Cap Arcona 1927-1945. Stefan Ineichen
befanden sich im vorderen Teil des Schiffs, das freie Deck ebenso wie der mit langen Tischen und zweihundert unbeweglichen Sitzplätzen eingerichtete Speisesaal, für dessen Bodenbelag Gummi Verwendung fand, während die Möbel aus unverwüstlichem Mahagoniholz bestanden. Zu den Wohndecks III. Klasse schreibt die Reederei-Zeitschrift kurz und knapp: «Im Vorschiff auf dem F- und G-Deck liegen die Räume für die III. Klasse. Alle Betten haben Zugfedermatratzen, Gepäcknetze und Haken für Kleider u. dergl.» Und weiter: «In der III. Klasse ist eine Anzahl Oriental-Abortanlagen vorhanden.» Vermutlich bedeuteten diese Stehklosetts eine Konzession an die südeuropäischen Saisonarbeiter, die besonders aus Spanien und Portugal während des europäischen Winters jeweils in großer Zahl für die Erntearbeiten nach Südamerika fuhren. Diese mehr schlecht als recht entlöhnten «Golondrinas» – Schwalben – im Schiffsbauch bildeten als nach Bedarf einsetzbare «Zugvögel» eine der Grundlagen des wirtschaftlichen Erfolges der Großgrundbesitzer, die ihre Reise auf der Cap Arcona in den luxuriösen Räumlichkeiten I. Klasse genossen.
Während sich also Maschinen-, Gepäck-, Vorrats- und Laderäume sowie die Bereiche der II. und III. Klasse im Schiffsrumpf befanden, stand der diesen überragende Aufbau im von den Schornsteinen gekrönten Mittelteil des Dampfers den Passagieren I. Klasse zur Verfügung.
Auf dem obersten Deck, dem offenen Sportdeck, lag hinter dem dritten Schornstein, gesäumt von rotmäuligen, alphornartigen Lüftern, der von einem Ballfangnetz umgebene Tennisplatz in Originalmaßen, der in für Squash und andere Sportarten geeignete Felder unterteilbar war. Auch Shuffleboard – ein beliebtes Deckspiel, bei dem mit an langen Stangen befestigten Schiebern runde Scheiben in mit unterschiedlichen Punktzahlen versehene Felder über die Planken gestoßen wurden – konnte auf dem Sportdeck gespielt werden, weiter gab es ein «Fußballzielstoßnetz», wie es in der Reederei-Zeitschrift heißt, und für Kinder wurden auf der offenen Fläche Spiele wie Eierlaufen angeboten, wo die Teilnehmer ein Ei auf einem Löffel möglichst schnell über das Deck zu balancieren hatten. Bei schlechtem Wetter konnten sich die Kinder der I. Klasse in ein gedecktes Kinderzimmer hinter dem vordersten Schornstein zurückziehen. Vor diesem Schornstein befanden sich auf dem obersten Deck die Kabinen der Offiziere sowie ganz vorne Steuerhaus und Brücke.
Sportdeck: Tennis, Shuffleboard, Eierlaufen und tropische Sommernachtsfeste.
Um das unter dem Sportdeck liegende Deck A – nach den im vorderen Teil des Aufbaus in zwei Reihen übereinandergehängten Rettungsbooten auch Bootsdeck genannt – führte eine Promenade mit einem von Markisen beschatteten Deckskaffee. Im hintersten Teil der Promenade fanden die Fahrgäste ein Gewächshaus mit Blumenladen und eine kleine Turnhalle: «Sie ist mit Gymnastikapparaten sowie mit Barren und Handgeräten ausgestattet. Unter andern sind vorhanden: je zwei elektrisch betriebene Apparate zum Trab- und Galoppreiten sowie zum Kamelreiten, ein Zimmerruderapparat mit Rollsitz, ein doppeltes Fahrrad mit Zeigerscheibe», heißt es in der Reederei-Zeitschrift.
Während I.-Klasse-Kabinen den vorderen Teil des Decks A einnahmen, lud in Schiffsmitte ein von einem Glasgewölbe überdeckter Wintergarten mit Tischchen und verschiedenartigen Rohrstühlen zum Verweilen ein, dessen Wände mit Tropenhölzern und Marmorplatten verkleidet waren. An der Stirnwand plätscherte ein Wandbrunnen, geschmückt von der vergoldeten Bronzefigur einer Schalmeibläserin. «Leuchtende Seidenstoffe für Vorhänge, bequeme Sitzmöbel mit buntfarbigen Bezügen und passend gewählte lose Teppiche beschließen die gewollte Vielfarbigkeit des Wintergartens, zu der auch noch die saftigen Farben der Palmen und Blumen hinzutreten und harmonisch ausgleichend vermitteln.»
Wintergarten mit Glaskuppel, Palmen und Wandbrunnen: «gewollte Vielfarbigkeit».
