Cap Arcona 1927-1945. Stefan Ineichen
Reisebericht, wie der Kapitän, der sieben Sprachen perfekt beherrschte, «in Tennishose und Sonnenbrille» über das Deck der Cap Arcona promenierte, umringt von Kindern, die «Il commodore!» rufen, und erlebte ihn als Promoter für Deutschland: «Wie viel Freunde ein Mann wie Rolin auf jeder Fahrt für sein Vaterland wirbt, das könnte ihm eine Geheimratsurkunde nur schwach vergelten. Wer Rolin schätzt, schätzt Deutschland. Und Rolin schätzt jeder, der nur einmal seinen Erzählungen gelauscht hat.»
Weltgewandt und polyglott waren Ernst Rolin wie Hugo Eckener in den wenigen, hoffnungsvollen Jahren zwischen Nachkriegsmisere und Weltwirtschaftskrise Botschafter für ein Deutschland, das sich aufmachte, eine neue, selbstbewusste Stellung innerhalb der Völkergemeinschaft einzunehmen, jenseits von nationalistischer Arroganz, larmoyanter Geschichtsklitterung und Ausblendung der Eigenverantwortung für die katastrophalen Folgen des Großen Krieges. Mit Luftschiff und Luxusdampfer meldete sich Deutschland zurück – ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg mit VW Käfer und dem Fußballwunder von Bern. Noch 1934, als die Cap Arcona am 9. März zum fünfzigsten Mal in Santos, der Hafenstadt vor São Paulo, eintraf, zeugt ein brasilianischer Zeitungsbericht von der ungebrochenen Ausstrahlung der beiden Verkehrsmittel: «Wenn das stolze Schiff wieder in den Hamburger Hafen einläuft, dann hat es eine Entfernung von insgesamt siebenhunderttausend Seemeilen mit fahrplanmäßiger Pünktlichkeit und ohne den geringsten Zwischenfall zurückgelegt. Die Cap Arcona ist in unseren Augen mehr als ein großer, schöner Passagierdampfer. Sie ist das Schiff, dem unsere Herzen gehören. Graf Zeppelin und die Cap Arcona, die sich oft auf hoher See begegnet sind, und in neuerer Zeit auch die Dornier-Wal-Maschinen, die den ersten regelmäßigen Luftpostdienst zwischen Europa und Brasilien versehen, sie gehören zusammen, denn sie arbeiten für den Weltverkehr.»
Die Flugboote der aus einer Tochtergesellschaft der Friedrichshafener Zeppelinwerke entstandenen Firma Dornier läuteten das Ende der vergleichsweise gemütlichen Ära der Schnelldampfer und der noch schnelleren Luftschiffe ein. Vorerst dienten die Flugzeuge, die auf dem Wasser landen konnten, der Beschleunigung des transatlantischen Postverkehrs. Graf Zeppelin erreichte Südamerika zwar in wenigen Tagen, verfügte jedoch nur über eine beschränkte Transportkapazität. Da es die Reichweite der Postflugzeuge noch nicht erlaubte, die Distanz von Europa oder Afrika nach Südamerika ohne Zwischenstopp zu überwinden, brachten Dornier-Maschinen der Lufthansa die Postsäcke vor Afrika auf dem offenen Meer zu Linienschiffen wie der Cap Arcona, welche die Säcke aufnahmen, um sie in der Nähe der brasilianischen Küste wiederum an Flugboote des südamerikanischen Syndicato Condor zu übergeben, die die Post in Windeseile ans Festland brachten. Der erste Test für diesen beschleunigten Postversand gelang im März 1930, wie Ernst Rolin berichtet: «Auf der Ausreise machte ein Flugzeug des Syndicats Condor ein interessantes Experiment. Um den Seeweg der europäischen Post abzukürzen oder den ausfahrenden Schiffen die Post später nachzubringen, kam man auf den Gedanken, einen wasserdichten Sack in voller Fahrt an eine vom Schiff ausgesteckte Leine zu binden, die dann an Bord eingeholt wird. Dieser Versuch gelang der Cap Arcona im Hafen von Rio vollkommen. Das Wasserflugzeug Santos Dumont arbeitete sich auf dem Wasser an die Leine heran. Wir nahmen und gaben den Postsack unversehrt an und von Bord.» Dieses System des Postverkehrs wurde bis 1934 beibehalten, als die Lufthansa die gesamte Route übernahm, indem sie vor Afrika und Südamerika umgebaute Frachtschiffe einzusetzen begann, die als Zwischenstationen für die Dornier-Flugzeuge dienten, die Flugboote mit einem Kran aus dem Wasser hoben und dann, neu betankt, entlang einer Schiene mittels einer Katapultvorrichtung zur Fortsetzung ihrer Reise wieder in die Luft schleuderten.
Der brasilianische Flugpionier Alberto Santos-Dumont unternahm 1906 in einem selbstgebauten Doppeldecker mit nach vorne gerichtetem Kastendrachen in Paris einen Rekordflug über 220 Meter. Als Passagier der Cap Arcona musste er 1928 miterleben, wie ein nach ihm benanntes Flugzeug, das ihn vor der brasilianischen Küste begrüßen wollte, explodierte und ins Meer stürzte.
