"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25). Alban Rüttenauer
aufbauen und insofern wirkliche Glaubenserfahrungen statt kollektiver Interessen zum Ausdruck bringen.33
Hossfeld hat seinerseits ein Schichtenmodell versucht, das, von der Literarkritik Zimmerlis ausgehend, doch zugleich darüber hinausgeht, insofern die Fortschreibungsidee mit ihrer Vorstellung einer organischen Entwicklung die Unterscheidung von Schichten nicht unbedingt notwendig macht. Hossfeld rechtfertigt jedoch sein Schichtenmodell mit Seitenblick auf die allzu globale Gegenüberstellung von Ezechiel und seiner Schule.34 Er bezieht dazu auch Parallelen zur deuteronomistischen Literatur und Jeremia mit ein, die Zimmerli noch mit einer größeren Zurückhaltung betrachtet hat.35 Hossfeld gibt interessante Anstöße, wie der Fortschreibungsprozess im Konkreten ausgesehen haben könnte. Um bei den kompositionskritischen Beobachtungen, in deren Verfolg der Text des Ezechielbuches in seiner Endgestalt in erster Linie mit sich selbst verglichen wird, nicht durch vorangehende Festlegungen eingeschränkt zu sein, wird auf das Schichtenmodell im Verlauf der Untersuchung nicht eigens eingegangen werden können. Erst am Ende der Untersuchung könnte überprüft werden, inwieweit die gewonnenen Ergebnisse mit dem Schichtenmodell Hossfelds in Einklang zu bringen sind, wozu in dieser Arbeit selber jedoch kein Raum mehr sein wird. Wertvoll auch für die Beschäftigung mit den Redensarten und ständig im Hinterkopf zu behalten ist Hossfelds Hinweis auf die im Buch waltende Spannung zwischen synchroner Zweiphasigkeit (Verkündigung gegenüber Exilierten bzw. gegenüber Jerusalemern) und diachroner Zweiphasigkeit (Verkündigung vor bzw. nach der Zerstörung Jerusalems).36 Insofern Phase immer schon ein diachroner Begriff ist, soll hier vereinfachend von Zweiphasigkeit (=diachroner Zweiphasigkeit) und Zweigleisigkeit (=synchroner Zweiphasigkeit) gesprochen werden.
Alles in Allem, da die diachrone Betrachtung hier nicht erstes Thema ist, darum auch nicht in die entsprechende Diskussion eingestiegen werden kann, soll für die Beherzigung des Kontextes zuerst von Zimmerli ausgegangen werden. Interessante Beobachtungen abweichender Ansätze werden nur hier und da ergänzungsweise herangezogen.37
Der Befund des Ezechielbuches ist doch so verwickelt, daß allzu einseitige und glatte Lösungsvorschläge nicht überzeugen können. Es ist der erlebnismäßigen Nähe zu historischen Ereignissen,38 wie der gleichzeitigen Abstandnahme durch reflektierte Aufarbeitung gleichermaßen Rechnung zu tragen. Das Zusammenspiel von Prophet und Prophetenschule bildet noch immer das natürlichste und ungezwungenste Erklärungsmodell dazu.
Es braucht nicht betont zu werden, daß Zimmerlis Ansatz als Arbeitshypothese und nicht als Dogma zugrunde gelegt wird, wie ihn wahrscheinlich schon der Urheber selbst verstanden hat. Es geht ja nur darum, nach aristotelischem Grundsatz das Bekannte, in diesem Fall den Text in seiner rezipierten Endgestalt, zum Ausgangspunkt zu nehmen, von dem aus vorsichtige Reflexionen über das Unbekannte, nämlich seine Entstehungsgeschichte, angestellt werden. Eine solche Hermeneutik des reflektierten Vertrauens könnte mit einer Hermeneutik des experimentierenden Verdachts, wie man das Verfahren der redaktionskritischen Methode nennen könnte, durchaus in einen fruchtbaren Dialog treten, solange beide Ansätze um ihre Grenze wissen und sich nicht ideologisch vermauern.39
3. b) Synchronie als solche.
Die synchrone Analyse bedarf nicht zwingend der Hypothese eines einheitlichen Verfassers, auch wenn sie oft im Verbund damit auftritt. Verknüpfende Bezüge können nämlich auch die Frucht eines allmählichen Entwicklungsprozesses sein. Nach Fechter stellt eine der literarischen Funktion der Zitate gewidmete Untersuchung nach wie vor ein uneingelöstes Desiderat dar.40 Gegenwärtige Untersuchung möchte dazu mit ihrem kompositionskritischen Ansatz wenigstens eine nützliche Vorarbeit leisten, um spätere Vertiefungen zu erleichtern.
