Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
vereinbartem, Zertifizierungsverfahren zu unterziehen haben und mit denen Verträge nach § 127 SGB V geschlossen werden.
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Die Pflicht zur vergaberechtlichen Ausschreibung von Verträgen über Hilfsmittelversorgung in § 127 SGB V a.F. ist mit dem TSVG entfallen. Die früher ausgeschriebenen Verträge liefen nach § 127 Abs. 1 S. 8 SGB V zum 30.11.2019 aus. Stattdessen kann jeder Hilfsmittelerbringer nach § 127 Abs. 1 S. 2 SGB V Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen verlangen oder nach § 127 Abs. 2 SGB V einem bestehenden Vertrag mit einem anderen Leistungserbringer zu gleichen Konditionen beitreten, wenn er nicht schon aufgrund eines anderen Vertrages zur Versorgung berechtigt ist.
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Die Zusammenarbeit zwischen Vertragsarzt und Hilfsmittellieferant regelt § 128 SGB V. Abs. 1 verbietet, abgesehen von Notfallversorgungen, Hilfsmitteldepots in den Vertragsarztpraxen. Abs. 2 stellt klar, dass keine finanziellen Vorteile im Zusammenhang mit der Verordnung von Hilfsmitteln gewährt werden dürfen. Vertragsärzte können nach Abs. 4 über die Verordnung hinaus an der Hilfsmittelversorgung nur noch auf der Grundlage von Verträgen mit den Krankenkassen mitwirken, die dann die zusätzlichen Leistungen unmittelbar zu vergüten haben. Die von der Rechtsprechung[53] herausgearbeiteten Grundsätze des verkürzten Versorgungsweges sind damit obsolet.
d) Weitere Leistungen
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Alle weiteren verordenbaren Leistungen sind inzwischen durch detaillierte RL des G-BA mit folgenden Besonderheiten konkretisiert. Bei der Verordnung stationärer Krankenhausbehandlung ist nach § 73 Abs. 4 SGB V der in § 39 SGB V angesprochene Vorrang der ambulanten Behandlung zu beachten. Das kommt vor allem zum Tragen, wenn Möglichkeiten der vor- und nachstationären Behandlung nach § 115a SGB V und des ambulanten Operierens nach § 115b SGB V nicht ausgeschöpft werden. Die „Einweisung ins Krankenhaus“ ist zu begründen. Auszuwählen ist das nächst erreichbare geeignete Krankenhaus (Abs. 4 S. 3 und 4).
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Die medizinische Rehabilitation ist nach § 40 Abs. 1 SGB V gegenüber der ambulanten Krankenbehandlung nachrangig und überschneidet sich mit dem Pflegerecht des SGB IX. Maßgeblich sind die Reha-RL des G-BA.[54] Danach geht die Rehabilitationsbehandlung der Pflege vor, soweit aus medizinischer Sicht noch eine Rehabilitationsfähigkeit besteht. Rehabilitation in stationären Einrichtungen ist nur zulässig, wenn ambulante Reha aus medizinischer Sicht nicht ausreicht. Zur Beratung über und Verordnung von Reha-Leistungen sind nach § 11 RL nur noch Fachärzte für physikalische und rehabilitative Medizin oder andere Ärzte mit Zusatzbezeichnung Sozialmedizin oder Rehabilitationswesen oder der fakultativen Weiterbildung „Klinische Geriatrie“ nach entsprechender Genehmigung durch die KV berechtigt.
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Neu hinzugekommen sind in § 33a SGB V i.d.F. DVG mit Wirkung zum 19.12.2019 die digitalen Gesundheitsanwendungen, auch „Gesundheits-Apps“ genannt. Diese sollen die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen unterstützen können. Es handelt es sich um Medizinprodukte der niedrigen Risikoklasse, die vom BfArM in das neu geschaffene Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen nach § 139e SGB V aufgenommen sein müssen. Zuvor müssen sie als Medizinprodukt nach EU-Recht zertifiziert sein. Vor der Aufnahme in das Verzeichnis nach § 139e Abs. 2 SGB V sind vom Unternehmer schwierige Nachweise an Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Datenschutz und dass positive Versorgungseffekte erzielt werden können, zu erbringen. Soweit in das Verzeichnis aufgenommene digitale Gesundheitsanwendung ärztliche oder zahnärztliche Leistungen erfordern, hat der Bewertungsausschuss diese nach § 87 Abs. 5c S. 1 SGB V binnen 3 Monaten in den EBM-Ä bzw. BEMA-Z aufzunehmen.
