Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
(Abs. 4). Über Abkommen nach § 75 Abs. 6 SGB V wurden von der KBV ärztliche Versorgungsaufgaben von den Berufsgenossenschaften und von der Bundesbahn- und der Postbeamtenkrankenkasse übernommen. Auf regionaler Ebene gibt es auch noch weitere Abkommen mit den lokalen Trägern der Sozialhilfe. Auch die Versorgung der bei der Knappschaft Versicherten ist nach § 75 Abs. 5 SGB V von den KV sicherzustellen, soweit dafür keine Knappschaftsärzte zur Verfügung stehen.[96]
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Mit der Umsetzung der „neuen Versorgungsformen“ werden die erfassten Teilbereiche der ambulanten Versorgung aus der Verantwortung der KV herausgenommen.[97] Die Verantwortlichkeit der KV ist immer dann eingeschränkt, wenn unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen bestehen, wie bei den erweiterten Direktvertragskompetenzen in der hausarztzentrierten Versorgung nach §§ 73b Abs. 4 S. 6 SGB V und bei der besonderen Versorgung nach § 140a Abs. 1 S. 4 SGB V. Davon zu unterscheiden ist der Fall, wenn bestimmte Vergütungsanteile direkt von den Krankenkassen bezahlt werden, die Leistung selbst aber noch zur vertragsärztlichen Versorgung gehört.[98]
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Die Zielsetzung des besonderen Sicherstellungsauftrages ist, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung in zumutbarer Entfernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik und von Rationalisierungs- und Modernisierungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.[99] Dazu gehört nach § 75 Abs. 1b SGB V auch die Organisation eines ärztlichen Notdienstes bzw. Bereitschaftsdienstes in sprechstundenfreien Zeiten.[100] Dies soll in Kooperation mit den Krankenhäusern erfolgen und kann auch durch Notdienstpraxen an Krankenhäusern geschehen. Dabei haben die KV einen weiten Gestaltungspielraum. Sie haben aber darauf zu achten, dass bei der Heranziehung oder Befreiung einzelner Fachgruppen der Gleichheitssatz beachtet wird. Entsprechend können auch Fachärzte zum hausärztlichen Bereitschaftsdienst eingeteilt werden. [101]
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Die grundsätzliche Verpflichtung eines jeden Vertragsarztes zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst folgt originär aus dem Zulassungsstatus und nicht kraft Satzung einer KV.[102] Die Pflicht gilt ausnahmslos für alle Fachgebiete.[103] Befreit sind aber psychologische Psychotherapeuten, da sie keine Ärzte sind.[104] Verpflichtet sind nicht die angestellten Ärzte eines MVZ, sondern das MVZ als Ganzes.[105] Ausgenommen von der Teilnahme sind ermächtigte Krankenhausärzte nach §§ 116 SGB V, 31 Ärzte-ZV.[106] Zweigpraxen führen nicht zu einer erweiterten Heranziehung.[107] Fachärzte mit Doppelzulassung, aber nur einem Versorgungsauftrag, dürfen nicht zweifach herangezogen werden.[108] Der fachlich ungeeignete Vertragsarzt, z.B. ein Pathologe, muss auf eigene Kosten einen Vertreter für den Notdienst engagieren.[109] Solange der Arzt die persönliche Eignung nicht wieder erlangt hat, ist er verpflichtet, sich an den Kosten des Bereitschaftsdienstes zu beteiligen.[110] Eine Befreiung kommt nur aus gesundheitlichen Gründen in Betracht. Die Verpflichtung einen Vertreter zu stellen und zu finanzieren, geht vor.[111]
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Vom ärztlichen Notdienst ist der landesrechtlich organisierte Rettungsdienst zu unterscheiden, dessen Aufgabe die Ersthilfe bei Notfallpatienten und deren fachgerechter Transport in zur Weiterversorgung geeignete Einrichtungen ist.[112] Die notärztliche Versorgung ist nach § 75 Abs. 1 S. 2 SGB V nur dann Teil der von den KV sicherzustellenden vertragsärztlichen Versorgung, wenn die KV durch Landesgesetz[113] damit betraut ist.[114]
