Tod in Winterthur. Eva Ashinze

Tod in Winterthur - Eva Ashinze


Скачать книгу
setzte ich mich wieder gerade hin, rief die Seite der Wunschkinder-Klinik auf und füllte das standardisierte Onlineformular mit den Angaben zu meiner Person aus, um einen Beratungstermin zu vereinbaren. Ich schickte das Formular ab und wandte mich anderen Dingen zu.

      Kurze Zeit später, ich kam soeben von draussen, wo ich im spärlichen Schatten des Zwergapfelbaums eine Zigarette geraucht hatte, läutete mein Telefon. Die Sekretärin der Wunschkinder-Klinik war am Apparat. Wenn das kein zuvorkommender Service war? Ich war innert weniger als einer Stunde seit Kontaktaufnahme zurückgerufen worden.

      «Sind Sie alleinstehend?», fragte die Empfangssekretärin. «Ihre Angaben waren da etwas missverständlich. Wenn ja, dann dürfen wir Ihnen leider keinen Termin anbieten. Künstliche Befruchtung ist in der Schweiz von Gesetzes wegen Paaren vorbehalten.» Sie machte eine kurze Pause. «Heterosexuellen Paaren», fügte sie hinzu, als sei sie unsicher, was meine sexuelle Ausrichtung anbelangte.

      «Oh, das ist kein Problem», log ich aalglatt. «Ich habe einen Partner. Einen heterosexuellen Partner.» Nachdem das geklärt war, erhielt ich – erhielten wir – einen Termin. Bis dahin würde ich mir etwas einfallen lassen, was meinen fiktiven Partner anbelangte. Hindernisse waren schliesslich dazu da, um überwunden zu werden.

      13

      Norah wurde von Rebecca zur Staatsanwaltschaft gefahren, wo ich sie draussen auf dem Kiesplatz in Empfang nahm. Ich hatte sie absichtlich früh einbestellt; vor der Einvernahme wollte ich mich noch einmal alleine mit Norah unterhalten. Es gab einige Fragen, auf die ich gerne eine Antwort gehabt hätte. Paul betraf eine davon. Ausserdem mussten wir die ganze Sache mit meiner Mandatierung klären; die Kummer würde eine Vollmacht verlangen. Eigentlich brauchte Norah in diesem Verfahrensstadium nicht zwingend eine Vertretung, sie wurde nicht als Verdächtige befragt. Ich bezweifelte aber, dass Norah in ihrem Zustand alleine mit der ganzen Angelegenheit klarkommen würde, deswegen war es wohl ganz gut, wenn sie mich an ihrer Seite wusste.

      Ich nahm Norah am Arm und lotste sie über die Strasse zum Café Lind. Norah trottete neben mir her, ihr Arm fühlte sich an wie derjenige einer Gummipuppe. Ich betrachtete sie von der Seite. Sie war sorgfältig zurechtgemacht, die Wimpern getuscht, die Lippen nachgezogen. Sie trug die gleichen Kleider wie am Vortag, mittlerweile sahen sie ziemlich ramponiert aus. Rebecca war wohl zu klein und rundlich, als dass sie sich etwas von ihr hätte leihen können. Aus dem Haus hatte sie sich nichts holen können, es war noch immer ein Tatort, die Ermittlungen waren im Gange. Und extra etwas kaufen, danach stand ihr wohl der Sinn nicht. Norah tat mir leid. Der Mann tot, ermordet – und es bleibt nicht einmal das traute Heim. Und selbst wenn es dann freigegeben würde, war es kontaminiert, vom Tod beschmutzt. Ich wusste nicht, ob ich in einem Haus mit solchen Erinnerungen jemals wieder würde leben wollen.

      Im Café bestellte ich für Norah einen Vitaminsaft – sie sah aus, als könne sie ihn gebrauchen –, für mich ein Sandwich mit Käse. Ich hatte keine Zeit gehabt, etwas zu Mittag zu essen.

      Während wir warteten, erläuterte ich Norah, was sie im Falle meiner Mandatierung für Rechte und Pflichten hatte. Sie unterschrieb die Vollmacht, aber ich hatte das Gefühl, sie habe kein Wort verstanden von dem, was ich gesagt hatte, und wenn sie selbst etwas sagte, so klang es schleppend, unzusammenhängend. Ich musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Norahs Gesicht war unter dem Make-up von geisterhafter Blässe, die Augen starr, die Pupillen geweitet.

      «Hast du etwas genommen?», fragte ich sie.

      Sie starrte mich verständnislos an.

      «Ob du was genommen hast?», wiederholte ich. «Cannabis, LSD, was auch immer. Deine Pupillen sind riesig, Norah.»

      Sie starrte mich an, dann fing sie an zu kichern und konnte nicht mehr aufhören. «Nur einen kleinen Joint», prustete sie. «Nur einen kleinen Joint. Oder zwei oder drei.»

      Ich fand das gar nicht lustig: Total zugedröhnt und das vor der Einvernahme.

