Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Vertretung vorgelegen haben oder der Assistent von der KV genehmigt ist. Dass der Vertreter an die Stelle des Vertretenen tritt, der Assistent dagegen unter „Aufsicht“ arbeitet,[57] ist in haftungsrechtlicher Hinsicht unerheblich, weil nach § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV beide zur Pflichterfüllung anzuleiten sind und der Praxisinhaber für beide nach § 14 Abs. 2 BMV-Ä gleichermaßen haftet.
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Die unscharfe Unterscheidung von Vertretung und Sicherstellungsassistenz durch den Verordnungsgeber zeigt die mit dem GKV-VSG geschaffene Möglichkeit der „Vertretung“ von angestellten Ärzten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hier wird der vom Zulassungsausschuss genehmigte angestellte Arzt durch einen anderen Arzt ersetzt, obwohl statt einer Vertretungssituation de facto eine freie Stelle vorliegt.[58] Der „Vertreter“ ist hier in Wirklichkeit ein dem Praxisinhaber zur Ausfüllung der freien Stelle vorübergehend genehmigter Sicherstellungsassistent, der den angestellten Arzt ersetzt. Demgemäß müssen solche Assistenten in der Lage sein, eigenständig zu arbeiten, ohne dass damit die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung des Prinzipals verletzt wird. Das unterscheidet sie von Weiterbildungsassistenten, die ebenfalls nach § 32 Abs. 1 S. 1 (Allgemeinmediziner) und S. 2 Ziff. 1 Ärzte-ZV genehmigungspflichtig sind, aber aufgrund der noch nicht gegebenen Facharztqualifikation einer fachlich-ärztlichen Anleitung und Aufsicht bedürfen. Wie intensiv diese Überwachung sein muss, hängt von seinem Ausbildungsstand und dem Fachgebiet ab und erfordert nicht die permanente parallele Anwesenheit des ausbildenden Vertragsarztes.[59] Dagegen zeigen die genannten Entlastungs- und Sicherstellungsgründe, dass der deswegen genehmigte Assistent auch in Abwesenheit des Praxisinhabers wie ein Vertreter arbeiten können muss.[60]
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Der Vertragsarzt muss seine Assistenten und Vertreter nach § 32 Abs. 4 Ärzte-ZV, ebenso nach § 32b Abs. 3 Ärzte-ZV seine angestellten Ärzte, zur Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten anhalten. Nicht gemeint sind die Pflichten zur Anleitung und Kontrolle delegierbarer Leistungen bei nachgeordnetem Personal und zur fachlichen Anleitung bei Weiterbildungsassistenten, die erforderlich sind, um deren Leistungen dem Prinzipal als eigene Leistungen zurechnen zu können. Die Leistungen der Assistenten wie auch seiner angestellten Ärzte werden dem Vertragsarzt als persönliche Leistungen nur zugerechnet, sogar wenn sie in einer Nebenbetriebsstätte erbracht werden, wenn deren Anstellung genehmigt ist, § 15 Abs. 1 S. 2 BMV-Ä.
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Die Abrechnung der Leistungen von Assistenten und Vertretern erfolgt über die LANR des Vertragsarztes. Bei der Vergütung ist nicht zu differenzieren, wer die Leistungen erbracht hat.[61] Die Beschäftigung von Assistenten darf aber nach § 32 Abs. 3 Ärzte-ZV nicht zur Vergrößerung der Kassenpraxis oder der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs dienen. Diese Regelung hatte ursprünglich den Sinn der Bewahrung der Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzte, die durch eine Vervielfältigung des auf persönliches Tätigwerden des Praxisinhabers ausgerichteten Berufsrechts, gefährdet erschien.[62] Inzwischen geht es nur darum, honorarpolitisch unerwünschte Umsatzausweitungen durch Assistenten zu verhindern.[63] Das zeigt der durch das GKV-VSG in § 32 Abs. 3 Ärzte-ZV eingeführte Verweis auf § 87b Abs. 2 S. 1 SGB V, wonach die Honorarverteilungsmaßstäbe Regelungen vorsehen müssen, die eine übermäßige Ausdehnung der Praxis verhindern. Eine wirksame Begrenzung ergibt sich auch aus den nach § 106d Abs. 2 S. 3 SGB V durchzuführenden Zeitprofilprüfungen, weil die Tages- und Quartalsprofile nach § 8 Abs. 2 Abrechnungsprüfungs-RL für jede LANR zu erstellen sind und die Leistungen der Assistenten danach Ursache der Überschreitung der Obergrenzen nach § 8 Abs. 4 Abrechnungsprüfungs-RL sein können, was zu einer Einleitung eines Prüfungsverfahrens führen würde. Zwar ist ein dadurch bedingtes erhöhtes Stundenaufkommen nach § 12 Abs. 3 Ziff. 1 Abrechnungsprüfungs-RL erklärbar, aber die Abrechnungsprüfung läuft in diesem Moment an und die Erklärung muss die geprüfte Praxis noch liefern, siehe dazu Rn. 1032 ff.
