Tod in Winterthur. Eva Ashinze

Tod in Winterthur - Eva Ashinze


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habe versucht …»

      «Du hast Jan bei seiner Arbeit geholfen?» Das war mir neu.

      Wieder lächelte sie dieses Lächeln. «Ich habe Recherchen angestellt. Und natürlich repräsentative Aufgaben übernommen. Klienten ausgeführt und so. Das passt zu mir, nicht? Ich meine, schau mich an. Dafür bin ich wie geschaffen.» Jetzt hatte ihre Stimme einen harten ironischen Unterton, aber ihre Augen schwammen in Tränen.

      Ich beschloss, da nicht weiter nachzuhaken. «Du hast dein Leben weitergelebt, Jan bei der Arbeit geholfen und was hast du noch? Ich habe dich vorhin unterbrochen», versuchte ich, sie auf den Weg zurückzuführen.

      Norah zuckte mit den Schultern. «Und sonst nicht viel.»

      Irgendwie hatte ich sie verloren. Ich hätte sie einfach reden lassen sollen.

      Sie beugte sich vor und griff nach ihrem Glas. «Kann ich noch einen haben?«

      Ich nickte und ging mit dem leeren Glas zu Willy in die Küche. Als ich zurückkam sass Norah in das Polster zurückgelehnt und starrte in die Ferne. Ihre Finger arbeiteten unablässig und kneteten den Saum ihres Oberteils.

      Ich reichte ihr den Whiskey. «Erzähl mir von gestern Abend. Erzähl mir, was du gemacht hast.»

      Norah trank einen Schluck. «Ich war an einem Klassentreffen in Zürich. Zwanzig Jahre Matura.» Sie lächelte wehmütig. «Die Zeit vergeht schnell.»

      «In Zürich? Aber du warst doch hier auf dem Gymnasium.»

      Norah schüttelte den Kopf. «Ich habe gewechselt, nachdem deine Schwester verschwunden war. Ich weiss nicht, es war nicht mehr das gleiche. Ich habe es nicht ausgehalten, wollte weg von den ganzen bekannten Gesichtern. Also haben meine Eltern mich an einem privatem Gymnasium in Zürich angemeldet.»

      Ich nickte schweigend und nippte ebenfalls an meinem Whiskey. Ich spürte den Alkohol schon ganz schön. Nicht nur ich hatte unter Marias Verschwinden gelitten. Es hatte auch andere getroffen, das vergass ich immer.

      «Denkst du oft an Maria?»

      «Was?» Norahs Frage traf mich unerwartet.

      «Tut mir leid», sagte sie. «Das geht mich natürlich nichts an.» Sie sah mich an. «Es ist nur … ich denke ziemlich oft an sie. Ich frage mich, was damals passiert ist. Wieso sie nie gefunden worden ist.» Sie schüttelte den Kopf. «Tut mir leid», wiederholte sie. Sie spielte nervös mit ihrem Glas.

      «Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Maria denke», sagte ich. Unsere Blicke trafen sich. Ich wandte die Augen als Erste wieder ab. «Zurück zu gestern Abend.»

      «Ich war also in Zürich, in der Nähe des Helvetiaplatzes. Es war spät geworden. Den Nachtzug wollte ich nicht nehmen, ich … irgendwie mag ich das Volk da in der Nacht nicht, die ganzen Betrunkenen. Also bin ich in ein Hotel gegangen.»

      «Ein Taxi war keine Option?», warf ich ein.

      Norah schüttelte den Kopf. «Ein Hotelzimmer ist nicht viel teurer als eine Taxifahrt von Zürich nach Winterthur. Aber das war nicht der Grund. Die Stimmung zwischen Jan und mir war angespannt. Ich habe dir ja gesagt, diese Frau und alles. Wir haben eine schwierige Zeit durchgemacht. Ich dachte, etwas Abstand ab und zu sei vielleicht ganz gut, deswegen bin ich nicht ungern in Zürich geblieben.» Sie umarmte sich selbst, als wäre ihr kalt. «Ich dachte, es sei ganz gut, mich etwas rar zu machen, seine Eifersucht zu schüren, indem ich über Nacht wegbleibe. Aber jetzt denke ich … wenn ich nur nach Hause gegangen wäre, dann …» Ihre Stimme brach. Sie griff nach ihrem Glas.

      «Dann wärst du jetzt vielleicht auch tot, Norah.»

      «Immer noch besser als das hier.» Norah klang traurig. Und bitter. Sie leerte den Rest des Glases in einem Zug. Dann begann sie erneut, den Saum ihres Oberteils zu kneten und starrte in die Ferne. Sie war offensichtlich an einem ganz anderen Ort.