Während Clark bei seiner im wesentlichen formkritischen Vorgehensweise sich mit der genauen sprachlichen Analyse nur einiger weniger ausgewählter Zitate begnügen konnte, die für die von ihm ausgemachten Zitatgattungen beispielhaft waren, führt hier an einer sprachlichen Analyse aller infrage kommenden Redensarten kein Weg vorbei. Nur so können die Bezüge der Redensarten untereinander sowohl als mit anderen Kontexten nach Gebühr aufgedeckt werden. Aufgrund dieser Bezüge ist dann zu entscheiden, ob die Redensarten eine gemeinsame Funktion besitzen, die sie für den Aufbau des Buches und seine theologische Botschaft erfüllen. Dazu sind Einzelheiten bezüglich der Sprecher, ihrer Rolle im Buchganzen und der jeweiligen Sprechersituation zu ermitteln. Auf der Grundlage der Ergebnisse können die Inhalte der Redensarten ausgewertet und gewichtet werden. Auch bei den Inhalten der Redensarten ist dann zu prüfen, ob sich thematische Schwerpunkte erkennen lassen, die sich in unterschiedlichen Variationen wiederholen.
3. c) Diachronie reflektierende Synchronie.
Die vom Inhalt der Redensarten ausgehende Reflexion auf die in der Einleitung vorgestellten oder aufgegriffenen Sprecher und deren Lebenssituation führt allmählich zur Frage nach der historischen Einordnung. Diese muß mit größter Behutsamkeit gestellt werden, weil meist nur sehr ungefähre Rückschlüsse zu erwarten sind, die auch mehr über die allgemeine Situation als über bestimmte Ereignisse Aufschluß geben. Auch ist damit zu rechnen, daß die Texte nicht gleichzeitig mit den beschriebenen Ereignissen entstanden sind, sondern aus einer bewußten literarischen Absicht heraus den Eindruck einer konsequenten Chronologie beim Leser erwecken wollen.41
Eine andere Frage ist, ob die gesammelte Analyse aller unterscheidbaren Redensarten zur Entdeckung neuer Autor- oder Redaktionsschichten, oder zur besseren Beschreibung der bereits entdeckten hinführt. Bisher ist noch kein Versuch unternommen worden, anhand der Redensarten eine solche aufzuspüren. Dabei bietet schon die Verteilung einen Hinweis. Je zufälliger und spontaner deren Einblendung ist, um so größer muß der Verdacht sein, daß ihre Verteilung mit der Arbeit und den Ausmaßen einer bestimmten Redaktionsschicht in eins fällt. Je planmäßiger und strukturgebender sie dagegen ausfällt, um so mehr läßt sie an das bewußte Vorgehen eines Autors denken, und zeugt von seinem charakteristischen Stil.42
Insgesamt möchte man fragen, ob bei Vergleichen mit anderen biblischen Werken der eigentümlich dramatische Charakter des Ezechielbuches nicht stärker berücksichtigt werden müßte,43 bevor Werke anderen Charakters und anderer Zielsetzung zur Vergleichung herangezogen werden. So setzt Pohlmann den Entstehungsprozeß des Ezechielbuches in Parallele zu dem viel späteren der synoptischen Evangelien.44 Die historische Verifizierbarkeit der Person Ezechiels wiederum vergleicht er mit derjenigen des viel älteren Mose.45 Jeremia ist mit Ezechiel wenigstens zeitverwandt und gehört wie er in den Bereich der Prophetie und dennoch kann man in dieser Hinsicht Becker nur zustimmen, wenn er warnt, an Jeremia gewonnene Methoden unbesehen auf Ez zu übertragen.46 Doch macht er es besser, so könnte man fragen, wenn er Vergleiche mit den Apokalyptikern47 und den Autoren der Königs- und Chronikbücher anstellt?48 - Eine Methode, die Ezechiel weder als einen Jesaja oder Jeremia, noch auch als einen Apokalyptiker oder Historiker interpretiert, sondern eben Ezechiel wirklich nur als Ezechiel und niemand anderen, müßte erst noch entwickelt werden. Aber Stichworte wie Propheteninterpretation (Becker), sofern richtig verstanden, oder Wechselspiel zwischen Zweiphasigkeit und Zweigleisigkeit (Hossfeld) weisen schon in eine solche Richtung, weil sie individuelle Eigentümlichkeiten der Prophetie Ezechiels bezeichnen.
Nicht nur die Gruppierung um das Ereignis der Zerstörung Jerusalems verleiht den Texten des Ezechielbuches ihre Dramatik, sondern ebenso die durch die Einflechtung von Zitaten geschaffene allgemeine Dialogsituation. Diese kennt etwa fünf Protagonisten: Gott selber; den Propheten als Sprachrohr Gottes, sowie als Bittsteller für das Volk; die Gruppe der Exilierten; die im Land Gebliebenen; die Fremdvölker. In heftigem Miteinander-Ringen versuchen diese Dialogträger eine Antwort auf die Frage zu geben oder zu erhalten, wie nach allem Gewesenen die Geschichte Gottes mit seinem Volk noch weitergehen kann.
22 U. Berges, Das Buch Jesaja, 46: „Was not tut, ist eine ‘diachron reflektierte Synchronie’, die das gewordene Textgewebe an seinen Nahtstellen behutsam öffnet, ohne dabei das Gewordene zu zerstören.“ Er bezeichnet seinen Ansatz auch als