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Von der Vertretung zu unterscheiden ist der Wechsel des Behandlers innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft. Begründet wird dies damit, dass eine BAG gegenüber der KV als Einheit auftritt und damit als „Behandler“ anzusehen ist. Die Rechte und Pflichten treffen somit die BAG als Ganzes.[64] Vertretungen i.S.v. § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV kommen nur in Betracht, wenn der Ausfall eines Mitglieds einer BAG nicht durch die anderen aufgefangen werden kann.[65] Innerhalb der BAG ist jedes Mitglied an sein Fachgebiet und seinen Versorgungsbereich gebunden, jeweils bestimmt durch den Zulassungsstatus. Außerhalb dessen liegende „weitere“ Fachgebiete bleiben in der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich außer Betracht und berechtigen auch nicht zu einer „internen“ Vertretung innerhalb einer BAG, wenn kein Mitglied mit Zulassung für das Fachgebiet des abwesenden Partners anwesend ist.[66] Deshalb darf z.B. ein als Hausarzt zugelassener Internist seinen als Fachinternisten zugelassenen Partner innerhalb der BAG nicht vertreten.[67] Ebenso wenig darf ein Partner mit besonderen Qualifikationen durch einen anderen Partner in diesem Leistungsbereich vertreten werden, der diese Qualifikation nicht hat.[68]
4. Die Delegation ärztlicher Leistungen
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Die grundsätzliche Verpflichtung des Vertragsarztes zur persönlichen Leistungserbringung schließt nicht aus, dass Hilfsleistungen an Personal delegiert werden dürfen.[69] Das ergibt sich bereits aus einer sachgemäßen Auslegung des Behandlungsvertrages, der den Einsatz des üblicherweise in einer Arztpraxis beschäftigten Personals nicht ausschließt, weil man nicht annehmen kann, dass der Arzt eine strikte Selbstbindung eingehen will (§ 157 BGB).[70] Auch wird der Patient nicht erwarten dürfen, dass der ihm vertraglich verpflichtete Arzt alle im Rahmen der Therapie erforderlichen Verrichtungen persönlich ausübt. Folglich schließt § 28 Abs. 1 S. 2 SGB V die vom Arzt angeordnete Hilfeleistung anderer Personen in die Behandlung ein. Sie müssen aber nach § 15 Abs. 1 S. 2 SGB V von ihm angeordnet und verantwortet werden. Zu differenzieren ist dabei, ob nur untergeordnete Verrichtungen dem Personal überlassen werden (Assistenz) oder ob ärztliche Leistungen, die dem Arztvorbehalt unterliegen, weil sie Heilkundequalität[71] haben, delegiert werden.[72] Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein.[73]
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Der vom Patienten erteilte Behandlungsauftrag ist dahingehend auszulegen, dass der Patient diejenigen Leistungen, die eine ärztliche Qualifikation voraussetzen, auch von einem Arzt erbracht haben möchte. Das schließt die Delegation der wesentlichen ärztlichen Leistungsbestandteile, wie zum Beispiel Diagnose und Therapieauswahl, die medizinische Beratung oder den operativen Eingriff, grundsätzlich aus.
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Soweit die Übertragung von Leistungen auf nachgeordnetes Personal, im Rahmen des jeweiligen Behandlungsverhältnisses jedoch zulässig und möglich ist, unterliegt sie besonderen Anforderungen. Grundsätzlich müssen Hilfsleistungen nichtärztlicher Mitarbeiter, die Heilkundequalität haben, vom Arzt angeordnet und verantwortet werden.[74] Diese sowohl aus dem Behandlungsvertrag nach § 278 BGB, wie auch aus dem Arztvorbehalt für heilkundliche Leistungen abzuleitende Voraussetzung, ist in § 15 Abs. 1 S. 2 SGB V ausdrücklich für das Vertragsarztrecht normiert. § 15 Abs. 1 S. 5 BMV-Ä geht über diese allgemeine Verpflichtung hinaus und verlangt zusätzlich die fachliche Überwachung der nichtärztlichen Mitarbeiter und deren spezielle Qualifikation für die entsprechenden Tätigkeiten.[75]
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Anordnung, Überwachung und Verantwortung der delegierten Leistungen erfordern nicht die zeitgleiche Anwesenheit des leistungsverpflichteten Arztes während der Tätigkeit des betrauten Mitarbeiters. Unter welchen Umständen die Voraussetzungen einer Delegation erfüllt sind, vorausgesetzt, die Anwesenheit des Arztes ist für die jeweilige Situation nicht im EBM oder BMV-Ä explizit vorgeschrieben, ist eine Frage des Einzelfalles und hängt maßgeblich von der Schwierigkeit der Behandlung und vom „Können“ des betrauten Mitarbeiters ab. In der Literatur werden