      Sie tat mir leid. Ich beugte mich vor, legte ihr sanft die Hand auf das Knie. «Norah. Du musst bald alle informieren. Freunde, Familie, Bekannte. Schaffst du das?»

      Sie nickte, aber ich war mir nicht sicher, ob sie verstanden hatte, was ich gesagt hatte.

      «Die Beerdigung muss warten bis die Staatsanwaltschaft dir grünes Licht gibt. Verstehst du?»

      Wieder nickte sie. «Er wird jetzt also aufgeschnitten.» Ihre Stimme war tonlos. Dann krümmte sie sich zusammen und weinte laut.

      10

      Kurz darauf traf Rebecca ein. Sie war klein und rundlich mit wilden Locken. Ich liess Willy und Norah alleine, nahm Rebecca mit zu mir hoch und erzählte ihr noch einmal – diesmal etwas ausführlicher als am Telefon –, was geschehen war. Rebecca war verstört und wütend.

      «Ich hoffe, sie finden den Kerl», sagte sie zornig. «Ich hoffe, sie erschiessen ihn, machen kurzen Prozess mit ihm.» Ihre Reaktion schien mir übertrieben und nicht ganz echt. Aber sie war gewillt und in der Lage, in der nächsten Zeit auf Norah aufzupassen, und darauf kam es an.

      Wir holten Norah bei Willy ab und ich begleitete sie zum Auto. Norah war etwas wackelig auf den Beinen, also stützten wir sie den ganzen Weg durch den Garten.

      «Bis morgen», verabschiedete ich mich.

      Norah sah mich fragend an.

      «Die Einvernahme», erinnerte ich sie.

      Sie nickte vage.

      Ich seufzte. Die Chancen standen gut, dass sie den Termin in einer Stunde bereits wieder vergessen hatte. Nachdem die beiden losgefahren waren, ging ich wieder nach oben. Eigentlich stand mir der Sinn nur noch nach meinen eigenen vier Wänden. Ich musste mich aber noch bei Willy bedanken. Seine Hilfe war nicht selbstverständlich.

      Willy sass in seinem Sessel und hörte sich eine seiner geliebten Jazzplatten an, diesmal war es John Coltrane. Dank Willy kenne ich mich mittlerweile etwas aus.

      «Moira, kommen Sie, setzen Sie sich zu mir.» Willy winkte mich heran. «Auch noch einen?» Er hielt sein Whiskeyglas hoch.

      Ich zögerte. Oben wartete eine geöffnete Flasche Wein auf mich. Zudem hatte ich mir vorgenommen, meinen Alkoholkonsum im Zaum zu halten. Vor ein paar Monaten – anlässlich des Falles Maria Okeke – war ich mehr betrunken als nüchtern gewesen. Es war nicht annähernd so ausgeartet wie früher, während und nach meinem Studium, aber trotzdem besorgniserregend. Seitdem versuchte ich, wieder massvoll zu trinken. Doch: Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach.

      «Einen kleinen», antwortete ich.

      Willy sah mich erstaunt an, enthielt sich aber eines Kommentars und stellte einen kleinen Whiskey vor mich hin.

      Ich nickte dankend und hob mein Glas.

      Willy tat es mir nach und schweigend prosteten wir einander zu. Eine Weile sassen wir einfach da und hingen unseren Gedanken nach.

      «Danke», brach ich schliesslich das Schweigen.

      «Gerne», sagte Willy. Es sah aus, als wolle er noch etwas sagen.

      Ich sah ihn fragend an.

      Er schüttelte leicht den Kopf. «Es ist nichts. Ich habe nur gerade an meine Frau gedacht.» Willy erwähnte seine Frau selten. Ich wusste, dass er sie geliebt hatte. Aber sie war schon lange tot, und Willy hatte gelernt, alleine zu leben. Er schien den Verlust überwunden zu haben. Was wohl nicht hiess, dass er sie nicht ab und zu vermisste. «Ich hoffe, Norah kommt darüber hinweg», sagte Willy.

      «Sie ist noch jung» erwiderte ich.

      «Das heisst gar nichts», meinte Willy. «Sie kann trotzdem daran zerbrechen. Das ist keine Frage des Alters. Es ist eine Frage des Gemüts. Und Norah scheint mir sehr fragil zu sein.»

      Ich gab keine Antwort. Ehrlich gesagt hatte ich mir genug den Kopf zerbrochen über Norah. Ich wollte für heute damit abschliessen.

      Willy schien das zu spüren. Er kam auf etwas ganz anderes zu sprechen. Leider wählte er keinen unverfänglichen, leichten Gesprächsstoff wie beispielsweise


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