Tod in Winterthur. Eva Ashinze

Tod in Winterthur - Eva Ashinze


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      Paul starrte mich an. «Ich weiss, wer es getan hat», stiess er schliesslich hervor. «Ich glaube, sie war es. Norah.» Er fing an zu weinen. Dieser massige Mann sass in meinem Besprechungszimmer und weinte.

      «Glauben Sie oder wissen Sie?»

      Er zuckte mit den Schultern. Also glaubte er.

      «Weswegen verdächtigen Sie Norah?», fragte ich.

      Er hörte schlagartig auf zu weinen und sah mich an. «Das liegt auf der Hand», sagte er. «Sie bekommt jetzt alles.»

      Ich schwieg. Meiner Meinung nach wird Geld als Mordmotiv überschätzt, von Raubmord einmal abgesehen. Es gibt andere, stärkere Beweggründe: Liebe, Eifersucht. Neid. Macht. Angst. Pauls Theorie überzeugte mich nicht. Ausserdem sah Norah nicht aus, als würde es ihr an Geld mangeln. Jan war schon immer grosszügig gewesen.

      «Ich weiss noch immer nicht, was Sie von mir wollen», sagte ich. «Mit Ihrem Verdacht sind Sie bei der Polizei besser aufgehoben als bei mir.» Ich stiess meinen Stuhl zurück und erhob mich halb. Es war Zeit, dieses Gespräch zu beenden. Paul hatte mir mitgeteilt, was er mir hatte mitteilen wollen. Er führte irgendetwas im Schilde. Ich wusste nur nicht was.

      Paul machte keine Anstalten aufzustehen. «Sie verstehen nicht», sagte er. «Jan war reich. Er hat ein Vermögen verdient.»

      Ich reagierte nicht.

      «Jan und Norah hatten so ihre Schwierigkeiten», fuhr Paul fort.

      «Wer hat die nicht?»

      «Es ging anscheinend über das übliche Mass hinaus.»

      «Ich habe verstanden, worauf Sie hinauswollen. Aber was wollen Sie von mir?»

      «Ich wollte nur, dass Sie das wissen. Das ist alles. Sie sollten es wissen.» Nun erhob Paul sich endlich.

      Ich führte ihn zur Tür und verabschiedete ihn, ohne ihm die Hand zu geben. Er war mir zuwider. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Seine Trauer schien mir plötzlich nur gespielt.

      Auf halbem Weg hinaus drehte Paul sich um. «Das mit Jan tut mir auch echt leid für Sie. Waren Sie nicht einmal zusammen?»

      Ich spürte seinen lauernden Blick auf mir. «Wir waren befreundet», sagte ich, schloss die Tür und lehnte mich dagegen. Ich dachte über Paul nach. Über Norah. Und über Jan. Meine Gedanken gefielen mir gar nicht. Ich setzte mich an den Tisch, zündete eine weitere Zigarette an und sah auf die Uhr. Kurz vor vier. Zeit, mich meinem Mandanten zu widmen. Er sass vermutlich in der Küche und wartete.

      8

      Um fünf war auch dieses Gespräch vorüber. Mein Mandant war nicht wirklich glücklich über meinen Vorschlag, sich in einer Betrugssache schuldig zu bekennen. Immerhin hatte er eingesehen, dass es sich lohnte. Unter dem Strich würde er so besser wegkommen. Ich musste ihm nur noch beibringen, sich reumütig zu zeigen. Zumindest vor Gericht. Ich erledigte Papierkram, packte meine Tasche und brachte leere Gläser und Tassen in die Küche. Dann setzte ich mich hin und griff zum Telefon. Bevor ich das Büro endgültig verliess und Norah gegenübertrat, wollte ich versuchen, etwas mehr in Erfahrung zu bringen. Ich wählte Béjarts Nummer.

      Er schien auf meinen Anruf gewartet zu haben. «Moira», sagte er. «Guter Abgang, den du heute Morgen hingelegt hast.»

      Was sollte ich dazu sagen? Ich schwieg.

      «Meinst du, das war klug? Becker scheint dich sowieso schon nicht zu mögen, weiss der Teufel wieso.»

      Ich hatte das Gefühl, er mache sich über mich lustig. «Wenn ich klug wäre, würde ich ein anderes Leben führen», blaffte ich ihn an. «Ich bin nicht auf der Welt, um klug oder glücklich zu sein.»

      «Nein? Wofür bist du dann auf der Welt?», fragte Béjart plötzlich sanft.

