Cap Arcona 1927-1945. Stefan Ineichen

Cap Arcona 1927-1945 - Stefan Ineichen


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dachte einen Augenblick an einen Meteor. Mit einem Mal formten sich aus den Lichtzeichen Morsebuchstaben: ‹Hier Graf Zeppelin.› Da klingelte auch schon die Funkstation: ‹Wir haben Verbindung mit dem Luftschiff!› Der Scheinwerfer war klar und leuchtete hinauf. Da zog er hin, der schlanke, silberne Leib. Rote und grüne Lichter an den Seiten. Wieder gab er Morsezeichen: ‹Gute Fahrt, Cap Arcona! Gruß dem Commodore!› Das war Eckeners Gruß, den ich ein Jahr vorher nach Buenos Aires gebracht hatte. Dann verschwand der riesige Vogel im Dunst der Nacht.»

      Der Schnelldampfer Cap Arcona, dessen Scheinwerfer im Herbst 1928 im Nachthimmel über der Nordsee den silbernen Leib des Luftschiffs abtastete, war auf dem Weg von Hamburg nach Brasilien und Buenos Aires, während sich der eben erst in Dienst genommene Graf Zeppelin auf einer anderthalbtägigen Testfahrt befand, die von Friedrichshafen am Bodensee über ganz Deutschland bis an die Nordsee führte. Es war kein Zufall, dass Kommandant Hugo Eckener im Jahr zuvor mit Ernst Rolin, der als ranghöchster Kapitän der Hamburg-Süd den Titel Commodore trug, den Südatlantik überquert hatte: Eckener, einst ein enger Mitarbeiter von Ferdinand Graf von Zeppelin und nach dessen Tod im Jahr 1917 Kopf und treibende Kraft des Zeppelin-Konzerns, bereitete die Einrichtung eines transatlantischen Liniendienstes vor.

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      «Hamburg. Cap Arcona vor der Ausreise bei Nacht». Im Vordergrund die U-Bahnlinie zwischen den Stationen Baumwall und Landungsbrücken.

      Wenige Jahre später, 1931, nahm Graf Zeppelin den regelmäßigen Passagierverkehr nach Südamerika auf, von Friedrichshafen – später auch von Frankfurt – meist nonstop nach Pernambuco und weiter nach Rio de Janeiro. «Wir wischen uns die schweißnasse Stirn», berichtet der Korrespondent des Berliner Tageblatts Heinrich E. Jacob 1932 nach seiner Ankunft in Pernambuco. «Ja, ist das denn alles Wirklichkeit? Wir waren am Sonntag in Friedrichshafen, noch schmecken unsere Augen den Schnee. In der Nacht zum Montag fuhren wir ab – wir können doch nicht am Mittwochnachmittag, achtundsechzig Stunden später, plötzlich in Brasilien sein? Aber wir sind es – und wundern uns sehr. Und da wir jetzt herausklettern dürfen und diese Hochsommerwiese streicheln, klettert Eckener als Erster heraus. Ach, wie diese Wiese duftet. – Bom dia!»

      Eckener und seine Mitarbeiter betrieben eine effiziente Medien- und Öffentlichkeitsarbeit und luden immer wieder renommierte Journalisten und Schriftsteller ein, die über die Luftschifffahrten der weltweit führenden Firma berichteten. Hermann Hesse unternahm schon vor dem Ersten Weltkrieg eine Spazierfahrt in der Luft. Arthur Koestler «schwirrt» in den frühen dreißiger Jahren im «silbernen Pfeil» in wenigen hundert Metern Höhe über Länder und Meere «hinweg» – «der große Globus drehte sich da unten wie der kleine in der Schule, wenn ihn der Finger des Lehrers in Rotation versetzt. Wälder, Flüsse, Wogen, Städte tauchten auf und versanken, kreisend und fliehend, über den Rand des Horizonts. Begeisterte Menschen und flüchtende Tiere, heulende Sirenen von Dampfern und Fabriken folgten als gleichmäßiges Echo, wo unser Schatten über die Erde zog.»

      Während der Fahrt über den Atlantik lehnten sich die Passagiere des Luftschiffs über die schräg nach unten geneigten Fenster des Aufenthalts- und Speiseraums der Gondel, die, aus der Ferne kaum sichtbar, weit vorne am Bauch des gut 236 Meter langen Fahrzeugs angebracht war, und betrachteten das Meer, das in der Mondnacht – in den Worten Jacobs – «wie getriebenes Silber» unter ihnen lag, in der Frühsonne gleißte «wie schwarzer Stahl», sich später in «siebenerlei verschiedenem Grün» zeigte und bei hohem Seegang bekrönte «mit zornigem Schaum. Zwei Dampfer taumeln bergauf, bergab.»

      Die Dampfer, die die Passagiere zwischen Europa und Südamerika aus den Fenstern des Graf Zeppelin beobachteten, verfolgten oft eine ähnliche Route wie das Luftschiff: eine möglichst direkte Linie von der Iberischen Halbinsel an den Kanarischen und den Kapverdischen Inseln vorbei nach Pernambuco, wo der südamerikanische Kontinent am weitesten ostwärts in den Atlantik ragt. Schnelldampfer wie die Cap Arcona schlugen einen Kurs weiter südlich ein, um die brasilianische Küste auf der Höhe von Rio zu erreichen. Während Graf Zeppelin bis 1936, als auch die Hindenburg einzelne Fahrten auf der Südamerikalinie übernahm, das einzige Fahrzeug auf dem Luftweg blieb, tummelten sich auf dem Wasserweg viele Schiffe zahlreicher Reedereien verschiedener Herkunft. Auch auf dem Südatlantik dominierten britische Schifffahrtsunternehmen, in einigem Abstand gefolgt von französischen und deutschen Linien, unter denen wiederum die Hamburg-Süd als ganz auf die Südamerikaroute spezialisierte Reederei den größten Marktanteil hatte.

