"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25). Alban Rüttenauer
stehen (Vgl. z.B. 25,3 mit 25,8). Nur eine eigene sprachliche Analyse sollen sie nicht erhalten.
Eine einheitliche Bezeichnung für diese Redensarten kann man vom Ezechielbuch selber nicht erwarten. An drei Stellen, 12,22.23 und 18,2, trifft man auf die Bezeichnung
- der Maschal - „das Sprichwort“, jeweils auf einen Volksspruch bezogen. Im weiteren Sinn begegnet man dem Ausdruck noch in 14,8; 17,2; 18,2; 21,5 und 24,3. Das entsprechende Verb „sprichworten“ taucht dann noch in 12,23; 16,44; 17,2; 18,2.3; 21,5 (Piel!) und 24,3 auf. Die Verwendung dieses Wortes ist bei Ezechiel so vielfältig wie sonst in der hebräischen Bibel, man könnte aber den Eindruck erwecken, daß eine gewisse negative Bedeutung, etwa im Sinne von Spottvers, vorherrscht. In 12,22-23 und 18,2-3 ist es Gott selbst, der sich jeweils einen Maschal von seiten des Volkes verbittet. In 16,44 liegt ein fingierter Spottvers gegen die Braut Jerusalem vor. In 21,5 ist es umgekehrt das Volk, das sich über den nur in Meschalim redenden Propheten beschwert. Es bleibt dabei offen, ob der Ausdruck sich auf die Schwerverständlichkeit der Bilder bezieht oder vielleicht doch auch auf den drohenden Charakter der Gerichtsbotschaften. Tatsächlich werden einige Prophetenworte mit Drohwortcharakter als Maschal eingeleitet, so in 17,2 und in 24,3. 14,8 läßt Gott Menschen, die, ohne sich warnen und bekehren zu lassen, zum Propheten gehen, um ihn zu befragen, selbst zu Meschalim werden. Dagegen werden die Zeichenhandlungen des Propheten Ez 4,3 als und der Prophet Ezechiel selbst 12,6; 24,24 als (beides = „Zeichen“) und eben nicht als bezeichnet.Zu den entscheidenden Stilmerkmalen, anhand derer die Redensarten erkenntlich sind, gehört die Einleitung, die ihr jeweils vorausgeht und sie als Zitat kenntlich macht. Sie liefert Informationen zu den Sprechern, zu deren Verhalten und Absichten, aber auch zum allgemeinen Verständnis der Redensarten. Die Urheber der von uns gesuchten Redensarten tragen zumeist kollektiven Charakter, da es zur Natur dieser Redensarten gehört, keine einmaligen Sprachschöpfungen zu sein, sondern von ähnlich gesinnten Personen in vergleichbaren Situationen wiederholt zu werden. Redensarten von Einzelpersonen, bei denen man immer noch einen repräsentativen Charakter heraushört, findet man unter den Fremdvölkersprüchen. Diese Einzelpersonen werden als zuständige Könige, Fürsten o.ä. angesprochen, die für ein zugehöriges Volk verantwortlich sind.
Zitate anderer Menschen sind in Prophetenbüchern oft Zitate von Gegnern der Propheten.7 Die Redensarten im Ezechielbuch könnten auch als Zitate von Gegnern angesprochen werden8, aber mit einem gewissen Unterschied. Die Redensarten liefern zwar Stoff zu leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, die von schroffer Ablehnung bis zu sanft mahnender Zurechtweisung reichen, die persönliche Betroffenheit des Propheten tritt jedoch meistens stark hinter seinem Eifer für den gekränkten Gott zurück. Man ahnt, daß den Propheten an den Sprechern mehr das Typische als das Individuell-Historische interessiert. Dadurch erhalten die Redensarten einen Charakter besonderer Art. Sie lassen eine einmalige historische Gelegenheit, bei der sie ursprünglich wahrscheinlich gebraucht wurden, noch eben erkennen und erhalten doch zugleich einen erzählerischen Rahmen, der sie in den Gesamtzusammenhang des Buches einbaut. Dennoch scheint es der Prophet darauf angelegt zu haben, sie als etwas nicht völlig Unbekanntes den Hörer bzw. Leser wiedererkennen zu lassen.
Die Kennzeichnung als Zitat geschieht bei Ezechiel fast immer in der etwas formelhaften Weise über die Wurzel
- „sagen“. Das In-Szene-Setzen der Redensarten kann auf unterschiedliche Weise geschehen, je nachdem, ob die Wurzel im Perfekt oder perfectum consecutivum gebraucht wird oder als Partizip auftritt. Zu schematisch erschiene es aber vielleicht, darin nur den Unterschied zwischen Vorzeitigkeit, Gleichzeitigkeit und Nachzeitigkeit ausgedrückt zu sehen.9 Verba dicendi können ohnehin auch im Perfekt die Gleichzeitigkeit bezeichnen.10 Gleichzeitigkeit scheint jedoch aus inhaltlichen Gründen der vorherrschende Fall bei den im Ezechielbuch zitierten Redensarten zu sein, da mit ihnen die gerade herrschenden Stimmungen und Ansichten wiedergegeben werden. Die Redensarten zeichnet ihre relative Kürze aus, die mit Einleitung meist nur einen Vers umspannt. Im Wesentlichen zielen sie auf eine bestimmte Aussage ab, die durch Vergleiche oder Gegensätze hervorgehoben wird.Daß eine gegenwärtige geschichtliche Situation durch die Redensarten eine volkstümliche Deutung erfährt, macht ihre charakteristische Eigenschaft aus. Eine solche Deutung schließt auch die inneren Gedanken, Gefühle und Stimmungen mit ein, die die Sprecher in bezug auf die zugrundeliegenden Situationen haben.