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Eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Leistungen wird in quantitativer Hinsicht durch die an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Abs. 1 SGB V teilnehmenden Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, MVZ und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen bewirkt. Für den Fall, dass der auf diese Weise erreichte Versorgungsgrad mangels teilnahmewilliger Ärzte nicht ausreicht, erweitert § 105 SGB V die Möglichkeiten der KV, die vertragsärztliche Versorgung zu verbessern und zu fördern, z.B. durch Zahlung von Sicherstellungszuschlägen oder Übernahme von Umsatzgarantien für die Ärzte.[115]
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Durch die mit dem GKV-WSG neu geschaffenen Abs. 3a–c des § 75 SGB V kam ab 1.7.2007[116] die Aufgabe hinzu, auch die ärztliche Versorgung der Versicherten des brancheneinheitlichen Standardtarifs nach § 257 Abs. 2a i.V.m. § 314 SGB V und nach § 257 Abs. 2a i.V.m. § 315 SGB V und zusätzlich ab 1.1.2009 des Basistarifs nach § 12 Abs. 1a VAG[117] der privaten Krankenversicherer sicherzustellen. Diese Verpflichtung trifft die KV, die bei der Umsetzung Gestaltungsspielraum haben. Eine individuelle Betroffenheit der Vertragsärzte resultiert hieraus nicht unmittelbar.[118] Dennoch folgt aus der Sicherstellungsverpflichtung der KV die Verpflichtung des einzelnen Vertragsarztes, entsprechend versicherte Privatpatienten zu behandeln.[119] Bei der Behandlung eines Versicherten dieser Tarife ist der Vertragsarzt an die GOÄ- bzw. GOZ-Sätze nach § 75 Abs. 3a SGB V gebunden.[120] Die übrigen vertragsärztlichen Pflichten gelten nicht, da es sich um eine Privatbehandlung handelt.[121]
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Der Gesetzgeber beging mit dieser Erweiterung des Sicherstellungsauftrages einen Systembruch, weil die Versicherten der PKV nicht dem Normgefüge der gesetzlichen Krankenversicherung und die Unternehmen der privaten Krankenversicherungswirtschaft nicht dem Kollektivvertragssystem unterworfen waren.[122]
c) Gewähr einer ordnungsgemäßen Versorgung
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Neben dem Sicherstellungsauftrag hat die Gewährleistungspflicht eine eigenständige und herausragende Bedeutung. Die sicherzustellende vertragsärztliche Versorgung muss den gesetzlichen und den vertraglichen[123] Erfordernissen entsprechen. Hierfür haben die KV den Krankenkassen und deren Verbänden gegenüber die Gewähr zu übernehmen. Danach haben die KV im Wesentlichen eine ordnungsgemäße Leistungserbringung und eine dem Regelwerk entsprechende Leistungsabrechnung zu gewährleisten. Sicherstellungspflicht und Gewährleistung derselbigen bedingen einander.
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Mit der Einhaltung der gesetzlichen Erfordernisse sind die speziellen Vorgaben des SGB V gemeint, weil sich nach § 77 Abs. 1 SGB V der Aufgabenbereich der KV hierauf bezieht. Danach können die KV aus dieser Gewährleistungsverpflichtung keine Allzuständigkeit zur Überwachung der Einhaltung jeglicher gesetzlichen Bestimmungen durch ihre Mitglieder ableiten. Soweit es um die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung geht, ist schon nach § 106 ff SGB V die Zuständigkeit der Prüfgremien eröffnet.
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Zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung gehört die Einhaltung des gebotenen medizinischen Standards, der durch die Richtlinien des G-BA vorgegeben und durch die Vorschriften zur Qualitätssicherung ausgestaltet wird. Aus der Gewährleistung einer regelkonformen Leistungsabrechnung folgt die Prüfungsbefugnis der KV, insbesondere auf sachlich-rechnerische Richtigkeit und Plausibilität (§ 106d Abs. 2 S. 1 SGB V, siehe Rn. 1026 ff.).[124] Auch haben die KV die Einhaltung der vertragsärztlichen Pflichten ihrer Mitglieder zu überwachen und ggf. disziplinarisch zu ahnden (siehe Rn. 1286 ff.). Der Ahndung von Pflichtverletzungen geht die Pflicht zur Information und Beratung der Mitglieder aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vor.[125]
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Wichtig
Die Gewährleistungsverpflichtung der KV gegenüber den Krankenkassen ist zweifellos Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in die Rechte der Vertragsärzte. Im Rahmen dessen muss der Vertragsarzt erhebliche Einschränkungen seiner verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit hinnehmen, wenn sie zur