8. Kapitel Vertragsarztrecht › F. Die vertragsärztliche Versorgung › III. Die Trennung hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung
1. Die Intention des Gesetzgebers
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Nach § 73 Abs. 1 SGB V gliedert sich die vertragsärztliche Versorgung in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung. Demgemäß ist nach § 95a Abs. 1 Nr. 2 SGB V für die Eintragung in das Arztregister als Voraussetzung einer Zulassung entweder eine Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin oder eines anderen Fachgebietes mit der Befugnis zur Führung einer Gebietsbezeichnung erforderlich. Die Trennung der Versorgungsbereiche wird weiter manifestiert. Nach § 87b Abs. 1 SGB V verteilt die KV die Gesamtvergütung getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung.[55] § 87 Abs. 2a S. 1 SGB V enthält die Vorgabe, dass der EBM in hausärztliche und fachärztliche Leistungen zu gliedern ist, die unbeschadet gemeinsam abrechenbarer Leistungen nur von den jeweiligen Angehörigen des Versorgungsbereiches erbracht werden dürfen. § 87 Abs. 2b SGB V enthält detaillierte Vorgaben für den hausärztlichen und § 87 Abs. 2c SGB V für den fachärztlichen Teil des EBM.[56] Es gibt damit innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung zwei Versorgungsbereiche, die weitgehend undurchlässige Grenzen aufweisen.[57]
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Ursprünglich wollte der Gesetzgeber mit der Aufgliederung zur Qualitätssicherung beitragen.[58] Er war dabei von der Vorstellung geleitet, dass sich in der ambulanten ärztlichen Versorgung zwei Grundfunktionen unterscheiden lassen. Die hausärztliche Versorgung ist charakterisiert durch inhaltlich intensivierte Betreuung des Patienten in seinem sozialen Umfeld einschließlich der Koordinierung und Dokumentation der Behandlungsabläufe. In die Zuständigkeit der fachärztlichen Versorgung fallen dagegen die spezialisierten Untersuchungen und speziellen diagnostischen und technischen Leistungen. Mit der Aufspaltung der vertragsärztlichen Versorgung in eine hausärztliche und eine fachärztliche Versorgung bezweckt der Gesetzgeber eine fachliche Steuerung des Arztsystems vor dem Hintergrund einer bestehenden Überversorgung.[59] Zur Beseitigung ökonomischer Fehlentwicklungen in der vertragsärztlichen Versorgung durch ungeregelte und vermeintlich teure Inanspruchnahme der Fachärzte, sollte die Funktion des Hausarztes gestärkt werden. Dieses gesetzgeberische Ziel rechtfertigt die damit verbundenen Eingriffe in die Rechte der Ärzte.[60]
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Auf institutioneller Ebene wurde der Aufteilung der Vertragsärzte in Haus- und Fachärzte Rechnung getragen, indem § 79 Abs. 3a SGB V die hausärztlichen oder fachärztlichen Mitglieder der Vertreterversammlung von der Beschlussfassung ausschließt, wenn der Beschlussgegenstand ausschließlich die jeweils andere Gruppe betrifft.
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Der Gesetzgeber ist allerdings inkonsequent, weil er es ausdrücklich zulässt, dass in der hausarztzentrierten Versorgung (siehe § 73b Abs. 5 S. 4 SGB V) und in besonderen Versorgungsverträgen (siehe § 140a Abs. 2 S. 1 SGB V) von den Vorschriften des 4. Kapitels des SGB V (§§ 69–140) und damit auch von § 73 SGB V abgewichen werden darf.
2. Die Grenzen der Versorgungsbereiche
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Die Grenzziehung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung wird in § 73 Abs. 1a SGB V durch die Zuordnung der ärztlichen Fachgebiete zu den Bereichen dergestalt vorgenommen, dass Allgemeinärzte, Kinderärzte, Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung, die die Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung gewählt haben und praktische Ärzte (§ 95a Abs. 4 SGB V) den Hausärzten zugeordnet werden. Alle übrigen Fachgebiete zählen zur fachärztlichen Versorgung.