Das Gift an Amors Pfeil. Marnia Robinson
als könnten sie dem Rest von uns den Schlüssel für eine glückliche Ehe zeigen – anschließend zu uns kommen und sagen: „Wir wissen genau, worüber Sie sprechen und wir möchten gern mehr darüber erfahren. Wir möchten, dass unsere Liebe weiterlebt.“
„Man muss einfach nur den Richtigen finden“
Der Eheberater und Autor Willard F. Harley Jr. spricht den Ursprung des Problems in seinem Buch Love Busters ganz praktisch an:
„Ich möchte betonen, dass [die ausgesprochene Selbstbezogenheit, die so häufig für die Trennung von Paaren sorgt] etwas ganz Normales in der Ehe ist. Sie denken vielleicht, dass Sie mit einem Verrückten oder einer Verrückten verheiratet sind, oder dass Sie selbst verrückt sind …
Ich bin absolut davon überzeugt, dass es die Ehe selbst ist, oder genauer gesagt, eine romantische Beziehung, die die Kommunikation so schwierig macht. Es sind nicht die Unterschiede zwischen Männern und Frauen. …[Diejenigen, die ich berate,] haben wenig Schwierigkeiten, Konflikte zu lösen, wenn es nicht eine romantische Beziehung betrifft.“ 74
Was ich da lernte, schien mir sagen zu wollen, dass dem unbarmherzigen Ziehen und Zerren des Bermudadreiecks nicht einfach mit guter Kommunikation, hoher Kompatibilität, dem Vermeiden von Sex vor der Ehe usw. beizukommen war. Warum? Weil es irgendwie mit sexueller Intimität verknüpft ist, die ganz offensichtlich ein integraler Bestandteil jeder gesunden Ehe ist. Ich stelle mir diesen schleichenden Trennungsmechanismus manchmal als einen „Virus“ vor, weil er ein gesundes Element der Vereinigung – Intimität – unterwandert und es in etwas verwandelt, was die Beziehung seines Wirtes zerstört. Sich zu verlieben, ist wunderbar; die Anziehung sterben zu sehen, ist schrecklich.
Ich wollte nicht einfach so akzeptieren, dass fortpflanzungsmotivierter Sex der einzige Faktor in der Verschlechterung des Liebeslebens zwischen Paaren war, und doch gab es eine entmutigende Ähnlichkeit in den Auswirkungen bei den meisten Paaren. Ich begann, mich zu fragen, ob die Herausforderung in intimen Beziehungen nicht die war, wen wir heiraten, sondern wie wir miteinander Sex haben. Mein Verdacht erhärtete sich, als ich auf die „Honeymoon study“ stieß. Dr. Kiecolt-Glaser hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, herauszufinden, ob der Ausstoß von Stresshormonen während ehelicher Konflikte ansteigt. Um kurzfristigen Stress isolieren zu können, wählte sie neunzig frischverheiratete Paare aus der kolossalen Anzahl von 2.200 Paaren aus, die sie und ihre Kollegen interviewten. Nur die glücklichsten, gesündesten, wohlhabendsten und stabilsten Paare wurden ausgesucht.
„Beziehungen scheitern, trotz Ehetherapie und aller Bemühungen, sie aufrecht zu erhalten.“
Savulescu und Sandberg, Ethiker
Kiecolt-Glaser entdeckte, dass Konflikte in der Tat den Ausstoß an Stresshormonen erhöhen (mit dem möglichen Risiko einer geringeren Immunität gegenüber Krankheiten). In Folgegesprächen mit den entsprechenden Paaren entdeckte sie jedoch auch, dass sie im Durchschnitt über eine schwindende Zufriedenheit in ihren Ehen ab dem zweiten Ehejahr berichteten. Wie Kiecolt-Glaser es ausdrückt, „scheint die abnehmende Zufriedenheit in der Ehe eine gleichbleibende Reaktion nach dem ersten oder zweiten Jahr der Ehe zu sein.“ So drücken Wissenschaftler aus, dass „das Gift an Amors Pfeil seine Wirkung zeigt.“ Als die Studie veröffentlicht wurde, hatte sich ein Fünftel ihrer glücklichen, ideal füreinander geeigneten Paare schon wieder scheiden lassen.75
Kein Wunder, dass Eheberatung Paarbeziehungen so selten rettet. Hier war etwas Größeres und Unpersönliches am Werk, und ein paar Jahre später sollte ich mehr über die Biologie dahinter erfahren.