      Norah entging meine missmutige Miene nicht. Sie versuchte, ihr Kichern zu unterdrücken. Es gelang ihr nur kurz, dann ging es wieder los. Irgendwann war es endlich vorüber. «Ohne hätte ich es nicht geschafft», flüsterte Norah entschuldigend. «Und Rebecca hat immer was zu Hause.»

      Ein feines Früchtchen, diese Rebecca. Aber ich war wohl die letzte, die mit Steinen werfen durfte, von wegen Glashaus und so, obschon ich mit Drogen nicht wirklich viel am Hut hatte, dafür umso mehr mit anderen Stimulantien.

      Die Kellnerin brachte unsere Bestellungen.

      «Trink», sagte ich streng und deutete mit dem Kinn auf den Saft.

      Norah gehorchte und nahm einen winzigen Schluck.

      Ich biss in mein Käsesandwich. Während ich kaute, machte ich mir Gedanken zur bevorstehenden Einvernahme. Sollte ich versuchen, sie zu verschieben? Immerhin hatte Norah eine ziemliche Menge geraucht, und ich wusste nicht, wie es im Moment um ihre Urteilsfähigkeit stand. Andererseits würden wir so die Staatsanwältin verärgern. Ich entschied mich, die Einvernahme wie geplant stattfinden zu lassen. Norah stand nicht unter Verdacht. Ich musste nicht wie eine Strafverteidigerin denken, die ihrem Mandanten Zeit verschaffen wollte. Im Moment war für mich nichts zu tun, ich musste keine Abklärungen oder Nachforschungen anstellen. Der Ball lag bei der Ballistik und den Tatortspezialisten, den Kriminaltechnikern. Ich hoffte einfach, Norah könne sich in den nächsten Stunden zusammenreissen.

      Ich redete Norah gut zu und nötigte sie, ihren Saft zu trinken. Dann erläuterte ich ihr, wie die Einvernahme ablaufe. Sie hörte mir nicht wirklich zu. Ich seufzte und legte dann mein Sandwich beiseite. Ich beugte mich vor, nahm ihre eiskalten Hände in meine und schaute tief in ihre Augen. «Norah», sagte ich, «Norah, hör mir zu. Es ist wichtig.» Die nächste Viertelstunde verbrachte ich damit, Norah mit einem weiteren Saft auf den Boden zurückzuholen. Sie hatte gerade ihren Mann verloren, da konnte die Staatsanwältin nicht allzu viel erwarten. Für alle Fälle deckte ich mich mit zwei Flaschen Cola ein, bevor wir uns auf den Weg machten.

      «Die Staatsanwältin heisst Kummer», informierte ich Norah, als wir die Staatsanwaltschaft betraten.

      «Kummer?», sagte Norah. «Wie passend.» Wieder begann sie, hysterisch zu kichern. Das konnte heiter werden.

      Zwei Stunden später stand ich vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft. Halbzeit. Norah hatte um eine Pause gebeten. Sie war noch drinnen auf dem Klo. Ich war vorausgegangen; ich brauchte dringend eine Zigarette, ich lechzte richtiggehend danach. Norah hatte ihre Sache ganz gut gemacht. Sie hatte zwar öfters den Faden verloren, oder es musste ihr mehrere Male die gleiche Frage gestellt werden, aber alles in allem hatte sie den Ablauf der Ereignisse wiedergeben können, wie sie es mir erzählt hatte, nur detaillierter. Auch Fragen nach Jans beruflicher Tätigkeit waren gestellt worden, nach dem Geschäft, den Finanzen. In diesem Zusammenhang hatte ich Paul Petersen erwähnt. Die Kummer hatte mir einen gelangweilten Blick zugeworfen.

      «Den befragen wir auch noch», hatte sie gesagt.

      Norahs Reaktion war da schon um einiges interessanter gewesen. Sie war zusammengezuckt bei der Erwähnung seines Namens. Ich fragte mich, was dahintersteckte.

      Im zweiten Teil würden die persönlichen Verhältnisse zur Sprache kommen: Familie, Beziehungen, Freunde, Feinde. Das würde erfahrungsgemäss der belastendere Teil werden.

      Nachdem ich mir gerade einen Glimmstängel angezündet hatte, gesellte sich zu meiner Überraschung Staatsanwältin Kummer zu mir, ebenfalls heftig an einer Zigarette ziehend.

      Sie bemerkte meinen Blick und zuckte leicht verschämt mit den Schultern. «Ich komme einfach nicht dagegen an.»

      «Ich auch nicht.» Wir grinsten uns in einem kurzen Moment komplizenhaft an. Dann wurden wir wieder ernst.

      «Was halten Sie von ihr?»

      Ich war irritiert. Es war eine unübliche Frage für eine Staatsanwältin. Immerhin war ich Norahs Anwältin. «Von Norah Krüger, meinen Sie?»

      Kummer nickte.

      «Sie ist meine Mandantin.» Ich stiess Rauch aus.

      Kummer verstand, liess aber


Скачать книгу