Cap Arcona 1927-1945. Stefan Ineichen

Cap Arcona 1927-1945 - Stefan Ineichen


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wird backbord achtern der Horizont eifrig abgesucht. Der Zeppelin ist schon in Sicht. Als kleiner, dunkler Punkt kann man ihn wahrnehmen, der schneller und schneller sich vergrößert und sicheren Kurs auf unser Passagierschiff nimmt. Nun werden auch die Konturen des Luftschiffs deutlich. Wohl kaum noch tausend Meter trennen uns noch von dem gewaltigen Luftschiff. Man meint unwillkürlich, dass es seine Fahrtgeschwindigkeit schon wesentlich verlangsamt hat. Überall treten jetzt die Apparate in Tätigkeit, unzählige Aufnahmen werden gemacht, und, ohne dass man es sonderlich merkt, steht das Luftschiff über unserer Monte Rosa. Die Begeisterung kennt keine Grenzen. Rufen und Winken vom Dampfer zum Luftschiff und von diesem, wo an allen Fenstern die Passagiere sichtbar werden, zu unserem Schiff herab.

      Inzwischen ist der Zeppelin schätzungsweise auf eine Höhe von 30 Metern über unser Schiff hinuntergekommen. Drei von den fünf Motoren sind abgestoppt, um in gleicher Geschwindigkeit über uns bleiben zu können und das Manöver des Hochholens der Schaumweinflasche sicher durchzuführen.

      Unten auf dem Deck ertönt die Schiffsmusik, spielt die Nationalhymne, in die die Passagiere begeistert einstimmen. Vom Fenster der Führergondel ist eine Leine herabgelassen, die schon nach kurzen Versuchen von den beiden Matrosen am Mast ergriffen wird, um den Flaschengruß der Monte Rosa zum Luftschiff zu senden. Umflattert von einem Wimpel sieht man plötzlich den Flaschengruß hochgehoben und Kurs auf die Führergondel nehmen, wo er bald darauf durch ein Fenster glücklich eingezogen wird. Nochmals ein Winken von der Führergondel als Dank an unseren Kapitän, dann setzen alle Motoren in voller Kraft wieder ein und mit einem dreimaligen Sirenengruß unseres Schiffes nimmt nun der Graf Zeppelin Abschied von uns. Nun erst zeigt sich die gewaltige Geschwindigkeit. Ungehemmt zieht er im Äther davon, seinem Ziele entgegen. Alle bleiben noch wie gebannt stehen und sehen ihm nach, bis er schnell in Richtung Rio de Janeiro am Horizont verschwunden ist.»

      Das Schiffsorchester intoniert die Nationalhymne beim Zusammentreffen mit Graf Zeppelin, der vom deutschen Urlauber als «unser Luftschiff» bezeichnet wird: Zeppeline waren nicht bloß einzigartige Verkehrsmittel, die in einer bisher unerreichten Geschwindigkeit fünfundzwanzig Passagiere von Europa nach Südamerika bringen konnten, sondern verkörperten – besonders in den späten zwanziger Jahren – Deutschlands Nationalstolz.

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      Cap Arcona, Luftbild. Auf dem Oberdeck achtern der Tennisplatz, darunter befindet sich der Speisesaal I. Klasse. Auf dem Salondeck schließen sich im Aufbau mittschiffs die weiteren Gesellschaftsräume an:Halle, Festsaal und zuvorderst Rauchsalon.

      Durch den Ersten Weltkrieg war Deutschland in eine desolate Lage geraten. Im Versailler Vertrag wurde im Januar 1919 die Kriegsschuld Deutschlands und seiner Verbündeten festgeschrieben und damit die Verpflichtung, als Urheber für Verluste und Schäden aufzukommen, die die Kriegsgegner erlitten hatten. Die Reparationszahlungen trugen dazu bei, dass das durch die Aufnahme von Kriegsanleihen ohnehin hochverschuldete Deutschland wirtschaftlich nicht vom Fleck kam und in die Spirale der Hyperinflation geriet, die etwa das Porto für einen Inlandbrief von Ende Juni 1923 bis Mitte November des gleichen Jahres von hundert Mark auf zehn Milliarden Mark anwachsen ließ. Deutschland hatte durch die internationalen Verträge in der Folge des Ersten Weltkriegs nicht nur seine Kolonien, sondern auch mehr als einen Achtel des nationalen Gebiets verloren, darunter Westpreußen und Posen an Polen und Elsass-Lothringen an Frankreich. Damit gingen auch drei Viertel der förderträchtigen Eisenerz- und ein Viertel der Steinkohlelager verloren. Im Westen des Landes waren im Moselgebiet und über den Rhein hinaus bis weit über die Mitte der zwanziger Jahre alliierte Besatzungstruppen stationiert, zudem waren französische Truppen mit belgischer und italienischer Unterstützung 1923 ins Ruhrgebiet einmarschiert, nachdem Deutschland mit Kohle- und Holzlieferungen im Rahmen der Reparationszahlungen in Rückstand geraten war. Deutschland galt in den Nachkriegsjahren als nicht in die Völkergemeinschaft integrierbarer Schurkenstaat, durfte weder 1920 noch 1924 an den Olympischen Spielen teilnehmen und wurde erst 1926 in den Völkerbund aufgenommen.