Weitere heikle Fragen
Von den unerwarteten Makeln im Liebesleben meiner Freunde zu erfahren, war nicht die einzige Entdeckung auf meiner Erkundungsreise. In jedem taoistischen Buch über Sexualität oder sogar Tantra (die Hindu-Tradition, die auch heilige Sexualität umfasst), wurde die mächtige Synergie betont, die einzig und allein durch die sorgfältige Kultivierung der Einheit von Yin (weiblicher Energie) und Yang (männlicher Energie) entstehen soll. Was hatte das für meine homosexuellen Freunde zu bedeuten? Für meine Freunde mit körperlichen Gebrechen, die ihre Sexualität beeinträchtigen? Oder für die Menschen, die noch nicht zum Geschlechtsverkehr bereit waren?
Ich grub tief in verschiedensten alten Texten auf der Suche nach Antworten. Die Taoisten waren alles andere als zimperlich oder moralistisch, was die sexuelle Orientierung angeht. Sex zwischen Frauen wurde als neutrale Praxis angesehen und mit dem Begriff „den Spiegel polieren“ bezeichnet (obgleich ein Orgasmus für Frauen wie auch für Männer als auslaugend betrachtet wurde).76 Doch die Taoisten wiesen darauf hin, dass leichtfertiger Sex zwischen Männern, das „Drachen-Yang-Syndrom“, aufgrund von Überstimulierung (und sexueller Erschöpfung) zu auslaugend und daher eine potentielle Quelle für Gesundheitsprobleme sei.
Jedem Menschen ohne Partner des anderen Geschlechts wurde empfohlen, seine sexuelle Energie zu verfeinern oder der sexuellen Aktivität mit dem gleichen Geschlecht noch Übungen hinzuzufügen, die man allein durchführen kann und die ich mittlerweile gelernt hatte, und darüber hinaus weitere Quellen für Yin- oder Yang-Energie für sich zu suchen.
„Männliche Energie kann ich solchen Quellen wie der Sonne oder den Bergen gefunden werden, weibliche Energie in Quellen wie der Erde, dem Mond und den Seen.“ 77
Die Taoisten warnten vor häufiger Masturbation und Orgasmus, unabhängig von der sexuellen Orientierung. Sie stellten fest, dass ein Höhepunkt die sexuelle Begierde ansteigen lässt und zugleich erschöpfend ist. 78 Dies kam mir paradox vor, bis ich eine Weile darüber nachdachte. Ich merkte, dass auch bei mir sexuelle Übersättigung im Anschluss das Verlangen nach heißem Sex steigern konnte – vielleicht, um der Schwermut emotionaler Spannung oder Distanz in der Zeit des „Katers“ zu entkommen. Sich einen Orgasmus zu wünschen, wenn man eigentlich sexuell schon satt ist, kam mir so vor, wie zu essen, wenn man innerlich unruhig ist und eigentlich gar keinen Hunger hat. Auf diesen Punkt kommen wir in Kapitel sechs noch mal zurück, wenn wir uns anschauen, wie Orgasmus zum Zwang werden kann.
Die Taoisten betrachteten Hypersexualität oder „uneingeschränkte Verausgabung“ als die vorhersehbare Auswirkung, wenn man sexuelle Übersättigung verfolgt, ohne zuvor das eigene innere Gleichgewicht hergestellt zu haben – und nicht als ein Merkmal wirklicher Libido. Aus ihrer Sicht waren vorzeitige Ejakulation, ein Unwohlsein nach dem Orgasmus, feuchte Träume und „lüsterne Gedanken“ häufig ein Anzeichen für Erschöpfung und nicht für einen Überschuss an sexueller Energie. Ihre Lösung? Den Raubbau grundsätzlich zu vermeiden.
„Ich werde aufmerksam für meine Gefühle nach dem Orgasmus. Sofort verschwindet jeglicher Drang völlig. Ich denke „Warum war mir das so unglaublich wichtig?! Was hat mich da getrieben? Warum war das unbedingt notwendig?!“ Es fühlt sich so an, als würde irgendetwas die Kontrolle über mich übernehmen, und es ist ganz schwierig zu beschreiben. Zum anderen fühle ich mich nach dem Orgasmus … neutralisiert. Als wäre all meine männliche Essenz verschwunden, wie ein Weichling fühle ich mich: schwach, schüchtern und introvertiert. Es ist richtiggehend beunruhigend. Vorher fühlte ich mich viel mehr als Mann.“
Dennis
Waren möglicherweise viele von uns in einem Hamsterrad hyperaktiver sexueller Gewohnheiten gefangen, die unser Unbehagen nur immer weiter verstärkten? Während ich über meine sexuelle Energie mit einem neu gewonnenen Respekt nachdachte, spielte sich in meinem Leben ein Drama ab, das meine Motivation steigerte, mein bisheriges Wissen mit anderen zu teilen.
Ein Weckruf
Eines Tages brachte ein Freund einen sympathischen jungen Mann mit zu einer Party bei mir zu Hause. Lars war ein begabter Grafikdesigner, sensibel, ehrlich, liebenswürdig und ein bisschen schüchtern. Er kam in Begleitung einer sehr höflichen und viel älteren Frau. Mir