hätten formuliert werden können. Denn für die von der Berufsordnung verlangte „persönliche Ausübung der Praxis“ ist deren Leitung durch den niedergelassenen Arzt ausreichend.[35]
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Ein MVZ darf die vertragsärztlichen Leistungen nur durch ihre Angestellten und