Cap Arcona 1927-1945. Stefan Ineichen

Cap Arcona 1927-1945 - Stefan Ineichen


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Europa des Norddeutschen Lloyds auf der Nordatlantikroute oder gar die 1930 in Dienst genommene L’Atlantique der Compagnie de Navigation Sud-Atlantique wirken wesentlich moderner. Die Art-déco-Dampfer liefen allerdings Gefahr, in ihren monumentalen Räumen eine unpersönliche, ungemütliche Stimmung zu evozieren, die an die Gotham-City-Architektur der Batman-Welt erinnert.

      Tagsüber hielten sich die Passagiere der Cap Arcona oft im Freien auf, trieben Sport, schauten den Sporttreibenden zu oder lagen in Liegestühlen auf dem mit Teakholz belegten Promenadendeck, dessen Geländer nur neunzig Zentimeter hoch war, damit die Gäste vom Liegestuhl aus das Meer und den Horizont betrachten konnten – aus Sicherheitsgründen trug das Geländer eine schmale Teakleiste auf Stützen. Unterhalb des Salondecks befanden sich Friseursalons, Buchhandlung und Souvenirladen. Außerhalb der regulären Essenszeiten – die Speisefolgen der I. Klasse waren natürlich opulent, und auch die II. und die III. Klasse wurde ausgiebig verpflegt – konnten das Promenadenkaffee oder die Bar im Rauchsalon aufgesucht werden, gelegentlich versammelten sich Millionäre und Arbeiter, wie sich der Reiseschriftsteller ausdrückt, auf dem Deck, um johlend und winkend ein in Gegenrichtung kreuzendes, ebenfalls von Millionären und Arbeitern bevölkertes Schiff zu begrüßen, begleitet vom Geheul der Schiffssirenen und nachts von knallendem Feuerwerk.

      In günstigen Klimazonen fand auch die abendliche Unterhaltung im Freien statt. Auf dem Sportdeck wurden die Passagiere, die zum ersten Mal den Äquator überquerten, von einem als Neptun kostümierten Bootsmann und zwei «schwarzgefärbt als Neger» verkleideten Matrosen in ein Salzwasserbecken getaucht und auf einen Namen wie Seeadler, Möwe, Meernixe, Haifisch oder Walross getauft. Beim anschließenden Kostümfest glaubte sich Köhler im Speisesaal «in eine wahre Märchenwelt versetzt. Sämtliche 200 Tische sind durch Girlanden verbunden, dazwischen Tausende von Kunstrosen, in denen eine elektrische Birne brennt. So ist der Saal ein einziges feuriges Rosenmeer. Auf jedem Tisch eine prächtige riesige Seidenlampe. Zu jedem Gedeck eine Karnevalsmütze und ein Seidenfächer sowie eine prächtige Speisenkarte auf Bütten.»

      Beim Äquator-Maskenball zeigte sich Kapitän Rolin mit schwarz geschminktem Gesicht und Turban, umgeben von Frauen in mexikanischen und Schweizer Trachten oder Matrosenkostümen und von Männern in Frauenkleidern. Bei der Prämierung der Kostüme erhielt ein als Kammerzofe verkleideter Unterstaatssekretär den ersten Preis in Form einer goldenen Uhr im Wert von sechshundert Mark. In der Nacht des Maskenballs, stellte Köhler am folgenden Morgen fest, wollte ein betrunkener kostümierter Bursche aus einer südamerikanischen Millionärsfamilie «zunächst das Klavier, das man zu frohem Tanz auf das luftige Promenadendeck gerollt hatte, über Bord werfen» und zerstörte dann einen der acht Bronzekandelaber im Rauchsalon, indem er am bronzenen Beleuchtungskörper Klimmzüge auszuführen versuchte. Sein Vater lachte, zückte das Scheckbuch und beglich den Preis für den Kandelaber (viertausend Mark).

      Märchenhaft und filmreif wirkten für den deutschen Reisejournalisten insbesondere die Abende im «feenhaft erleuchteten Festsaal», wo das sechsköpfige Orchester aus einem Hamburger Nobelhotel, «Jazzisten mit Negerrhythmik», um 22 Uhr zum Tanz aufspielte. «Um den spiegelglatten Parkettboden stehen in tiefen Teppichen Rauchtische, Sektkübel und Ziermöbel im Stil Louis Quinze. Dazwischen Klubsessel und Plüschsofas», berichtet Köhler. «Wenn ein prächtiger Strauß-Walzer wimmert, tanzen nur die Deutschen. Das Tanzalphabet der Südamerikaner enthält nur Tänze, die das Tempo der austrampenden Pferde und schiebenden Dampfwalzen vertragen.» Der Reporter beobachtet die «Herren, ausstaffiert in schwarz-weißer Gesellschaftskluft», vor allem aber die Damen: «Nicht die löbliche männliche Einheitlichkeit in Farbe und Form. Nein, ein Kunterbunt in Farbe, Form und Stoff, Schuhwerk und ich glaube, auch in Wäsche. Das deutet ein diskreter Windstoß durchs offene Fenster mitunter an. Und mehr begehre ich nimmer zu schauen», versichert er. «Die Kleider vertreten sämtlich die schöne internationale Tendenz: In der Kürze liegt die Würze.»