      Tja, wofür eigentlich? Mir fiel spontan keine Antwort ein. «Becker interessiert mich nicht. Der hat nichts zu sagen.» Ich unterbrach mich. «Sag mal, welcher Staatsanwalt ist eigentlich in der Sache zuständig?»

      «Staatsanwältin, nicht Staatsanwalt. Die Kummer.»

      «Staatsanwältin Kummer», wiederholte ich. Ein Schauder lief über meinen Rücken.

      «Alles in Ordnung, van der Meer?» Béjarts Stimme klang rau und zärtlich zugleich. Er wusste um meinen letzten Fall mit Staatsanwältin Kummer. Ein Fall, der mir nahe gegangen war. Ihm übrigens auch. Ein Fall, der mich in meinen Träumen noch ab und zu verfolgte. Staatsanwältin Kummer war für mich gleichbedeutend mit diesem Fall. Béjart wusste auch darum. Ich war dankbar für sein Feingefühl. Aber weshalb er mich in diffizilen Situationen immer bei meinem Nachnamen nannte, war mir schleierhaft.

      «Mit Staatsanwältin Kummer komme ich klar», sagte ich gespielt forsch. Wobei es der Wahrheit entsprach. Abgesehen vom Umstand, dass unser letzter gemeinsamer Fall tragisch geendet hatte, waren Kummer und ich ziemlich auf einer Wellenlänge.

      «Und sonst?», fragte ich.

      «Was willst du wissen?»

      «Alles.»

      «Es gibt nichts Offizielles.»

      «Und Inoffizielles?»

      «Auch nichts.» Béjart lachte.

      Sehr witzig. Ich liess Béjart meine Missbilligung durch die Telefonleitung spüren.

      «Ehrlich.» Béjart war das Lachen vergangen. «Es gibt nichts. Projektile, Spuren, Fingerabdrücke, das muss alles erst ausgewertet werden.»

      Da hatte er natürlich Recht. Trotzdem war ich enttäuscht.

      «Und die Raubmord-Theorie?»

      «Die hat absolute Priorität.»

      Ich überlegte, ob ich Béjart nach Paul Petersen fragen sollte, entschied mich aber dagegen. Erst einmal musste ich mit Norah reden.

      «Moira, willst du einen Rat von mir?», unterbrach Béjart meine Gedanken.

      Eigentlich nicht. Eigentlich wollte ich ganz andere Dinge von Guido Béjart, aber die war er mir bislang nicht gewillt zu geben.

      Er wartete meine Antwort nicht ab. «Nimm Kontakt zu deinen Hehlern auf. Du kennst doch einige ziemlich grosse Fische.»

      Ich hörte ein Geräusch, das sich nach einem unterdrückten Lachen anhörte. Ha, ha. Moira van der Meer, Anwältin der lokalen und regionalen Unterwelt. So sah er mich wohl.

      «Die gestohlene Ware», fuhr Béjart fort. «Irgendwo wird sie wieder auftauchen. Du findest da vielleicht schneller etwas raus als wir.»

      Kein schlechter Hinweis. Ich würde der Sache nachgehen. Aber nicht jetzt. Nicht heute. «Danke», sagte ich. Ich meinte es so. Ich war ihm dankbar. Für alles.

      «Wenn du mehr weisst …», fing ich an, vollendete den Satz aber nicht.

      «Dann was?»

      «Dann ruf mich an.»

      «Ich werde dich vorher anrufen, Moira.» Béjarts Stimme war tief und verführerisch.

      Ich schluckte. «In Ordnung», sagte ich.

      «Bis bald, van der Meer», sagte er. Seine Stimme war nur mehr ein Flüstern. Er legte auf.

      «Bis bald, Guido», antwortete ich.

      Er hörte es nicht mehr.

      9

      Als ich nach Hause kam, war niemand in meiner Wohnung, das Bett war leer. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel. Norah war aufgewacht, und Willy hatte sie mit zu sich genommen. Ich war schon auf dem Weg nach unten, da überlegte ich es mir anders. Ob ich zehn Minuten früher oder später zu den beiden stiess, dürfte keine Rolle spielen. Norah war bei Willy gut aufgehoben; er kannte sich aus mit verzweifelten Frauen. Ich schlüpfte aus meinen verschwitzten Kleidern, stellte mich unter die Dusche und wusch den Schweiss des Tages ab. Danach wickelte ich mich in ein Badetuch, goss mir ein Glas kühlen Weissweins ein und setzte mich auf


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