Ahrenshooper Spinnenweg. Tilman Thiemig

Ahrenshooper Spinnenweg - Tilman Thiemig


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man euren neumodischen Krams alleine. Und am nächsten Sonntag kommt ihr beiden zu mir. Dann zeige ich euch mal, wie man das richtig macht.«

      Richtig beleidigt hatte sie geklungen. Das Telefonat abrupt beendet. Als ob sie seine Experimentierfreude als persönlichen Angriff empfinden würde. Merkwürdig. Kempowski erschien es, als ob allesamt in der letzten Zeit dünnhäutiger geworden wären. Empfindlicher, gereizter. Das galt für Lore ebenso wie für das Team vom Partikel-Hof, wo die Spannungen zwischen Johanna Riese und Ann-Kathrin Seegers von Tag zu Tag mehr die Stimmung beeinträchtigten. Hakala-Holappa war auch nicht viel besser mit seiner geradezu manischen Besessenheit, mit der er das Schweigen Hans von Wustrows brechen wollte. Doch das hatte sich ja nun erledigt …

      Dann noch Zimmermann und seine grüblerische Art. Aber er selbst konnte, musste sich ebenfalls an die eigene Nase fassen. Seitdem er wusste, dass er einen Halbbruder hatte, war er auch zumeist mit seinen Gedanken ganz woanders. Schließlich ging es ja nicht nur um einen Seitensprung seiner Mutter vor vielen Jahren, von dem sie ihm nie etwas erzählt hatte. Das war nicht das Problem. Aber zu wissen, durch Untersuchungen belegt, dass man mit einem Serienmörder verwandt ist, ihm zudem sogar äußerlich ähnelt, das beschäftigte ihn schon sehr. Was wäre, wenn ihn dann womöglich mehr mit dem Mann aus Müggenburg verbinden würde als nur die äußere Ähnlichkeit? Erst in der letzten Nacht hatte ihn diese Ungewissheit in schweißnasse Träume getrieben. Die frisch gewaschene Bettwäsche auf der Leine unterm Lindenbaum zeugte davon. Auch wenn sie scheinbar fröhlich im linden Maienwind flatterte. Erfreut beobachtet von Akeleien, Pfingstrosen, ersten Klatschmohnblüten. Ein friedliches Bild. Scheinbar. Doch trügerisches Postkartengartenidyll.

      Denn hinzu kam, dass er Elisabeth noch nichts davon erzählt hatte. Aussprachen über Probleme waren nun mal nicht seine Art. Allerdings führte dies wiederum dazu, dass sein geliebtes Elseken ihm vermehrt zusetzte, seine Schweißattacken auf sein Rauchen zurückführte, seine Vorliebe für große Weine und kleine Brände. Was seine Seelennot weiter verschlimmerte.

      »Kemp, wie sieht es aus, Robert hat gerade angerufen, sie werden in gut zehn Minuten da sein.«

      Schon stand sie auf der Terrasse, richtete mit geschickten Griffen die Jasminblüten in kleinen Silbervasen, das gute Besteck in gleichem Material, die kunstvoll gefalteten weißen Servietten auf feinstem Tischtuch. Tauben, Schwäne und ein Pfau; Elisabeth Müller-Paul wusste um die Affinität Zimmermanns zur Vogelwelt.

      »Wunderbar, mein Elseken, ich denke, in gut zwanzig Minuten wäre ich soweit. Dann passt das doch bestens und wir haben noch Zeit für einen Hugo.«

      »Aber halt dich bitte zurück, ja, mein geliebter Kemp. Denk an die vergangene Nacht!« Sie versuchte neckisch mit dem Zeigefinger zu drohen. Ihr Blick zur tanzenden Wäsche sprach eine andere Sprache. Glücklicherweise verhinderte die schellende Türklingel weitere Reglementierungen. Sie enteilte.

      Kehrte wenige Augenblicke später mit Zimmermann und Sonntag im Gefolge zurück. »Schau mal, mein Lieber, was die beiden Herren mitgebracht haben!«

      Sie schwenkte einen riesigen Blumenstrauß vor ihrem Gesicht. »Lisianthus und Levkojen. Was für eine Pracht! Vielen …« »Besser als Jauche und Levkojen.« Zimmermann fiel ihr ins Wort und schmunzelte. Er wusste um die Freude der Bibliothekarin an literarischen Anspielungen und Verweisen. »Apropos Landidyllen. Die Herren Bernhard und Johannes lassen sich nochmals wie vielfach entschuldigen. Sie müssen zur Probe. Seitdem ihre Liebe zur Bühne erwacht ist, gibt es für die beiden nur noch eine Muse. Rund um die Uhr nahezu. Und gegen Thalias Charme sind selbst Sie machtlos, verehrte Elisabeth.«

