Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Verbandwechsel vornimmt oder Blut entnimmt für spätere Untersuchungen, wenn vorher abgeklärt wurde, dass keine Risiken zu erwarten sind. Selbstverständlich muss die jederzeitige Erreichbarkeit des Arztes wie auch dessen Möglichkeit in angemessener Zeit in der Praxis zu erscheinen, sichergestellt sein. Besteht ein Komplikationsrisiko, müssen auch Vorkehrungen für den Notfall getroffen werden. Möglicherweise darf der Arzt dann nicht delegieren. Das unterliegt seiner Risikoeinschätzung. Eine längere Urlaubsabwesenheit schließt die Delegation von Leistungen während der Abwesenheit grundsätzlich aus, auch wenn es sich um üblicherweise von qualifizierten Mitarbeitern erbrachte Laborleistungen handelt und ständige telefonische Erreichbarkeit besteht.[77]
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Grundsätzlich muss das Hilfspersonal für die jeweilige Verrichtung ausreichend qualifiziert sein. Die zulässige inhaltliche Reichweite der Delegierbarkeit einzelner ärztlicher Maßnahmen ist sachlich und personell zu bestimmen. Sachlich können einfache Hilfstätigkeiten und Zuarbeiten für den Arzt relativ unproblematisch abgegeben werden. Je spezieller die Tätigkeit ist und je selbstständiger das Personal dabei arbeiten soll, umso mehr kommt es auf die dafür geeignete Qualifikation des Mitarbeiters an. Dabei ist zu unterscheiden zwischen gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen mit klar geregeltem Berufsbild[78] und Ausbildungsberufen wie medizinische und zahnmedizinische Fachangestellte, denen man die Aufgaben übertragen darf, für die sie ausgebildet wurden. Bei den immer häufiger werdenden ungelernten Kräften und beruflichen „Quereinsteinsteigern“ kommt es darauf an, deren verlässlich vorhandene Kenntnisse zu ermitteln. Dazu wird dem Arzt eine höhere Überwachungsintensität abzuverlangen sein, als bei Mitarbeitern mit nachgewiesener Ausbildung. Auf die durch Berufsanerkennungen, Zeugnisse und Ausbildungsbescheinigungen manifestierten Qualifikationen darf vertraut werden. Ansonsten muss sich der Vertragsarzt persönlich von den Kenntnissen und Fertigkeiten seiner Mitarbeiter überzeugen. Unter diesen Voraussetzungen sind die delegierten Leistungen persönliche Leistungen des Vertragsarztes mit der Folge, dass sie auch als solche abgerechnet werden dürfen.[79]
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Mittels dem durch das GKV-VStG eingeführten § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V wurde den Bundesmantelvertragspartnern aufgegeben beispielhaft festzulegen, welche Tätigkeiten delegiert und welche Anforderungen an die Mitarbeiter zu stellen sind. Ergebnis dieses Auftrages ist die Anlage 24 zum BMV-Ä.[80] Danach sind Anamnese, Indikationsstellung, Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen, Diagnosestellung, Aufklärung und Beratung des Patienten, Entscheidungen über die Therapie und Durchführung invasiver Therapien und operativer Eingriffe nicht delegationsfähig. Einzelne delegierbare Leistungen sind fachgebietsbezogen den medizinischen Assistenzberufen zugeordnet. Da es sich ausdrücklich nur um eine beispielhafte Aufzählung handelt, können bei Einhaltung der dargestellten Grundsätze auch weitere Leistungen delegiert werden. Voraussetzung jeglicher Delegation ist nach § 3, dass gegenüber dem Mitarbeiter in einer schriftlichen Vereinbarung die Weisungsbefugnis des Arztes sichergestellt wird. Das wird leicht übersehen, wenn kein Arbeitsverhältnis gegeben ist und sich die Weisungsbefugnis nicht bereits aus dem Arbeitsvertrag ergibt.
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Hausärzte, die in den letzten vier Quartalen durchschnittlich mindestens 700 Patienten oder mindestens 120 Patienten, die älter als 75 Jahre alt waren, behandelt haben, dürfen nach Anlage 8 BMV-Ä einen „nichtärztlichen Praxisassistenten (näP)“ beschäftigen. Dafür erhalten die Hausärzte einen Strukturzuschlag und eine besondere Vergütung für die Haus- und Heimbesuche des Praxisassistenten. Die Vergütungszuschläge sind in Präambel 3.1.11 und in Kap. 3.2.1.2 EBM (2020) derartig detailreich geregelt, dass die praktische Anwendung kaum fehlerfrei möglich sein dürfte.