      Vielleicht haben die Luftschiffpassagiere bei ihrem Flug über den Globus die winzige Cap Arcona auf der weiten Wasserfläche entdeckt, nachdem ihr Blick der viele Kilometer langen Spur des Kielwassers in der Breite des Dampfers gefolgt war, die die 206 Meter lange «Königin des Südatlantik» bei ruhiger See wie eine Schleppe nach sich zog. Aus geringerer Distanz waren auch die weiß schäumenden Bugwellen auszumachen, die sich wie bei allen Schiffen beidseitig in einem Winkel von knapp 20° abspreizten und in der Entfernung meist schnell verloren, und bei guter Sicht bald auch ein weiß gestrichener Streifen, der die Oberkante des schwarzen Schiffsrumpfs der Cap Arcona begrenzte, im Mittelteil überragt von einem Deckaufbau, der drei Schornsteine trug. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass nur aus den vorderen beiden Rauchwolken entwichen – der hinterste Schornstein war wie bei der Titanic und andern Überseedampfern eine Attrappe. Die Schornsteine der Cap Arcona waren im untern Teil weiß und im obersten Drittel rot bemalt: Weiße Schornsteine mit roten Topps waren schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg zum Merkmal der Hamburg-Süd-Dampfer geworden. Hinter den «Zigaretten-Schornsteinen» schloss sich auf dem Oberdeck ein Sportplatz in der Größe eines Tennisfeldes an. Wenn sich das Luftschiff dem Dampfer näherte, versammelten sich die Passagiere auf dem Sportdeck, kletterten auf die Abschrankung des Tennisplatzes, winkten und schwenkten ihre Hüte. Die Begegnung mit einem Zeppelin auf dem offenen Meer bedeutete für die Fahrgäste des Schnelldampfers während der neuntägigen Überfahrt zwischen Lissabon und Rio eine willkommene Abwechslung. «Begegnungen mit Seeschiffen waren für beide Seiten stets erfreulich», stellt Hans von Schiller, langjähriger Kommandant des Graf Zeppelin, fest. «Die Dampfer, die tagelang nur See und Wolken kannten, wandten sich oft mit der Bitte um Besuch an den Zeppelin, wenn er in der Nähe war. Das geschah in rauher Seemannsart oft in einem Neckton. So sandte uns die Cap Arcona, eines der schönsten Schiffe auf dem Südatlantik, einmal den Funkspruch: ‹Tausend schöne Augen warten auf den Anblick Ihres schönen Schiffes.› Ein andermal aber, als sie wegen der schlechten Konjunktur in Südamerika nur wenige Passagiere an Bord hatte, wir aber ausverkauft waren, telegraphierte sie: ‹Sammeln für Luftschiffabwehrgeschütz!› Wir antworteten: ‹Nicht schießen, gute Leute stop anbieten Friedenspfeife, da bei uns sowieso Nichtraucher.›»

      Auch andere Schiffe der Hamburg-Süd lockten den Graf Zeppelin in ihre Nähe: «Eines Sonntagmorgens begegnete wir zwischen Bahia und Rio dem nach Süden fahrenden Dampfer Monte Rosa», erinnert sich Hans von Schiller. «Von ihm erhielten wir folgenden Funkspruch: ‹K. an K. (Kapitän an Kapitän): Anbiete Ihnen Flasche Sekt auf Flaggenknopf hinteren Mastes. Bitte Anweisung über Manöver.› Unsere Antwort lautete: ‹Einverstanden, vorausgesetzt, dass gute Marke stop jedoch nicht hinterer Mast, sondern achtern, neben Flaggenstock bereithalten stop Kurs gegen Wind, laufe von achtern auf.›»

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      Cap Arcona an der Überseebrücke im Hamburger Hafen, rechts unten im Bild Areal der Deutschen Werft. Der Hamburg-Süd-Dampfer wurde 1927 in der benachbarten Werft Blohm & Voss gebaut.

      Die deutschen Urlauber, die 1936 auf der Monte Rosa – eigentlich ein Motorschiff und kein Dampfer – unterwegs waren, freuten sich: «Bei hellem Sonnenschein eine Begegnung mit einem unserer Luftschiffe, das war das Höchste, was wir an außerordentlichen Überraschungen auf dieser Reise wohl erwarten durften», hält einer der Teilnehmer der Kreuzfahrt nach Afrika und Brasilien fest. Die Passagiere des 152 Meter langen Zweischornsteinschiffs erfuhren vom bevorstehenden Ereignis, noch bevor die Sektflasche neben dem Flaggenstock am Heck bereitgehalten wurde: «Wie elektrisiert stürzte alles an Bord auf Deck, möglichst zu den höchsten Stellen, die uns zu betreten gestattet sind, um ja den besten Blickpunkt für ein solches Ereignis zu erwischen. Manche erkletterten die Aufbauten des Schiffes, oder


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