Cap Arcona 1927-1945. Stefan Ineichen

Cap Arcona 1927-1945 - Stefan Ineichen


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Auf der Cap Arcona sind Völker aller Zungen, wenn auch meistens sieben Achtel Argentinier. Andere Schiffe haben durch Nationalhymnen, wie Giovinezza usw., die Passagiere verdrängt und müssen oft mit einer Handvoll Fahrgästen, die kaum das Schmieröl bezahlt machen, in See stechen.»

      Der Cap Arcona gelang es auf Anhieb, sich auf dem Südatlantik im attraktiven Segment der Luxusschifffahrt zu etablieren. Der Schnelldampfer mit den drei rotrandigen Schornsteinen wurde, mehr noch als die ältere Cap Polonio, zum Lieblingsschiff der Superreichen aus Argentinien, Brasilien und Chile, meist Angehörigen von Familien, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu riesigen Ländereien kamen und sich durch die Produktion von Fleisch, Leder, Getreide oder Kaffee schier unermessliche Vermögen aneigneten. Von Carlos Bielefeld, seinem deutschchilenischen Gesprächspartner, der mit seinem Vater acht Monate lang die USA und Europa bereiste, versucht Albert Köhler die Größenordnung des Budgets zu erfahren, das Vater und Sohn für die Reise zur Verfügung stand: «Geben Sie mir doch einen Maßstab, das interessiert den deutschen Leser – ich denke so 50 000 Mark!» Bielefeld winkt ab: «Oh nein, das reicht bei weitem nicht!» Zuhanden seiner Leserschaft in Deutschland, wo Angestellte oder Arbeiter mit einem Monatslohn von rund hundert bis zweihundert Mark auskommen müssen, schätzt der Reporter das Reisebudget der beiden Chilenen schließlich auf eine halbe Million Mark.

      «Hier an Bord», fährt Köhler fort, «sind Familien, die jährlich im April/Mai, wenn dort der Winter und bei uns der Sommer beginnt, mit Kind und Kegel nach Europa fahren und den ganzen Sommer über durch die besten Hotels, Kabarets und Spielsäle gondeln: die aber auch der Alten Welt alles Gute ablauschen und vermöge ihres Geldes zu Hause noch vollkommener anwenden und somit Ursache des gewaltigen Aufstieges Südamerikas werden.» In Paris, dem bevorzugten Aufenthaltsort der argentinischen Oberschicht, entstand damals die Redewendung «riche comme un Argentin». Die argentinischen Familien stiegen in den teuersten europäischen Hotels ab, falls sie nicht ohnehin Sommersitze in Frankreich besaßen. Im Stadtzentrum von Buenos Aires bauten sie sich Paläste im französischen Stil und 1908 das Teatro Colón, das als eines der besten Opernhäuser gilt und bis heute Weltstars nach Argentinien lockt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg gründete das Londoner Kaufhaus Harrods in der argentinischen Hauptstadt seine einzige Filiale im Ausland. Die Millionärsfamilien steckten ihre Kinder in europäische Schulen, heirateten in den französischen Adel, aßen in Paris bei Maxim’s, besorgten sich Uhren bei Cartier und Kleider bei Coco Chanel. Einige der Argentinierinnen brachten in riesigen Schrankkoffern vom Pariser Herbstausverkauf «fünfzig Kleider mit passenden Hüten, dreißig Paar Schuhe und hundert Paar Strümpfchen» übers Meer, um die Ware «dann als ‹dernier cri de Paris› an Tanten und Nichten und Freundinnen und Basen bis ins siebenundzwanzigste Glied zu versilbern und die ganzen Reisekosten auf diese Art herauszuschlagen».

      Zu den reichsten Familien der argentinischen Belle Epoque – die in Südamerika bis in die späten zwanziger Jahre anhielt und nicht wie in Europa mit dem Ersten Weltkrieg endete – zählten die Álzaga, die stolz auf Martín de Álzaga zurückblickten, der als Verteidiger von Buenos Aires in den Jahren nach 1800 eine entscheidende Rolle bei der Loslösung vom spanischen Mutterland spielte. Als die argentinische Regierung im Verlauf des 19. Jahrhunderts im Hinterland (ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung) in mehreren Schüben große Flächen zum Kauf anbot, langten die Álzaga kräftig zu. In den goldenen 1920er Jahren jedoch kümmerten sich viele Vertreter der argentinischen High Society weniger um die Erhaltung oder gar Vermehrung des Familienvermögens, sondern verschwendeten das reiche Erbe durch ihren aufwendigen und extravaganten Lebensstil, so auch Martín Máximo Pablo de Álzaga Unzué, der sich bei der Jungfernfahrt an Bord der Cap Arcona befand. Die Mutter des 1901 geborenen Martín, der von klein auf allgemein Macoco genannt wurde, stammte aus der ebenfalls steinreichen Familie der Unzué. Macoco interessierte sich für schnelle Autos und schöne Frauen. Er fuhr mit Wagen der Marken Bugatti und Sunbeam Rennen in Europa, Süd- und Nordamerika, gewann als Zwanzigjähriger einen ersten internationalen Wettbewerb in Uruguay und 1924 mit einem Start-Ziel-Sieg den Grand Prix von Marseilles. Er kannte alles, was Rang und Namen hatte, dinierte in Paris mit Sarah Bernhardt, war mit dem argentinischen Staatspräsidenten Alvear befreundet, der der Cap Arcona bei ihrer ersten Ankunft in Buenos Aires einen Besuch abstattete, und lernte in den USA, wo er sich ebenfalls gerne aufhielt, über einen argentinischen Schwergewichtsboxer Al Capone kennen. 1925 eröffnete der Argentinier mit einem italoamerikanischen Partner in New York den Bath Club, eines der zahlreichen Lokale, die trotz Prohibition Alkohol ausschenkten. Als sich die Besitzer weigerten, einen Lieferanten alkoholischer Getränke von zweifelhafter Qualität zu berücksichtigen, wurde der Bath Club von einer Bande von Gangstern kurz und klein geschlagen. De Álzaga soll F. Scott Fitzgerald als Vorbild für den Great Gatsby im 1925 veröffentlichten Roman gedient haben, ein Gerücht, das der 1982 in Buenos Aires verstorbene Macoco später in Interviews mit einem Lächeln zu quittieren pflegte.