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Die Qualifikationsanforderungen für dieses einheitlich als „Nichtärztlicher Praxisassistent (NäPa)“ bezeichnete nicht-ärztliches Hilfspersonal sind in der Delegations-Vereinbarung (Anlage 8 BMV-Ä) geregelt. Der Einsatz von Praxisassistenten muss mindestens 20 Std./Woche umfassen und ist genehmigungspflichtig. Der Unterschied zur Delegation an anderes nicht-ärztliches Personal liegt in der Befugnis der Praxisassistenten, in Abwesenheit des Vertragsarztes auf dessen Anordnung hin, Routineleistungen bei Hausbesuchen und in Alten-, und Pflegeheimen übernehmen zu dürfen.
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Für alle Arztgruppen wurde im EBM ein entsprechendes Kapitel 38.3 geschaffen, das die Vergütung für den Einsatz von Praxisassistenten bei Besuchsleistungen und bei der Heimbetreuung festlegt.
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Die Delegation ärztlicher Leistungen durch ermächtigte Krankenhausärzte auf nachgeordnete Krankenhausärzte, ist grundsätzlich unzulässig. Auch wird die Ermächtigung häufig aufgrund besonderer Qualifikation des Krankenhausarztes erteilt, die bei den nachgeordneten Krankenhausärzten unter Umständen nicht gegeben ist und daher zusätzlich einer Delegation entgegensteht.[81] Für die Delegation auf nichtärztliches Krankenhauspersonal gelten die entsprechenden Anforderungen an deren Qualifikation und Überwachung wie bei Praxispersonal im niedergelassenen Bereich.
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Hinweis
Anders als im Krankenhausrecht, werden im Vertragsarztrecht die Delegationsmöglichkeiten im Zweifel eingeschränkt gesehen. Das hat seine Ursache in dem Bestreben aus monetären Gründen Leistungsausweitungen der Vertragsärzte zu verhindern. Praktische Probleme treten aufgrund eines vielerorts spürbaren Ärztemangels auf, speziell in den arztfernen Bereichen der häuslichen Pflege und in Pflegeheimen, wo die ambulante Behandlung auch von Vertragsärzten geleistet werden muss. Der dafür zur Unterstützung gedachte „Praxisassistent“ ist an so viele Voraussetzungen gebunden, dass er nicht oft zum Einsatz kommt. Verstöße gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung werden sowohl mit Honorarrückforderungen als auch mit Disziplinarverfahren und Zulassungsentziehungen sanktioniert und führen auch häufig zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrug, auch wenn dabei keinerlei Qualitätseinbußen bei der Leistungserbringung zu verzeichnen waren.[82]
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Genehmigungspflichtige psychotherapeutische Leistungen sind grundsätzlich nicht vom Genehmigungsinhaber auf angestellte Therapeuten delegierbar. Das ergibt sich aus dem Vertretungsverbot für diese Leistungen in § 14 Abs. 3 BMV-Ä, das mit dem auf besonderem Vertrauen aufgebauten individuellen Behandlungsverhältnis begründet wird.[83] Ggf. ist die Genehmigung der Leistungen für den Mitarbeiter zu beantragen, wenn dieser über die Voraussetzungen zur Leistungserbringung verfügt. Andere nicht dem Vertretungsverbot unterfallende Leistungen sind dagegen in Teilen delegierbar, soweit das Berufsrecht dies zulässt.[84]
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Für Zahnärzte und Kieferorthopäden enthält § 1 Abs. 5 ZHG eine enumerative Auflistung der an qualifiziertes Personal delegierbaren Leistungen. Diese, dem allgemeinen Berufsrecht zuzuordnende Regelung, gilt mangels inhaltlicher Modifizierung im SGB V unter den Voraussetzungen von § 15 Abs. 1 S. 2 SGB V auch uneingeschränkt im Vertragszahnarztrecht. Hinsichtlich der Delegation von Leistungen an angestellte Zahnärzte gibt es keine Besonderheiten. Bei Vorbereitungsassistenten nach § 3 Abs. 2 Buchst. b Zahnärzte-ZV ist zu berücksichtigen, dass diese anders als Ärzte in Weiterbildung für ein bestimmtes Fachgebiet bereits über eine abgeschlossene zahnmedizinische Ausbildung verfügen und lediglich auf die vertragszahnärztliche Tätigkeit vorbereitet werden sollen. Rechtlich darf daher zahnmedizinisches Können erwartet werden. Inwieweit der Vorbereitungsassistent wirklich eigenverantwortlich einsetzbar ist, obliegt allein der Einschätzung des Praxisinhabers.
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Im Rahmen von Modellvorhaben nach § 63 SGB V gilt die Richtlinie über die Festlegung ärztlicher Tätigkeiten zur Übertragung auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege zur selbstständigen Ausübung von Heilkunde, die eine noch weitergehende Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an Alten- und Krankenpfleger erlaubt, wenn das Modellvorhaben dazu standardisierte Prozesse vorgibt.[85]
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