Cap Arcona 1927-1945. Stefan Ineichen
zu berichten, als dass sie demnächst die Ehe mit Herrn X., einem schmächtigen, unschönen Männlein, eingehen werde oder soeben eingegangen habe.»
Elisabeth Rupp hatte als eine der ersten Frauen in Deutschland Jus studiert und – nachdem sich ein befreundeter Dozent das Leben genommen hatte – ihre Dissertation mit dem Thema Das Recht auf den Tod zur juristischen Beurteilung des Selbstmordes verfasst. Noch lieber schrieb sie aber Gedichte und Prosatexte. 1920 lebte sie drei Monate lang in Montagnola, wo sie eine Liebesbeziehung mit Hermann Hesse einging. Im Frühjahr 1922 überquerte sie den Ozean als Passagierin II. Klasse auf einem in ihren Tagebuchaufzeichnungen nicht namentlich genannten Riesendampfer, bei dem es sich, wie aus verschiedenen Hinweisen hervorgeht, um die Cap Polonio auf ihrer ersten Südamerikafahrt gehandelt haben muss. In Argentinien arbeitete sie ein knappes Jahr als Hauslehrerin auf einer Estancia, einem Gehöft, das zu den Ländereien wohlhabender Argentinier gehörte und von einer deutschstämmigen Familie geführt wurde. Dabei kam sie auch in Kontakt mit der Famile der Großgrundbesitzer: «Einen Monat im Jahr, den heißesten, der in Buenos Aires unerträglich ist, wohnt die Familie des Besitzers, des Estanciero, hier. Es sind vornehme Argentinier, die noch mehr solche Estancien haben, aber in der Hauptstadt leben, wo sie sich nicht zu langweilen brauchen. Sie bringen dreißig Dienstboten mit, wenn sie in die vielen Zimmer unsers Schlösschens einziehen. Den Park, so erzählt man mir, betreten sie kaum. Die jungen Herren fahren im Auto durch den Camp, schießen Wildenten und Hasen; die Weiblichkeit verbringt den Vormittag im Bett, den Nachmittag und Abend damit, dass sie steif auf unbequemen Stühlen sitzend, augenverderbende Handarbeiten anfertigt – übrigens mit viel Geschick –, die niemand braucht.»
Argentinische Jugend der gehobenen Klasse während der goldenen zwanziger Jahre – die Männer fahren mit dem Auto zur Hasenjagd (wenn sie nicht gar wie Macoco de Álzaga Unzué Rennen fahren), und die Frauen befinden sich im Bett oder beschäftigen sich geschickt mit sinnlosen Hausarbeiten: «So wird auch die Frau hier noch ausschließlich dazu erzogen, früh und vorteilhaft zu heiraten. Unter die Haube kommen ist der ganze Ehrgeiz der Weiblichkeit – Geldverdienen das Streben der Männer. Völlig fehlt noch der Sinn für Bewegung im Freien, Körperschulung und geistiges Wachstum der Frau. Bezeichnend ist, dass eine richtige Argentinierin kein einziges Paar Schuhe besitzt, mit dem man einen Ausflug ins Freie machen kann. Solche Schuhe – ohne das Turmwerk der fingerdünnen Absätze, die den Gang zu einem qualvollen Stakeln verunstalten – sind bis jetzt nur in englischen Geschäften erhältlich. Wie auch der ungeheuerliche Artikel eines Regenmantels, den die Kreolin verachtet. Sie hält es für stilvoll, den furchtbaren Regengüssen, die in Buenos Aires oft in wenigen Stunden alle Straßen unter Wasser setzen, – mit Lackschuh, Tüllhut und Chiffonrobe zu trotzen. Uns aber, die wir bei Unwetter in dunklem Straßenanzug ausgehen, unauffällig und wasserdicht – uns findet sie komisch.
Fremd, fremd ist diese Welt. Aber nicht berauschend, neu in ihrer Fremdheit: es ist etwas längst Überwundenes, das hier noch die Gemüter erhitzt. Peinlich kopierte Pariser Eleganz ist der Ehrgeiz von Mann und Frau in den wohlhabenden Kreisen, denn Paris, und im weiteren Sinne Frankreich, französische Kultur, ist gegenwärtig der einzige Kompass für die höhere Schicht. Man reist zum Vergnügen nach Paris, – man macht dorthin Geschäftsreisen, man studiert auch allenfalls dort, denn man spricht Französisch, aber sonst nichts von Fremdsprachen.»