Das darunter anschließende Salondeck (Deck B) war von einer nirgends durch Boote verstellten Promenade umgeben und enthielt der Reihe nach und ineinander übergehend die wichtigsten Gesellschaftsräume der I. Klasse: zuhinterst den riesigen, zwei Stockwerke einnehmenden Speisesaal, dann die Halle mit dem Haupttreppenhaus, anschliessend den Festsaal und schließlich zuvorderst den Rauchsalon – eine Anordnung, die bei tropischer Hitze eine gute Durchlüftung sämtlicher Räume erlaubte.
Speisesaal I. Klasse, zwei Stockwerke hoch, in Grüntönen gehalten. Anstelle des Gobelins an der Vorderwand ließ sich eine Leinwand für Filmvorführungen einschieben. In Bildmitte Durchgang zur Halle, darüber Empore mit «Privatspeisezimmer».
Halle, von der Haupttreppe aus gesehen. Bei Polstermöbeln, Teppichen, Vorhängen und Wandverkleidungen dominieren rote Farben. Hinten Mitte Porträt von Beatrix Amsinck, Tochter des Hamburg-Süd-Vorstands Theodor Amsinck und Taufpatin der Cap Arcona, seitlich Passagen zum Festsaal.
«Im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Nordatlantik-Reedereien und zahlreicher anderer Reedereien auch in der Südatlantik-Fahrt vertritt die Hamburg-Süd den Standpunkt, dass man auf einem guten Tropenschiff dem Passagier Gelegenheit geben muss, die Mahlzeiten in hohen, luftigen, nicht im Unterschiff gelegenen Räumen einzunehmen. Demgemäß ist der Speisesaal für die erste Klasse auf dem Promenadendeck vorgesehen», wird in Werft Reederei Hafen erklärt. Der fünfunddreißig Meter lange und gut halb so breite, säulenlose Speisesaal wurde durch zwanzig fünf Meter hohe Rundbogenfenster erhellt. Die Wandflächen waren mit verschiedenen Edelhölzern verkleidet und von Pfeilern mit allegorischen Schnitzereien geschmückt, an den Querwänden hingen große Gobelins, die Landschaften in altholländischem Stil zeigten. Auf der Musikempore an der hintern Querwand spielte bei festlichen Anlässen das Schiffsorchester auf, an Stelle des Gobelins an der vorderen Querwand ließ sich eine Leinwand für Filmprojektionen einschieben. Gegessen wurde an Tischen verschiedener Größe, die zwei bis acht Personen Platz boten.
Sowohl steuerbord wie backbord führte eine Galerie vom Speisesaal zur gegen vorne anschließenden, von Palmen, Farnen und Blumen geschmückten Halle, die als Warte-, Aufenthalts- und Leseraum diente und den Blick freigab auf die Haupttreppe, auf deren Mittelpodest die überlebensgroße Bronzefigur einer mit der Insel Rügen verbundenen Göttin namens Hertha zu sehen war, die gemäß einer «altnordischen Sage» bei ihren Besuchen in einem Badesee in der Nähe des Kaps Arkona jeweils von Dienerinnen entkleidet wurde, die anschließend als unliebsame Zeuginnen ertränkt wurden. «Die vordere Querwand der Halle ziert das Porträt des Fräulein Beatrix Amsinck, der Taufpatin des Dampfers Cap Arcona, deren Ansprache bei der Taufe in den Hauptsätzen auf den Rahmen des Bildes geschnitzt wurde.»
Neben dieser Querwand gelangte man wieder auf beiden Seiten des Schiffs in Durchgängen am in den Schornstein mündenden Kesselschacht vorbei nach vorne zum Festsaal, wo sich die Gesellschaft tagsüber zum «Plausch» – zum Plaudern – und abends zum Tanz traf.
Zuvorderst im Salondeck lag schließlich der vornehmlich für Männer reservierte Rauchsalon mit einem von Marmor eingefassten offenen Kamin an der hintern und der Bartheke an der vordern Querwand.
Der Aufbau des Mittelschiffs beherbergte also über seine gesamte Länge eine Flucht von vier großen, der I. Klasse vorbehaltenen Aufenthaltsräumen, unterteilt durch die drei Schächte der Schornsteine bzw. der Schornsteinattrappe. Die vier Räume des Salondecks unterschieden sich nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch in der Atmosphäre: Im zwei Decks hohen Speisesaal waren die Wändflächen mit grüner, goldgelb gemusterter Seide bespannt und auch die Sessel mit grünem Leder bezogen, in der Halle dominierten dann warme Rottöne, der anschließende Festsaal war, wie sich die Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure in der Besprechung der Cap Arcona anlässlich ihrer Inbetriebnahme ausdrückt, «seiner Bestimmung gemäß in hellen Farbtönen mit reicher Vergoldung gehalten», während schließlich im Rauchsalon das lebendig gemusterte, dunkle Nussbaumwurzelholz der Täferung für eine beruhigende Wirkung sorgte.
Stilistisch strahlte die Einrichtung der Gesellschaftsräume eine gediegene Eleganz aus, bewegte sich zwischen klassisch und gemäßigt modern, luftig locker