      Den Sommer verbrachte der weitherum als Playboy und Latin Lover bekannte Macoco, dem Affären mit ziemlich allen damals weltberühmten Filmschauspielerinnen nachgesagt wurden, gerne in Biarritz am Golf von Biskaya. Im Golf Club lernte er dort die Amerikanerin Gwendolyn Robinson kennen. 1925 heirateten die beiden, im Sommer des folgenden Jahres gebar Gwendolyn in Paris die Tochter Sara Ángela de Álzaga Unzué Robinson, genannt Sally. Gwendolyn und die gut einjährige Sally finden sich wie Macoco bei der ersten Überquerung des Atlantiks im Spätjahr 1927 auf der Passagierliste der Cap Arcona (Martín de Álzaga Unzué allerdings mit einer falschen Altersangabe).

      Längst nicht alle der südamerikanischen Gäste waren so exzentrisch wie Macoco, der auch mal im Auto direkt via Schaufenster in ein Geschäft fuhr, statt durch die Tür einzutreten. Der deutsche Reporter nennt unter den Passagieren der ersten Fahrt unter anderen «Frau De Voto, die reichste Großgrundbesitzerin Südamerikas», den argentinischen Außenminister und einen Ex-Präsidenten von Uruguay, weiter Norberto Láinez, den Besitzer der Zeitung El Diario, und Eduardo Alemann, dessen Familie das deutsche, liberal-demokratische Argentinische Tageblatt gründete (und bis heute als Wochenzeitung weiterführt), das als Gegengewicht zur größeren Deutschen La Plata Zeitung auch in den folgenden Jahren nie von seinem antifaschistischen Standpunkt abrücken sollte.

      Der noblen Kundschaft des Passagierdampfers musste etwas geboten werden. «Das Leben an Bord», erinnert sich Kapitän Ernst Rolin, «setzte sich aus einer Reihe strahlender Festlichkeiten zusammen, die sich eigentlich nur mit den Märchen aus Tausendundeiner Nacht vergleichen ließen.» Gemeinschaftsräume, Zimmer und Wohnungen der für 575 Passagiere eingerichteten I. Klasse stellten den Palast für dieses Märchen dar.

      Dank zahlreicher Beschreibungen und Photografien kann man sich noch Jahrzehnte nach dem Untergang der Cap Arcona ein gutes Bild von den Räumen der I. Klasse machen, die auch auf Ansichtskarten verewigt wurden. Von den Räumen der II. Klasse, die 275 Personen aufnehmen konnte, und besonders von denjenigen der maximal 465 Passagiere III. Klasse liegt nur wenig Bildmaterial vor, auch schriftliche Quellen fehlen weitgehend, das Gleiche gilt für Räumlichkeiten und Kabinen der insgesamt 630 Personen umfassenden Besatzung.

      Die Räume der II. Klasse lagen im Hinterschiff, am Heck befand sich auch das Deck, wo sich die Passagiere der II. Klasse ins Freie begeben konnten. In den Kammern schliefen die Passagiere der II. Klasse in zwei übereinandergestellten Betten. «Alle Waschtische haben fließendes Waser», heißt es in der Beschreibung der II.-Klasse-Kabinen im anlässlich der Jungfernfahrt erschienenen Bericht der Zeitschrift Werft Reederei Hafen. Im geräumigen, aber nicht sehr hohen Speisesaal der II. Klasse aßen die Passagiere an runden, mit weißen Tüchern gedeckten Tischen, weiter verfügten die Fahrgäste über einen Rauchsalon und einen Gesellschaftssalon mit Altarschrein, da «die bescheidene Geistlichkeit meistens im ‹zweiten Dampf› fährt», wie Albert Köhler festhält: «Die 2. Klasse besitzt einen massiven Altar aus kostbaren Edelhölzern, den Bischof Johannes von Münster unter sechzig Geladenen feierlich eingeweiht hat.»

      Die III. Klasse wird von Köhler gerade einmal im Zusammenhang mit der Blumeninsel vor Rio erwähnt, die eine ähnliche Funktion hatte wie Ellis Island vor New York: «Wir sehen vor uns auch die ‹Insel der Blumen›», schreibt er angesichts der Ilha das Flores, der «Quarantänestation für Einwanderer nach Brasilien. Sie alle müssen hier erst einige Tage den Segen der brasilianischen Kontrolle auf Papiere und Gesundheit genießen. Jeder Drittklass-Passagier hat das Vergnügen,


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