Cap Polonio, Sonnendeck. Auf dem 1914 gebauten Dreischornsteindampfer – vor Inbetriebnahme der Cap Arcona Flaggschiff der Hamburg-Süd – fuhr Elisabeth Rupp im Frühjahr 1922 nach Argentinien. Auf der Heimreise im Jahr darauf lernte sie ihren Mann, den zukünftigen Cap-Arcona-Kapitän Johannes Gerdts, kennen.
Abgesehen davon, dass Vergnügungsreisen nach Paris den meisten Landsleuten verwehrt blieben, waren auch in Argentinien nicht alle Frauen mit der vorherrschenden Verteilung der Geschlechterrollen einverstanden. Besonders in Buenos Aires, wo 1910 ein erster Congreso Femenino Internacional stattgefunden hatte, engagierten sich Lehrerinnen, Ärztinnen und andere gebildete Frauen für ihre Rechte. 1926 erreichten sie immerhin eine Revision der Zivilgesetzgebung, die die Unterstellung der verheirateten Frau unter ihren Ehemann aufhob, auf das Wahlrecht mussten die argentinischen Frauen bis 1947 warten. Für die Schriftstellerin Alfonsina Storni, eine der profiliertesten Frauenrechtlerinnen, verunmöglichte das Ungleichgewicht der Geschlechter letztlich selbst die Liebe zwischen Frau und Mann: «Überlegen bin ich dem Durchschnitt der Männer, die [mich] umgeben; physisch aber, als Frau, bin ich ihre Sklavin, ihr Modell, bin Ton in ihrer Hand. Frei kann ich den Mann nicht lieben: zu groß ist mein Stolz, mich ihm zu unterwerfen.» Storni, deren Lyrik noch heute in Südamerika hoch geschätzt wird, erhielt 1922 den Argentinischen Staatspreis für Literatur. 1927 erregte sie Aufsehen mit ihrem Theaterstück El amo del mundo (Der Meister der Welt), das in Buenos Aires in Anwesenheit des Staatspräsidenten Marcelo T. de Alvear und dessen Gattin uraufgeführt und schon drei Tage später vom Spielplan genommen wurde, da die feministische Radikalität der Komödie Kritik und Publikum überforderte. In Spanien stießen ihre Texte auf großes Interesse, wie Storni auf einer Europareise wenige Jahre später feststellte, bevor sie im Frühjahr 1930 auf der Cap Arcona von Boulogne nach Buenos Aires zurückfuhr.
Auf welchem Schiff Elisabeth Rupp nach ihrem wenig glückhaften Aufenthalt als Hauslehrerin nach Hamburg zurückfuhr, ist nicht bekannt. Ihrem Tagebuch ist zu entnehmen, dass sie sich aus Kostengründen für die III. Klasse entschied. Von ihrem Deck aus schaute sie zum Promenadendeck I. Klasse hoch und entdeckte dort einen Mann, den sie in ihren Aufzeichnungen «den Inka» nennt, da sie seine Gesichtszüge an peruanische Keramik erinnerten. Glücklicherweise holte der Schiffsarzt, der Patienten aller Klassen betreute, Rupp mit Einverständnis des Kapitäns in die I. Klasse, wo sie benötigt wurde, um einen Funkoffizier, der in argentinische Dienste treten wollte, Spanisch zu unterrichten. «Wie das Bettelkind im Märchen komme ich mir vor», dachte sie, als sie die Klasse wechselte. Bald lernte sie «den Inka» näher kennen, tanzte und plauderte mit ihm, ließ sich von ihm in der Hängematte auf dem Deck hin und her schaukeln und begleitete den Seemann, der sich auf der Rückreise nach Hamburg befand, bei Ausflügen aufs Festland, während das Schiff im Hafen lag. Sie führte mit ihm «ernste Gespräche, und oft beschämt es mich», schreibt die Juristin und Schriftstellerin, «wahrzunehmen, wie viel ein Mann weiß, der nicht wie ich sein Leben auf Schulen und Universitäten versaß – den das Leben, die weite reiche Welt lehrte, was ich trotz allem nicht errang».
In Madeira beschlossen die beiden zu heiraten, nach ihrer Ankunft in Hamburg fand die Hochzeit statt.
Johannes Gerdts, Elsabeth Rupps «Inka», sollte zwei Jahrzehnte später und in einer radikal veränderten Welt als Kapitän die Cap Arcona übernehmen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.