      Bernhard Gutzeit und Johannes Clauert waren tatsächlich erst vor wenigen Tagen als neue Sterne am Bühnenhimmel der Darß-Festspiele entdeckt worden. Im Borner Hafenbistro. Dort hatte Hermann Hutsch, der Intendant der Freilichtbühne, beobachtet, wie sie bei Fischbrötchen und Doppelkümmel saßen und ihre Scherze über gierige Möwen wie ungeduldige Touristen machten. Hutsch hatte auf den ersten Blick erkannt, was für komische Talente in ihnen schlummerten und sie vom Fleck weg für seine neue Inszenierung der ›Heiden von Kummerow‹ engagiert. Den pensionierten Pastor als Nachtwächter Bärensprung, einen etwas verlotterten Veteran, der nun im Armenhaus lebt. Für den Bestatter a.D. hatte Hutsch sogar eine neue Rollenidee kreiert: den tollpatschigen Totengräber Otto Diestelbruch. In beiden Fällen eine Traumbesetzung.

      »Ja, das finde ich ja köstlich, dass die beiden Käuze noch einmal als Schauspieler reüssieren dürfen. Und dann noch mit Ehm Welk. Wie schön!« Müller-Paul wuselte hin und her. Derweilen sie sich weiter mit ihrem Besuch unterhielt. Suchte und fand schließlich ein passendes Gefäß fürs Bouquet im Fischlanddesign. Das natürlich hervorragend mit dem aufgedeckten Geschirr korrespondierte. Löbers typische Libellen aus dem Dornenhaus schwirrten mit Levkojen und Lisianthus einem besonderen Gaumengenuss unter freiem Himmel entgegen. Während die Hausherrin weiter schnatterte. Kempowski konzentrierte sich hingegen schweigend und verbissen auf das Finale seiner Grillperformance. Richard Sonntag assistierte ihm dabei. Sah in stiller Vorfreude dem verheißungsvollen Mahl entgegen.

      Elisabeth Müller-Paul hatte derweilen mehrere Schüsseln mit Spargel sowie Saucieren aufgetischt. Sonntag ließ seinen Blick über die Speiselandschaft wandern. Suchend. Die Gastgeberin nahm ihn auf. Kam seiner Frage zuvor. »Auf Kartoffeln werden Sie verzichten müssen, mein lieber Herr Richard. Low-Carb heißt die Devise. Damit wir alle bald wieder eine Bella Figura für den Strand haben.« Ihr »alle« galt jedoch vornehmlich Kempowski, dessen Leibesmitte seine Gattin bei ihren Worten Missbilligung geschenkt hatte.

      »Nun darf ich Sie aber zu Tisch bitten, meine Herren. Und zugleich um noch einen klitzekleinen Augenblick für …«

      Zimmermann ahnte, was nun kam. So gut kannte er die Bibliothekarin und Büchernärrin, dass ihm klar war, dass sie es nicht bei einem einfachen »Guten Appetit!« bewenden lassen konnte.

      Mindestens ein Zitat oder einige poetische Zeilen als Vorspeise mussten es sein. Er sollte recht behalten.

      »… für ein, zwei Verse meiner verehrten Martha Müller-Grählert:

      ›Mailied

      Maientied, güldne Tied,

      Endlich werret ist’s sowiet!

      Blaumenbläder fallen sacht,

      Sünnenschien, de blänkt un lacht,

      Un min Seel, so wintermeud,

      De juchzt vör Freud!‹«

      Sie machte eine kurze Pause. Bedeutungsvoll. Setzte dann fort.

      »›Maientied, gülden Tied,

      Ach, so rasch büst du avsiet!

      Nächstes Johr, dat kann woll sin,

      Dat ick hier denn nich mihr bün,

      Blumenbläder fallen av

      Denn up min Grav!‹

      Schön, nicht wahr? Aber was schaut ihr denn so bedröppelt? Martha war nun einmal auch eine Freundin der melancholischen Töne. Ließ nicht nur die Ostseewellen munter an den Strand trecken, sondern auch den Herbst, den Tod, die Vergänglichkeit zu Worte kommen. Doch, ich habe auch noch etwas Heiteres auf Lager. Ohren auf:

      ›Asparagus

      Wenn im Mai bläst Pan die Flöte,

      Weil es Wonnemonat ist,

      Schießt der Spargel auf vom Beete,

      Das gedüngt mit Pferdemist.

      Morgens kommen weiße Köpfe

      Aus der grauen Erd’ heraus.

      Mittags schleicht schon aus Töpfen

      Wundersamer Duft ums Haus.

      Ach, welch eine schöne Gabe

      Hast Du, Herr uns da bestellt!

      Wenn ich einen Spargel habe,

      Habe ich die ganze Welt.‹

      Julie Schrader, der ›Welfische Schwan‹. Allerdings ist ja ihre Autorinnenschaft inzwischen sehr umstritten.


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