      Der Garderobe widmen die Frauen der I. Klasse offenbar große Aufmerksamkeit: «Selbstverständlich zieht sich die Dame von Welt wenigstens dreimal täglich um, zu jedem Kleid passende Schuhe und Hut.» Im Damenfriseursalon lässt sich noch das eine oder andere zusätzliche Kleidungsstück kaufen – dort «schmunzeln natürlich auch noch BembergStrümpfe und Crêpe-de-Chine-Hemdchen aus den Glasschränkchen.»

      Die Wuppertaler Firma Bemberg machte in den späten zwanziger Jahren mit einer Photografie der langbeinigen Marlene Dietrich für ihre neuartigen Kunstseidenstrümpfe Werbung – «Ich trage nur Bemberg-Strümpfe». Andere ganzseitige Anzeigen des Strumpfherstellers in deutschen Illustrierten demonstrierten, wie die moderne Frau der goldenen zwanziger Jahre ihre Beine in allen Lebenslagen vorteilhaft mit Bemberg-Strümpfen in Szene setzt: als Bürokraft an der Schreibmaschine, als Zahnarztgehilfin vor dem Patienten, auf dem Tennisplatz oder mit Freundin liegend und kniend beim Picknick im Freien (begleitet vom portablen Koffergrammophon), als Varieté-Girl auf der Bühne, beim Tanz mit dem Tangopartner und schließlich als junge Mutter hinter dem großrädrigen Kinderwagen.

      In einer weiteren ganzseitigen Anzeige mit der Überschrift Der Weg zum Glück durch Bemberg-Strümpfe zeigte eine Bildergeschichte, in der von den dargestellten Menschen nur die Beine zu sehen sind, wie weite männliche Faltenhosen mit Aufschlag über schwarzweißen Lederschuhen kunstseidene Beine in Schuhen mit hohen Absätzen verfolgen, wie sich Männerhosen und Frauenbeine näher kommen, dann vor dem Traualtar knien, die Fahrt in die Geburtsklinik antreten und wie die Bemberg-Beine schließlich alleine, auf dem Weg zum Glück offenbar am Ziel angelangt, einem Kinderwagen folgen.

      Was für die urbane deutsche Frau galt, die sich Kunstseidenstrümpfe und modische Spangenschuhe leisten konnte, galt nach Beobachtung des reisenden Reporters auch für die brasilianischen Frauen: «Nirgends mehr als in Südamerika stimmt das Wort: Kleider machen Leute! Die Eleganz der Frau ist der Kredit-Barometer des Mannes; er selbst mag ruhig dreimal seinen Anzug wenden lassen. – Auch die gnädigen Damen der schwarzen und gelben Rasse in Rio, die sehr stark vertreten sind, zeigen die gleiche Tendenz. Auch sie in Bubikopf, Seidenstrümpfchen und Röckchen.»

      Besonders die vermögenden Südamerikanerinnen orientierten sich an der Pariser Mode: «Vorbild der feinen Südamerikanerin ist ihre geistige Hauptstadt Paris. Aber solche Vollkommenheit sah ich in Paris nur vereinzelt. Diese Imitation wirkt weit besser als das Original.» Eingehüllt in Schwaden von französischem Parfüm stellt Köhler auf dem Atlantik im Festsaal der Cap Arcona fest: «So tanzen um mich herum nur Pariser Modelle. Natürlich alles Bubikopf», traditionelle Frisuren findet er kaum: «Nur ein Gretchen unter 300 Damen hat ihre Mähne vor der Schere gerettet.»

      Die Südamerikanerinnen glichen den letzten Stummfilmstars der goldenen zwanziger Jahre: «großglänzende» Augen, «Lider und Brauen schwarz nachgezogen bis fast zur Schläfe. Lippen in Form eines plattfüßigen Herzchens blutrot gemalt. Alles künstlich, nicht immer künstlerisch. Der Modeschuh ist glanzsilber glatt oder passend zum Kleid.» Die Frau der Luxusklasse der Cap Arcona hantierte gekonnt mit dem «Lippenstift, den sie reichlich oft und graziös in Funktion setzt: vor dem Essen, nach dem Essen, im Gespräch, am Klavier, beim Tennis, beim Schwimmen». Sie präsentierte sich reich dekoriert: «Man behängt sich förmlich mit Kolliers, Ringen, Armreifen und Perlen.» Diamanten und Perlen trugen die Argentinierinnen offenbar nicht nur an Hals und Händen und im Haar – beim Skat beteuerte einer der Spieler gegenüber dem Reporter, «eines der ‹Mädchen aus dem goldenen Westen› trage sogar ihre Uhr am Strumpfband. Stell dir mal illustriert vor, wie sie nach der Zeit sehen mag.»

      Köhler kommt in seinem Reisebericht zu einem positiven Urteil über die Frauen der I. Klasse: «Hinter all dem äußern Firlefanz steckt aber ein wertvoller Kern. Die Rasse ist sehr gut konserviert und das Schamgefühl der Südamerikanerin ist geradezu sprichwörtlich.» Die reichen Südamerikanerinnen verfügten über einen ausgeprägten Nationalstolz und zeigten sich im Gespräch «geradezu entsetzt über den moralischen Tiefstand der Frau in Paris und Berlin.» Fazit: «Und somit muss ich der Südamerikanerin aus der führenden Volksschicht das Gesamtprädikat geben: sympathisch!»

      Anders fällt das Urteil der 1888 in Ravensburg geborenen Schriftstellerin Elisabeth Rupp aus, die 1922 für ein Jahr nach Argentinien fuhr und enttäuscht feststellen musste, dass die Kreolinnen – die spanischstämmigen Argentinierinnen – bloß dazu da sind, schön zu sein und geheiratet zu werden:


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