Das Flugboot Santos Dumont, das Commodore Rolin erwähnt, war nach dem brasilianischen Flugpionier Alberto Santos-Dumont benannt, der um die Jahrhundertwende in Paris spektakuläre Flugexperimente unternahm. «Der kleine Santos», wie der 167 Zentimeter große Brasilianer mit französischen Wurzeln genannt wurde, liess sich als Erbe eines schwerreichen Kaffeepflanzers im Alter von achtzehn Jahren in Paris nieder, der europäischen Hauptstadt der südamerikanischen Oberschicht. 1898 baute er einen funktionsfähigen, kugelförmigen Ballon aus Japanseide und mit einem Bambuskorb, der mit einem Gewicht von bloß zwanzig Kilogramm ohne Weiteres als Handgepäck transportierbar war. 1901 umrundete er in einem ebenfalls selbstgebauten, mittels Verbrennungsmotor lenkbaren Luftschiff als Erster den Eiffelturm, zwei Jahre später konstruierte der als stets elegant gekleidet, höflich und mutig beschriebene Santos-Dumont ein elf Meter langes, gelbes Luftschiff, das er als innerstädtisches Verkehrsmittel einsetzte, wenn er etwa im Jugendstil-Restaurant Maxim’s Baron Edmond de Rothschild traf, in dessen Park er gelegentlich abstürzte, oder den Juwelier Louis Cartier, der für Santos eine Armbanduhr kreierte, die heute noch im Handel ist.
1906 unternahm der außerhalb Brasiliens weitgehend vergessene Flugpionier mit einem Doppeldecker auf Fahrradrädern, dessen nach vorne gerichteter Schwanz am Bug von einem Kastendrachen stabilisiert wurde, den Versuch, als Erster mit einem Motorflugzeug über hundert Meter weit zu fliegen. Als er sein Gerät zu diesem Zweck im Bois de Boulogne platzierte, hatte sich auch Louis Blériot, der 1909 als Erster den Ärmelkanal überfliegen sollte, mit seiner Maschine bereit gemacht, um den Preis für den ersten Hundertmeterflug zu ergattern. Santos überließ Blériot den Vortritt und setzte erst zum Start an, als Blériots Flugmaschine nach mehreren Startversuchen zum Wrack geworden war, ohne überhaupt abgehoben zu haben. Anschließend flog der kleine Santos mit seinem Gefährt, das schwerer als Luft war, über zweihundertzwanzig Meter.
Desinteressiert an Konkurrenz und der bald einsetzenden Kommerzialisierung des Flugwesens und angewidert von der Entwicklung der Luftwaffe zog sich Alberto Santos-Dumont aus dem Geschäft zurück, lebte zeitweise in Europa und in Brasilien, erkrankte an multipler Sklerose und setzte sich für die Ächtung des Luftkriegs ein. Eine entsprechende Eingabe, die Santos-Dumont an den Völkerbund richtete, blieb unbeantwortet.
1928 fuhr der Flugpionier a. D., der sich auch schriftstellerisch betätigte, auf der Cap Arcona nach Brasilien, wo er Mitglied der nationalen Literaturakademie werden sollte. Am 3. Dezember, einige Wochen nach der nächtlichen Begegnung des Schnelldampfers mit dem Graf Zeppelin über der Nordsee, erschienen zur Begrüßung des berühmten Gastes vor der brasilianischen Küste zwei Wasserflugzeuge mit Fliegern und Vertretern der brasilianischen Intelligenz an Bord, vollführten luftakrobatische Kunststücke und wollten Blumen und einen Willkommensgruß an einem kleinen Fallschirm über den auf dem Deck versammelten Passagieren der Cap Arcona abwerfen. Doch das eine der beiden Flugzeuge, die nach dem Gefeierten benannte Santos Dumont des Condor-Syndikats, übernahm sich, explodierte und stürzte ins Meer.
Alle Insassen waren tot. Alberto Santos-Dumont nahm an den Begräbnissen sämtlicher Opfer teil.
Am Morgen des 23. Juli 1932, dreieinhalb Jahre später, beobachte Santos-Dumont in seinem Haus an der brasilianischen Küste zwei Flugzeuge, die im Tiefflug über den Strand flogen und Bomben abwarfen – in Brasilien war eine Revolte ausgebrochen, die von der Regierung schließlich nicht zuletzt dank des Einsatzes der Luftwaffe unterdrückt werden konnte. Santos-Dumont erhängte sich im Badezimmer mit einer Krawatte.
Schon auf seiner ersten Südamerikafahrt fuhr der Graf Zeppelin zu Ehren «des Vorkämpfers des Luftschiffes» Santos-Dumonts über Brasilien eine Schleife. Aus dem hochgeklappten Fenster des Zeppelins wurde laut Hugo Eckener «ein prächtiger Blumenstreif» hinuntergeworfen.
Reich wie ein Argentinier
Bubikopf und Seidenstrümpfe
«Schon beim Anblick eines Überseedampfers wird die Phantasie wach, breitet ihre Schwingen aus und fliegt in Palmenwälder unter heißer Sonne zu rauschendem Leben in weiten, unbestimmten Fernen, zu Eilanden, verloren im Weltmeer, auf denen dunkelhäutige Menschen das Leben im Rhythmus der Natur kindhaft und glücklich leben, zu allem, was die Sehnsucht sucht und nie finden wird», schrieb Hans Röhring