      Weite Teile der deutschen Bevölkerung empfanden die Behandlung ihres Landes als ungerecht. Viele Deutsche verstanden sich weit eher als Mitglied einer auf sich gestellten Volksgemeinschaft denn als Teil einer weltumspannenden Völkergemeinschaft. Sie sahen sich als Opfer der Geschichte, lehnten die Verantwortung für die Katastrophe des Weltkriegs ab und waren der Meinung, dass das tapfere, unbesiegbare deutsche Heer seine Niederlage einer hinterrücks erfolgten Attacke durch Sozialisten und Juden zu verdanken hätte. Auch nach Kriegsende verharrten die Kriegsgegner – besonders Deutschland und Frankreich, das sich ebenfalls lange unversöhnlich zeigte – in politischen Schützengräben.

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      Deutsche Wunderwaffen des Ersten Weltkriegs, kommentiert auf der Rückseite der Ansichtskarte: «Der unbeschränkte U-Bootkrieg. Unsere U-Boote und Zeppeline sichten die englische Küste.»

      Ressentiments gegen Frankreich blitzen auch in der Reporterfahrt ins neue Südamerika wiederholt auf, die der Reisejournalist Albert Köhler nach der Jungfernfahrt der Cap Arcona veröffentlichte: «In der Bucht wird gestoppt, der Hafen ist zur Einfahrt zu miserabel. Frankreich hat nur Geld für sein Heer, nicht für seine Häfen. Die Schifffahrt mag verrecken, wenn nur der Säbel klirrt», kommentiert Köhler die Annäherung an Boulogne-sur-Mer, den ersten Hafen, den die Cap Arcona auf ihrer Fahrt nach Südamerika anlief. Zwei kleine französische Dampfer näherten sich dem großen deutschen Schiff, um Passagiere und Fracht vom und zum Festland zu bringen. «Ein paar Jungen verwinden es nicht, mit höllischer Freude oben vom Promenadendeck herab in die Schornsteine der Franzosen zu spucken. Ich weise sie zurecht, aber sie behaupten: ‹Bei uns an der Mosel haben sie uns auch bespuckt!› – Lange liegen wir vor Boulogne. Das scheint mir fast die Absicht der Hafenbehörde, damit die Cap Arcona die Rekordfahrt in 15 Tagen bis Buenos Aires nicht leisten könne.»

      Der Welterfolg von Eckeners Zeppelinen war Balsam für Deutschlands wunde Seele. Im Ersten Weltkrieg hatten die nun bejubelten deutschen Starrluftschiffe noch als Inbegriff heimtückischer und perfider Waffen gegolten, vergleichbar nur mit U-Booten. Deutsche Militärluftschiffe griffen besonders in den ersten Kriegsjahren zivile Ziele jenseits der Frontlinien an, bombardierten Warschau, Antwerpen, Paris und London, kombinierten schon bald Sprengbomben, die brennbare Gebäudeteile freilegen und Rettungseinsätze behindern sollten, mit Brandbomben, entwickelten also, wenn auch in vergleichsweise bescheidenem Ausmaß, die im Zweiten Weltkrieg angewandten, verheerenden Methoden des «moral bombing»: «Ich kann mir keinen schöneren Moment vorstellen, als wenn die erste 300-Kilo-Bombe unten angelangt mit einem enormen Krachen detoniert, so dass selbst das mehrere tausend Meter hohe Schiff erschüttert wird», heißt es im Bericht eines Luftschiff-Offiziers, der Einsätze über England flog.

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      Der Flug des Graf Zeppelin rund um den Erdball machte Hugo Eckener weltberühmt. Beim fahrplanmäßigen Verkehr auf der Südamerikaroute begegnete das schnelle Luftschiff immer wieder der Cap Arcona.

      Nach dem Krieg mussten nicht nur die verbliebenen Militärluftschiffe an die Alliierten abgegeben werden, sondern auch die beiden Passagierluftschiffe, die im Liniendienst auf der Strecke Friedrichshafen–München–Berlin eingesetzt wurden. Da Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren keine motorisierten Flugzeuge und Luftschiffe bauen durfte, war die Luftschiffbau Zeppelin GmbH lahmgelegt, zudem sollten die Friedrichshafener Luftschiffhallen abgebrochen werden. Hugo Eckener gelang es nun, den Luftschiffbau weiterzuführen, indem er vorschlug, einen Teil der Reparationsleistungen an die USA durch die Lieferung eines Luftschiffs abzudecken. Die USA willigten unter der Bedingung ein, dass das «Reparationsluftschiff» frei Haus nach Amerika geliefert werden konnte. Eckener brachte den zweihundert Meter langen Zeppelin Mitte Oktober 1924 über das Meer nach Lakehurst. «Möge er», wünscht sich der Luftschiffer Anton Wittemann, der Eckener auf dem einundachtzigstündigen Transatlantikflug begleitete, «als aufrichtiger Sendbote deutschen Friedensbeweises, durch seine schnelle Verbindung zwischen der Alten und der Neuen Welt dazu beitragen, die Schranken zwischen den beiden Völkern niederzureißen und einander durch gegenseitiges Vertrauen näherbringen. Möge es dem deutschen Volke, das durch sein unerreichbares


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