Schwierig wird es sein, einen allgemeinen Sitz im Leben für diese Redensarten zu rekonstruieren. Am Ende bleibt nichts übrig, als die Exilszeit selbst als diesen Sitz anzunehmen. Die Exilszeit ist nicht bloß eine einmalige historische Situation, sondern besitzt auch, wie für einen Sitz im Leben gefordert, allgemeine typische Eigenschaften, wie sie sich in vergleichbaren Krisensituationen wiederholen und das bis auf den heutigen Tag. Zu diesen Eigenschaften dürfte auch die besondere Hellhörigkeit der Exulanten gezählt werden, die in dem Maß, wie sie selbst zur Untätigkeit verdammt sind, auf umgehende Meinungen und Ansichten vermehrt achtgeben, um daran die Zukunft des aufgegebenen Heimatlandes abzulesen.11 Hinzu kommt der leicht verständliche, leidenschaftliche Versuch, auch über Räume hinweg mit dem Heimatland oder anderswohin verstreuten Volksgenossen in Kontakt zu bleiben.
Man braucht nur auf die jüngere deutsche Geschichte zu schauen und wird um Parallelen nicht verlegen sein. Die politische Emigration zur Zeit des dritten Reiches hat ähnliche Erscheinungsformen hervorgebracht. Die Situation war natürlich in manchem eine andere, insofern Deutschland zunächst nicht von außen erobert wurde, sondern eine selbstverschuldete Diktatur heraufbeschwor. Die Verhaltensweisen der emigrierten Intellektuellen lassen aber manchen unmittelbaren Vergleich zu. Neben der fiebrigen Suche nach Informationen über die Entwicklung im Heimatland gab es auch Entfremdungen zu denen, die als Regimegegner im Land geblieben waren. Selbst nach der Rückkehr mit Beendigung des Krieges schwelte der Streit weiter. Die Rückkehrer aus dem Exil beschuldigten die Daheimgebliebenen automatisch der Kollaboration mit der überwundenen Diktatur. Die Schriftsteller wiederum, die nicht emigriert waren, sprachen den Heimkehrern jedes Recht zu urteilen ab, weil sie die schwierige Situation im Lande nicht kennengelernt hätten. Aus einer etwas abgeklärteren und weniger parteiischen Perspektive versucht der Dichter Bergengruen den Konflikt zu schildern und läßt doch gerade dadurch ahnen, wie tiefgreifend er gewesen sein muß.12 C. Zuckmayer vertrat eine ähnlich abgeklärte Position aus Sicht der Emigranten.13 Daß diese Haltung jedoch alles andere als selbstverständlich war, bezeugt der heftige Briefwechsel zwischen K. Mann und G. Benn. Er hat so nachhaltig gewirkt, daß Günter Grass ausdrücklich auf ihn Bezug nahm, als er Anna Seghers in einem öffentlichen Brief dafür rügte, nicht gegen den Mauerbau in Berlin Protest einzulegen.14 Dieser Mauerbau erzeugte kein Exil im buchstäblichen Sinn, aber doch die erzwungene Trennung eines kulturell zusammengewachsenen Volkes mit tiefgreifenden Folgen für die Zukunft. Auch zwei Jahrzehnte nach der sog. Wiedervereinigung zeigt sich, daß sich auf rein organisatorische Art und Weise nicht jene innere Einheit eines Volkes herbeizwingen läßt, wie sie Ez 37,15-28 als eine durch Gottes Wirken zustandezukommende beschwört. Gegen die Voreiligkeit von Politikern haben es Schriftsteller und Propheten gewöhnlich nicht leicht, sich Gehör zu verschaffen.
Neben dieser jüngeren Entwicklung des deutschen Staates würde auch das Migrationsschicksal so vieler Menschengruppen in Gegenwart und jüngerer Geschichte vielleicht interessante Parallelen bieten können, je nachdem wie sich das jeweilige Verhältnis zur neuen Umgebung und zur alten Heimat darstellt.
Das auffallend häufige Aufgreifen von volkstümlichen Redensarten an thematisch wichtigen Stellen bei Ezechiel ist schon immer aufgefallen. Für Zimmerli zeugt es vom seelsorgerlichen Ansatz des Propheten,15 für Keel von seiner Volksnähe.16
Sehr ausführlich geht Sedlmeier in der Einleitung zu seinem Kommentar auf die Verwendung dieser Redensarten ein. Er nennt sie